
"Ich beobachte das seit vielen Jahren, das kann man sehr hautnah erleben, wenn man jedes Jahr wieder auf die Zugspitze geht, dann sieht man das mit eigenem Auge, dass sich hier etwas ganz stark verändert und dass der Gletscher zurückgeht."
Erzählt Dobrindt. Hört man den CSU-Landesgruppenchef so reden, könnte man meinen, das Thema Klimaschutz stand schon immer ganz oben auf seiner Agenda. Doch in den vergangenen Jahren war das – zumindest nach außen hin – wenig sichtbar. Seit einiger Zeit kann nun eine erstaunliche Wandlung beobachtet werden. So inszeniert sich die CSU in Sachen Klimaschutz als Treiberin der Großen Koalition: Mehrwertsteuersenkung bei Bahntickets, Abwrackprämie für Ölheizungen, Klimaanleihe. Im Juli dieses Jahres versorgten Dobrindt und CSU-Chef Markus Söder tagelang die Zeitungen mit immer wieder neuen Vorschlägen. Anfang September beschloss dann zunächst die Landesgruppe ein eigenes Klimakonzept, es folgte der CSU-Parteivorstand.

"Das ist heute die Aufforstung der CDU."
"Nein, wir ergrünen nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass wir die Ideologie vor die Vernunft stellen. Und das tun wir nicht!"
Sagt Alexander Dobrindt – er will weiter als Gegenpol zu den Grünen wahrgenommen werden. Und doch hängt die neue Klimaoffensive der Union natürlich auch mit den Grünen zusammen. Es waren die Union, vor allem die CSU, und auch Dobrindt selbst, die sich als Gegenpol zu den Grünen inszenierten.
"Verbotspartei", so das Label, das so mancher Christsoziale oder Christdemokrat prägte. Der Weg der Grünen sei nicht der richtige. Eigene Ideen kamen aber kaum und die Umwelt- und Klimapolitiker von CDU und CSU fristeten eher ein Schattendasein. Auch wenn den Unions-Parteien das Thema eigentlich nicht fremd war. Umwelt- und Naturschutz seien schon immer zentral gewesen,
"Auch gerade bei der CSU, weil Bewahrung der Schöpfung ist ja geradezu zum Gencode einer bürgerlich-christlich-konservativen Politik gehörend."
Besetzt haben das Thema aber dennoch die Grünen- und nicht die Union:
"Ich glaube, dass dieses Thema nicht in den letzten Jahren so stark im Vordergrund war wie es vielleicht hätte sein können und das muss man ehrlicherweise dann auch korrigieren und das muss man auch nachholen."
Gesteht Dobrindt ein. Zu dieser Erkenntnis beigetragen haben dürfte die "Fridays-for-Future"-Bewegung. Das berichtet auch CSU-Klimapolitikerin Anja Weisgerber. Bevor sie 2013 in den Bundestag einzog, saß sie im Europaparlament. Klima- und Umweltpolitik war schon damals ihr Thema. Die Jugendlichen hätten sich sehr stark eingebracht in den vergangenen Monaten:
"Sie sind auf die Abgeordneten zugegangen, die auch nicht Klimapolitik als Schwerpunkt haben und das hat auch diese Abgeordnetenkollegen dazu gebracht, dass sie in der Fraktion auch sehr, sehr stark auch einfordern, dass wir dieses Klimapaket jetzt schnüren."
Mal ist sie Heilsfigur im Kampf gegen die Erderwärmung, mal wendige Pragmatikerin. Das Thema Klimapolitik zieht sich seit Mitte der 1990er Jahre durch den politischen Lebensweg von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wird sie als Klimakanzlerin in die Geschichte eingehen?

"Das Thema Klimaschutz darf nicht als Monopolthema für eine Partei gelten."
Die Antwort der Union nun: Die seit Wochen beschworene Alliteration "Ökonomie und Ökologie" – beides müsse man zusammendenken, CO2-Bepreisung, Anreize statt Verbote. Man will den Grünen das Thema streitig machen und Wähler zurückgewinnen. CSU-Politikerin Weisgerber glaubt, dass das funktioniert:
"Wir merken jetzt, von der Union, wenn wir das Thema besetzen, müssen zum Beispiel die Grünen wieder extremer werden, müssen wieder auf Verbote setzen und sind dann auch für die bürgerliche Mitte mit ihrem Konzept nicht mehr so mehrheitsfähig."

