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Als das Byzantinische Reich wieder auflebte

Als die Byzantiner am 25. Juli 1261 die Stadt Konstantinopel wieder einnahmen, war die einst größte und mächtigste Stadt des mittelalterlichen Europas kaum mehr wiederzuerkennen. Die 57-jährige Herrschaft der Kreuzfahrer aus dem Westen hatte die Metropole am Bosporus ausgelaugt. Die Byzantiner hatten so zwar ihr Zentrum wieder gewonnen und erlebten eine kurze Renaissance, aber im Kampf gegen Gegner aus dem Westen und dem Osten stand das Reich letztlich auf verlorenem Posten.

Von Helge Buttkereit | 25.07.2011
    "Ganz plötzlich in der Nacht rückte der Caesar Alexios Strategopoulos zur Stadt Konstantins vor. Nun hatte er in seinem Heer auch einige Männer, die aus der Stadt selbst stammten und sich dort sehr genau auskannten: Die fragte er aus und erfuhr, dass in der Stadtmauer eine kleine Öffnung existierte, durch die ein Mann in voller Rüstung in das Stadtinnere gelangen konnte [...], ihm folgte ein zweiter und diesem ein dritter und so fort bis zu fünfzehn Mann [...]. Wie sie auf der Mauer einen Angehörigen der Wachkompanie entdeckten, stiegen einige von ihnen nach oben, fassten den Mann an den Füßen und warfen ihn über die Mauer aus der Stadt heraus. Andere hatten Äxte in der Hand, zerschlugen damit die Sperrriegel der Tore und verschafften dem Heer dadurch einen ungehinderten Zugang in die Stadt [...]."

    So schildert der Geschichtsschreiber Georgios Akropolites die Rückeroberung von Konstantinopel am 25. Juli 1261 durch die Byzantiner. Eigentlich sollte der Feldherr Strategopoulos mit seinem kleinen Heer nur an der Stadt vorbeiziehen. Aber die Metropole am Bosporus war ungeschützt.

    Auf solch einen Moment hatten die Byzantiner 57 Jahre lang gewartet.

    Im vierten Kreuzzug war die Hauptstadt des alten Oströmischen Reiches an Rom-treue Herren gefallen. Ihre hohen Schulden bei der reichen Handelsstadt Venedig hatten die Kreuzfahrer veranlasst, Konstantinopel einzunehmen. Dazu kam eine wachsende Feindschaft im Westen gegen die griechischen Byzantiner, die seit dem 11. Jahrhundert den Papst in Rom nicht mehr als obersten Hirten der Christenheit anerkannten. In dieser Gemengelage war die Stadt im April 1204 zum ersten Mal in ihrer Geschichte gefallen.

    Da hatten Konstantinopel und das Byzantinische Reich zwar ihre Blütezeit längst hinter sich, aber immer noch lagerten unermessliche Schätze in Kirchen und Palästen. Nun wurden sie in Massen in den Westen verschifft. Der byzantinische Augenzeuge Niketas Choniates klagte:

    "O du früher Hochthronende, die du hoheitsvoll einherschrittest, großartig war dein Anblick, großartig deine Größe, jetzt bist du zu Boden gestürzt, zerrissen ist dein prächtiges Gewand, zerbrochen deine prachtvolle Herrscherkrone, erloschen ist dein helles Auge [...]"

    Nach dem Plündern und Morden in Konstantinopel errichteten die Kreuzfahrer das Lateinische Kaiserreich, dem jedoch die moralische und ökonomische Basis fehlte. Dagegen bauten die Byzantiner in Nikäa, im Nordwesten Kleinasiens, einen Exil-Staat auf, von dem aus sie Teile des alten Reiches zurückeroberten. Ihr wichtigster Feldherr war Michael. Er ließ sich nach dem Tod des Kaisers 1258 in Nikäa zum Mitkaiser neben dem achtjährigen Thronfolger krönen. Den Weg zurück nach Konstantinopel ebneten ihm erfolgreiche Schlachten, ein Vertrag mit Genua, dem Konkurrenten Venedigs - und schließlich die List des Heerführers Strategopoulos.

    Im Sommer 1261 wurden dem nun als Kaiser herrschenden Michael VIII. Palaiologos die Insignien der Macht übergeben, und er soll gesagt haben:

    "Viele Male haben wir versucht, Konstantinopel zurückzugewinnen und sind gescheitert. Gott wollte uns zeigen, dass der Besitz dieser Stadt sein Geschenk war und seines allein. Das Geschenk war reserviert für unsere Herrschaftszeit, wofür wir ewig dankbar sein müssen."

    Dass Michael sich und seine Herrschaft mit Gott verband, kam nicht von ungefähr, saß er doch als Usurpator auf dem Thron. Um den Sohn seines Vorgängers auszuschalten, ließ Michael ihn blenden und wurde dafür vom orthodoxen Patriarchen mit einem Bann belegt. Ungerührt ging der Kaiser den Neuaufbau des Reiches an. Das war so nötig wie fast unmöglich, wie der Byzantinist Georg Ostrogorsky in seinem Standardwerk zusammenfasst:

    "Indessen hatte die Zeit der lateinischen Herrschaft tiefe Spuren hinterlassen, es blieben Wunden am byzantinischen Staatskörper, welche die Restauration nicht zu heilen vermochte. Das große Haupt, Konstantinopel, stützte sich auf einen geschwächten, an allen Seiten angegriffenen Leib. Die italienischen Seestädte beherrschten die byzantinischen Gewässer, ihre Kolonien waren über das ganze Reich zerstreut, die meisten Inseln des östlichen Mittelmeerbeckens waren ihnen untertan."

    Und es drohte Gefahr aus dem Osten. Die musste der Kaiser nach Ansicht vieler Historiker vernachlässigen, denn er sah die wohl einzige Chance zur Verteidigung des christlichen Bollwerks am Bosporus im Bündnis mit dem Westen. Und in der Kircheneinheit mit Rom, um die er warb; es gab sie nie. Byzanz wurde zum Kleinstaat, hielt dem Ansturm der Osmanen aber zunächst stand. Erst 1453 fiel Konstantinopel endgültig an die Türken, die der Stadt den Namen Istanbul gaben.