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Alte Tricks

"Wird die Grandprix-Gewinnerin Gracia nicht wirklich von den Fans geliebt?" fragte die Süddeutsche Zeitung in dieser Woche süffisant. "Run And Hide", Gracias Siegertitel der deutschen Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest (ehemals: Grand Prix), er wurde jedenfalls erst einmal aus den Singlecharts verbannt. Der Grund? David Brandes, Gracias Produzent und Plattenboss, ließ das Stück systematisch von Strohmännern aufkaufen, um so eine Chart-Platzierung zu erreichen. Gegenüber dem SAT 1 Magazin "Akte 05" hat einer dieser Strohmänner aber leider "ausgepackt". Und er konnte sogar die Quittungen seiner Hamsterkäufe präsentieren. Nun geben sich alle entrüstet: Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft natürlich, der die Charts in Auftrag gibt. Er hat für den vorübergehenden Ausschluss sämtlicher Produktionen des bösen Buben David Brandes gesorgt. Brandes und seine Sängerin Gracia beschweren sich hingegen lauthals, dass solche Tricks in der Branche an der Tagesordnung seien und an ihnen gemeinerweise ein Exempel statuiert werden soll. Wie sicher oder aussagekräftig sind die Charts?

Von Eric Leimann | 16.04.2005
    Der Versuch, die Musikcharts und ihre Bestsellerlisten auszutricksen, ist so alt wie das Plattengeschäft selbst - das sagen die Kritiker. Doch da liegen sie falsch, denn eigentlich ist die Sache noch älter. Bereits vor 100 Jahren bezahlten Songschreiber die Sänger der amerikanischen Vaudeville Theater dafür, dass sie speziell ihre Songs zum Besten gaben. Schallplatten gab es damals noch nicht. Aber wenn ein Song beliebt war, dann kaufte man sich als Fan "Sheet Music", also die Noten des Stückes zwecks Hausmusik an Klavier und Gitarre - und von diesen Notenverkäufen profitierten natürlich: die Songschreiber.

    Der Aufstieg des Radios in den 20er und 30er Jahren versetzte der noch jungen Schallplattenindustrie erst einmal einen Schock. Wenn Lieder kostenlos im Radio zu hören sind, so dachte man, wer will dann noch einen Tonträger kaufen. Damals mussten die Radiosender noch eine Lizenz an die Plattenfirma zahlen, wenn sie einen Titel spielen wollten. Doch die Richtung dieses Geldstromes änderte sich schon bald.

    Mitte der Fünfziger brachten die Promoter der Plattenfirma den Radiomoderatoren zusammen mit einer neuen Single gleich noch ein Geldbündel mit. Payola, nannte sich dieses System "Geld gegen Airplay". 1960 wurde es nach Künstlerprotesten offiziell geächtet und verboten.

    Das Verbot von 1960 war jedoch keineswegs das Ende von Payola in den USA. Danach wurden die Zuwendungen an Radiosender nicht mehr direkt von den Plattenlabels, sondern von Mittelsmännern, so genannten "unabhängigen" Promotern geleistet. Heute hat man selbst diese Heimlichtuerei nicht mehr nötig. "Spot Buys" heißt das Zauberwort, das in den USA Singles ins Radio und damit in die Charts hievt. Dabei wird ein neuer Song wie ein Werbespot von der Plattenfirma bezahlt und der Moderator muss nur sagen, dieser Titel sei eine Präsentation von Plattenfirma xy, dann geht die Sache medienrechtlich in Ordnung.

    In Deutschland zählen Radioeinsätze nicht mehr, wenn es um die Ermittlung der Singlecharts geht. Hier gibt es seit 2001 nur noch reine Verkaufscharts. Das Unternehmen Media Control wertet seitdem im Auftrag der Phonografischen Industrie nur noch Verkäufe in den Geschäften aus, die an das automatische Bestellsystem PhonoNet angeschlossen sind. Jede Single, die über eine Computerkasse gezogen wird, zählt also für die Charts. Das klingt erst einmal sicher...

    Aushebeln kann man die deutschen Verkaufscharts natürlich, indem man in vielen Phono Net-Geschäften kleine Mengen der eigenen Single kaufen lässt. So entstehen keine auffällig hohen Verkaufszahlen in einzelnen Geschäften. Und überhaupt - seit der Krise des Tonträgers CD - genügen aberwitzig kleine Stückzahlen, um in die Charts hineinzukommen. Brancheninsider sagen, dass man bereits mit 2000 bis 3000 verkauften Singles pro Woche ziemlich hoch in die Charts einsteigt, wahrscheinlich sogar in die TOP 10.

    Kurz vor Weihnachten verbreitete der Spiegel eine Meldung, die das ganze Elend der Tonträgerbranche deutlich machte. Ronan Keating, hieß es, früher tätig beim singenden Teenie-Flagschiff Boyzone, er steht mit seiner Single auf Platz 100 der deutschen Charts. Und das mit - bitte festhalten - gerade mal 217 verkauften CDs. Wo so kleine Brötchen gebacken werden, da ist die Manipulation der Charts über fingierte Käufe natürlich besonders leicht. Diesen Vorwurf muss sich auch das unbestechlichste Computer-Zählsystem gefallen lassen.