CSU-Chef gibt sich umweltbewusst
"Wenn man auf der einen Seite das Fliegen verbieten will, aber selber zu den meisten Fliegern gehört; wenn man selbst gegen Plastik ist, aber sein Eis mit allen Plastik-Utensilien isst - dann ist das nicht glaubwürdig für unser Land, meine Damen und Herren!"
Söder teilt kräftig gegen die Grünen aus – aber nicht gegen das Grüne an sich. Im Gegenteil: der CSU-Chef gibt sich umweltbewusst.
"Jeder, der meint, das sei ein Thema, das nur die Grünen hätten: stimmt doch nicht! Für uns ist die Bewahrung der Schöpfung ein konservatives Anliegen. Ein ethisches, ein christliches Anliegen. Weil es nämlich um die Bewahrung der Heimat geht. Wer hat denn das erste Umweltministerium gegründet?"

"Ich war damals in der Jungen Union in dem engen Kreis um Streibl. Ich weiß, dass er selber auch ganz begeistert war und den Alpenplan realisiert hat. Das hat in den Jahren danach die ganze CSU erfasst."
"Es nahm eben immer wieder das kurzfristige Wirtschaftsdenken überhand. Immer wieder kam es zu Vollbremsungen. Obwohl in der konservativen Partei ja immer betont wird, dass die Schöpfungsbewahrung für uns etwas elementar Wichtiges ist."
"Grün wird der Söder ja nur, weil er merkt, dass die Wähler grün wählen. Und er braucht ja Wähler, davon leben Politiker ja. Also muss er grün werden, sondern verliert er ja gerade die jungen."
Junge Wähler wie Anna aus Bad Gögging. Sie findet Söders Öko-Wende…
"Guad! Bissal grea schod nia!"
Übersetzt: ein bisschen grün schadet nie. Aber nicht zu viel, findet die Studentin. Die Grünen übertreiben es ihrer Meinung nach:
"Die sind mir zu grün. Die sind zu krass. Find ich. Man braucht etwas in der Mitte. Gibt es nur irgendwie nicht. Leider."

"Nicht so, wie man es klassisch kennt: wir verbieten, erziehen und belehren. Sondern mitnehmen, inspirieren und anregen. Ich glaube, dass sich darin ein starkes bayerisches Lebensgefühl ausdrückt. Wir setzen auf Wachstum und Fortschritt. Aber der muss erdverbunden, heimatverbunden sein."
"Deswegen ist für uns entscheidend, dass wir im Herbst unser bayerisches Klimakonzept neben dem Bundesgesetz auf den Weg bringen. Da gibt es erste Vorlagen mit über 100 Maßnahmen, die der Umweltminister bereits erarbeitet hat. Das muss am Ende ein Jahrhundert-Vertrag werden."
"Jahrhundert-Vertrag" – das ist klassischer Södersprech. Bayern soll vorangehen, Nummer 1 sein, auch beim Klimaschutz. In der Umsetzung bleibt der CSU-Chef bisher noch vage. Eine CO2-Steuer lehnt er ab. Söder will den Kohlendioxid-Ausstoß über CO2-Zertifikate begrenzen.
"Die Wirtschaftsweisen sagen, dass Zertifikate-Handel ein sehr guter Weg ist. CO2-Bepreisung heißt nämlich nicht automatisch, Benzin- und Mineralöl-Steuer zu erhöhen. Sodass die Pendler nicht belastet werden durch solch einen Weg."
Das klingt, als gäbe es Klimaschutz zum Nulltarif. Gibt es aber nicht, sagen sogar Söders Parteikollegen wie Erwin Huber, der frühere CSU-Chef und Ex-Wirtschaftsminister.
"Dass die Emissionen im Laufe der Zeit natürlich zu Preiserhöhungen führen, das muss jeder ausrechnen können, der 2 und 2 zusammenzählen kann. Das heißt also: auf mittlere und längere Frist wird das zu Belastungen führen."

