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Alma M. Karlin: "Einsame Weltreise"
Die selbsternannte Kolumbustochter

Als Frau einmal um die Welt im Jahr 1919: Alma M. Karlin hat ihre Erlebnisse aufgeschrieben und galt bereits zu Lebzeiten als meistgelesene Reiseschriftstellerin. Ein Jahrhundert nach ihrer "Einsamen Weltreise" ist nun eine Neuausgabe ihres Werkes erschienen.

Von Katrin Hillgruber | 08.08.2019
Buchcover: Alma M. Karlin: „Einsame Weltreise“
Aus der slowenischen Kleinstadt hinaus in die Welt: Alma Maximiliana Karlin reiste von Amerika über Japan und China bis in die Südsee - mit selbst verdientem Geld und allein. (Foto: picture alliance/dpa, Buchcover: Aviva Verlag)
In Südamerika niemals mit Handtasche ausgehen. Sich in Nordamerika von Männern keine Seidenstrümpfe schenken lassen. Als Europäerin ja keinen Chinesen heiraten. So lauten einige der heute etwas verschmockt wirkenden Ratschläge der Weltreisenden Alma M. Karlin. Sie richtet sie in ihrem Buch "Einsame Weltreise" an alle Frauen, die den Drang verspüren, dem Beispiel der unerschrockenen deutschsprachigen Slowenin zu folgen.
Am 24. November 1919 brach Alma Maximiliana Karlin aus der Kleinstadt Celje in der unteren Steiermark, auf Deutsch Cilli, in Richtung Triest auf; beide Städte hatten bis 1918 zur Habsburgermonarchie gehört. Weder ihre betagten Eltern noch der winkende Hund Mankerl konnten die Dreißigjährige mit dem modernen dunklen Pagenkopf von ihren Plänen abhalten: Alma M. Karlin wollte ferne Kontinente erkunden und darüber Reisefeuilletons verfassen. Einen Vorgeschmack auf die weite Welt hatte ihr ein Aufenthalt in London vermittelt. 1914 absolvierte sie an der dortigen Handelskammer ein hervorragendes Examen in nicht weniger als acht Fremdsprachen.
"Nachdem ich den Kriegsanfang in Feindesland – in London – mitgemacht, ein Jahr in Norwegen, eins in Schweden zugebracht hatte, durch das verbündete Deutschland nach Österreich zurückgekehrt war und hier die ganze Kriegsnot an mir vorbeirollen gesehen, war ich fast ohne Wissen und Wollen Staatsbürgerin eines fremden Staates geworden."
Bienenfleiß, Selbstdisziplin und ein zäher Magen
In Skandinavien hatte Alma M. Karlin erste erfolgreiche Versuche als Schriftstellerin unternommen. 1921 erscheint in Dresden ihr Debüt "Mein kleiner Chinese". Unverzichtbare Begleiterin ihrer zunächst auf vier Jahre angelegten Weltreise ist daher ihre Reiseschreibmaschine "Erika", die sie sorgsam in einem Wollplaid hütet. Das Budget für die Fahrt von Amerika über Japan und China bis in die Südsee muss sich Karlin unterwegs durch Artikel, Übersetzungen und Fremdsprachenunterricht verdienen. Bienenfleiß, Selbstdisziplin sowie ein zäher Magen sind daher unerlässlich. Außerdem führt sie ein selbstgeschriebenes Wörterbuch in zehn Sprachen mit sich. Karlins Feuilletons zeichnet vor allem ihre plastische Beobachtungsgabe aus, verbunden mit einer köstlichen Selbstironie.
In Genua will sich die selbsternannte "Kolumbustochter" nach Südamerika einschiffen. Doch ihr Traumziel Argentinien bleibt ihr als Slawin verwehrt, da man dort Angst vor Bolschewiken hat. Sie entscheidet sich stattdessen für Peru, für das sie problemlos ein Visum erhält, was sie stutzig macht. Diese pragmatische Abenteuerlust verbindet die Autorin mit anderen alleinreisenden Frauen wie der Wienerin Ida Pfeiffer, die es in den Orient zog. Die russischstämmige Schweizerin Isabelle Eberhardt durchstreifte als Mann verkleidet die Sahara, wo sie zu Tode kam. Ihr ging es wie später auch Annemarie Schwarzenbach darum, bürgerliche Konventionen zu überwinden. Karlins Interesse hingegen ist in erster Linie ein journalistisches. Schließlich ist es so weit: Alma M. Karlin lässt Europa an Bord des Ozeandampfers "Bologna" hinter sich.
