Dienstag, 19. März 2024

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Alte Linke, Neue Rechte
"Politik ist der Kampf um Begriffe"

Früher waren sie linke Aktivisten im Umfeld der 68er-Bewegung, heute gehören sie zur Neuen Rechten. Nicht wenige Protestler von damals haben eine politische Kehrtwende vollzogen. In ihren Abgrenzungskämpfen gebe es aber immer noch einen starken Bezug auf 1968, sagte der Soziologe Heinz Bude im Dlf.

Heinz Bude im Gespräch mit Anja Reinhardt | 15.04.2018
    Der Soziologe Heinz Bude hat sich intensiv mit der Geschichte von 1968 beschäftigt
    Der Soziologe Heinz Bude hat sich intensiv mit der Geschichte von 1968 beschäftigt (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Eines habe die Neurechte gemeinsam, egal ob in Europa oder anderswo, erklärt Heinz Bude: "Wenn Sie denn sagen, was sie wollen, dann sagen sie oft, man wolle einen Kulturwechsel, weg von einer permissiven Gesellschaft, wo vieles erlaubt ist, zu einer Gesellschaft, die wieder die Zügel in die Hände nimmt." 1968 werde also dafür verantwortlich gemacht, dass es keine Traditionen mehr gebe. Dabei benutzten gerade die Identitären, also die jüngere Generation der Neuen Rechten, die Symbole und Agitationsformen der 68er - "das gesamte Arsenal des Widerstands".
    "Die Methoden und die Gesten von 68 stehen jetzt zur allgemeinen Verfügung"
    Das, was die Protestbewegung in Deutschland ab 1967 ganz zentral ausgemacht habe, sei die "kollektive Bereitschaft, "Nein" zu sagen" gewesen. Ein "Nein" zur deutschen Nachkriegsgesellschaft, die "Fähigkeit, von Grund auf alles in Frage zu stellen". Es sei nicht um Demokratie gegangen, sondern um Revolution. Der Impuls der Befreiung, für den 1968 damals und auch heute noch steht, der sei auch attraktiv für junge Leute heute, die sich eher rechts orientierten Dabei übernehmen sie die Geste des Antiautoritären, so Heinz Bude, das symbolische "Arschzeigen" – nur fehle der Unterbau dazu. Aber: "Die Methoden und die Gesten von 68 stehen jetzt zur allgemeinen Verfügung und niemand kann kontrollieren, wer sie für sich in Anspruch nimmt."
    Neue Rechte bedient sich der 68er-Parolen
    Es gäbe heute eine interessante Konstellation: Die Altlinken würden heute die westliche Zivilisation mit ihren Demokratien als den "Hort der Liberalität und Zivilität unserer Gesellschaft in Anspruch nehmen und mit diesem Argument gegen rechts gehen." Umgekehrte Verhältnisse also: Die Neurechte bedient sich der 68er-Parolen wie "Lügenpresse" oder der Forderung nach "Direkter Demokratie".
    Die Linke kann es sich nicht leisten, auf die Zukunft zu verzichten
    Dass die Identitäre Bewegung und die Neue Rechte so viel Zuspruch bekäme, läge auch daran, dass kaum mehr politische Differenz auszumachen wäre. "Es gibt einen wirklichen Streitbedarf in Deutschland. Leute wollen wissen, dass sie, wenn sie eine bestimmte Partie wählen, das im Unterschied zu einer anderen Partei tun." Diese Leerstelle wird aber gegenwärtig eher von rechts genutzt. "Politik ist immer auch der Kampf um Begriffe" – und da sei die Linke zurzeit sehr schwach. Die Linke könne es sich nicht leisten, auf die Zukunft zu verzichten – "an eine Zukunft, an die man glauben kann."