"Um drei Uhr standen wir Zwischendeckopfer schon hinter der Schranke. […] Es war dicht nach dem Zusammenbruch, und wer da in die Welt hinausfuhr, musste es tun. […] Langsam, meine Erika bewachend, schob ich mich näher, und um fünf Uhr ging auch ich vom Zollbeamten zum Arzt und von ihm zum Polizeiinspektor, zum Agenten, zu wer weiß noch wem. Endlich packte ein Matrose mein Gepäck, und ich betrat den ,Bologna'."
Alleinreisende Frau als Sensation
Alma M. Karlins ungute Vorahnungen sollten sich in Peru bewahrheiten. Eine alleinreisende Frau, noch dazu eine weiße, stellt für die männlich bestimmte indianische Bevölkerung eine ungeahnte Sensation und Herausforderung dar: Auf der Straße bietet man Karlin Gold für ein Stelldichein an, ihr Hauswirt wird zudringlich. Dann vertreibt sie einen Einbrecher, der angibt, sie "genießen" zu wollen. Den schlimmsten Angriff erlebt sie in der Stadt Arequipa. Indianer umzingeln das Haus ihrer Gastgeber und fordern die Herausgabe der Fremden:
"Zwei Männer hätten ihnen erzählt, ich wäre ein verkleideter chilenischer oder bolivianischer Spion (die Stimmung gegen beide Länder war damals sehr feindlich), und mein kurzes Haar allein beweise, dass ich unmöglich eine Frau sein könne. Sie wollten mich ausgeliefert haben, um mich zu entkleiden und…"
Die Verzweifelte erwägt, mit einem Brotmesser Selbstmord zu begehen, als in letzter Minute eine Polizeimannschaft eingreift. Da die unbeirrte Reisende trotz aller Vorsichtsmaßnahmen immer wieder beraubt und belästigt wird, stellen sich bei ihr eine gewisse Verbitterung und ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Männern ein. Verächtlich spricht sie von den "Mannszweibeinern", was ihren Notizen einen Touch von Blaustrümpfigkeit verleiht.
"Gegen die Anschauung der ganzen Welt habe ich mich damals aufgebäumt, bereit, allein zu stehen, und allein habe ich seither gestanden. Meine Kunst ist mein alles geworden; aber die Männer, die mich trafen, behaupteten, dass ich überhaupt nur zur Freundschaft fähig bin und von der Liebe nichts weiß."
Ausnahmen von ihrem negativen Männerbild macht Anna M. Karlin nur für wenige Exemplare wie den sogenannten "Herrn Schwarm", einen japanischen Arzt, der sie bis nach China begleitet. Dort trinken sie in herrlichen Blumengärten Tee und besichtigen…
"...düstere Tempel, auf deren Toren langnägelige Götter im Zwiegespräch standen".
Expedition ins Ungewisse
Auf bestimmte Nationalitäten ist Alma M. Karlin ebenso schlecht zu sprechen: Die US-Amerikaner, auf die sie zuerst in Panama trifft, verachtet sie wegen ihrer Oberflächlichkeit, die damaligen Reichsdeutschen wegen ihrer Unfreundlichkeit. Letzteres bessert sich, als sie eine Stellung an der deutschen Botschaft in Tokio erhält. Überhaupt erscheint ihr die distanzierte Höflichkeit des Fernen Ostens als Labsal nach ihren Erfahrungen in Südamerika.
1927 kehrte Alma M. Karlin in ihre Heimatstadt Celje zurück. Im Jahr darauf erschien ihr Buch "Einsame Weltreise. Erlebnisse und Abenteuer einer Frau im Reich der Inkas und im Fernen Osten", das sie zur Trilogie erweiterte. Diese Expedition ins Ungewisse genau einhundert Jahre nach Karlins Einschiffung in Genua nacherleben zu können, bedeutet nicht weniger als ein Lektüreglück.
Alma M. Karlin: "Einsame Weltreise"
Hrsg. und mit einem Nachwort von Jerneja Jezernik, mit einer Einleitung von Britta Jürgs, Aviva Verlag, Berlin, 400 Seiten mit Abbildungen, 22 Euro