"Mir san ja selber a bisserl grün angehaucht. Aber es wird scho bisserl arg grün. Man darf die Wirtschaft nicht vergessen. Es wird manchmal schon übertrieben."
"Also in großen Worten war Markus Söder immer schnell zu haben. Ich erinnere an die Energiewende 2011, da war er zuständiger Umweltminister. Er hat hier im bayerischen Landtag eine Rede gehalten: ‚Bayern wird Vorreiter bei der Windkraft, Vorreiter bei erneuerbaren Energien!‘ Und jetzt? Sind wir bei Windkraft Schlusslicht in Deutschland. Daran merkt man: das Thema kann schnell weg sein bei Markus Söder."
Der allerdings streckt unverdrossen die Hand aus – in Richtung grüner Nachbar.
"Wir haben uns auch natürlich nochmal bedankt mit Geschenken. Wir haben einen bayerischen Geschenkkorb gegeben mit Bier und einigen Schmankerln. Ich hab dafür höchstes baden-württembergisches Wein- und Schnapsgut bekommen und ich weiß nicht, ob ich’s sagen darf: Auch das, eine neue Epoche: Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg hat mir das Du angeboten und ich hab’s mit Freude angenommen!"
CSU-Ministerpräsident Markus Söder und Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann sind nun also Duzfreunde. Bei einem Treffen am Bodensee im Juli näherten sich die beiden Länder an und machten deutlich: Die historische "Südschiene" funktioniert nicht nur wie einst zwischen CSU und CDU, sondern sie kann auch Schwarz-Grün daherkommen. Ergebnis des Treffens: ein Zehn-Punkte-Positionspapier. Darin enthalten ist unter anderem die Willensbekundung, den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz über die Ländergrenzen hinweg zu stärken. Berlin, so ist zu lesen, müsse mit dem Klimaschutzgesetz endlich den Weg in die klimaneutrale Gesellschaft ebnen.
Dass Söder und Kretschmann zuletzt so einträchtig auftraten, ist keine wirkliche Überraschung. Während sich Bayerns Ministerpräsident neuerdings ausgesprochen grün gibt, gilt Winfried Kretschmann als ausgesprochen konservativer Grünen-Politiker. Die Schöpfung bewahren – ein Leitmotiv, das sich bayerisch schwarz, aber eben auch baden-württembergisch grün formulieren lässt. Zudem lobte die Wirtschaft Ministerpräsident Kretschmann lange als ideologiefreien Regierungschef. Zwar polterte er kürzlich und forderte mehr Anstrengungen, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten:
"Und ich will mal klipp und klar sagen: Ich bin überzeugt, dass wir das noch schaffen können, aber es wird nicht ohne Zumutungen gehen. Ich bin also überzeugt, mit den Instrumenten, die wir bisher haben, dass wir jetzt nur mit Anreizen, mit Subventionen, mit freiwilligen Vereinbarungen und soften Vorschriften, das schaffen, das glaube ich nicht."


"Wir haben heute saubere Diesel, ich persönlich habe mir so einen zugelegt. Und wir brauchen die. Und es gibt keinen Grund meiner Ansicht nach für ein Diesel-Bashing. Es ist der beste Verbrennungsmotor."
Juristisch und umweltpolitisch jedoch handelte sich die grün-schwarze Landesregierung zuletzt eine Niederlage ein: So verpflichtete ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig das Land dazu, in Stuttgart das bundesweit erste flächendeckende Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm 4 und schlechter zu verhängen.
Hier offenbart sich Kretschmanns Dilemma. Nicht nur die Wirtschaft sitzt dem grünen Regierungschef im Genick, auch die mitregierende CDU stellt sich beim Klimaschutz quer. Denn auch wenn Söder aus dem CSU-regierten Nachbarland Bayern und Winfried Kretschmann sich öffentlichkeitswirksam die Hand reichen: Die grün-schwarze Praxis im Ländle selbst verläuft alles andere als reibungslos. Denn inzwischen drohen auch Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm 5. Dabei hatte CDU-Landeschef Thomas Strobl im Frühjahr erklärt:
"Es wird keine flächendeckenden Euro 5 Fahrverbote mit uns geben."

"Und ich sage das auch als Jäger: Auch die politische Schonzeit für Winfried Kretschmann, die endet mit diesem Tag, liebe Freundinnen und Freunde."
Kündigte CDU-Generalsekretär Manuel Hagel bei einem Parteitag vor der Sommerpause an. Dabei steht die Landtagswahl, zu der Kretschmann wieder antreten will, erst im übernächsten Jahr, also im Frühjahr 2021, an. CDU-Mann Hagel fordert dennoch schon jetzt von seiner Partei:
"Wir müssen diese Grünen endlich aktiver stellen. Wir müssen diese Grünen aufdecken. Es reicht nicht, einfach nur zu fordern, sondern es muss endlich auch geliefert werden."
Flankiert wird dieser Vorstoß von einer Bewegung in ganz anderer Richtung: So bricht kurz darauf CDU-Landeschef Thomas Strobl eine Lanze für die Aktivisten von Fridays for Future:
"Ich habe mich in den vergangenen Tagen mehrmals mit jungen Menschen getroffen- Fridays for Future. Ich rate der CDU, das Spotten über diese jungen Leute der FDP zu überlassen."
Und Nisha Toussaint-Teachout von Fridays for Future Stuttgart resümiert:
"Mit Strobl war es überraschenderweise ein recht gutes Gespräch, sag ich mal. Wir konnten unsere Punkte setzen und hatten auch in jedem Fall sein Interesse.
Doch so richtig übergesprungen ist der Funke dann offenbar doch nicht:
"Was wir als Bewegung sagen, wir wollen keine Worte, wir wollen vor allem Taten und die sehen wir auch bei der CDU nicht."
"Das Gespräch mit Winfried Kretschmann war überraschend viel gegeneinander. Also es war kein harmonisches Gespräch leider. Es gab viele Ausreden, warum dies und das nicht geht. Und ich glaube, was gerade jetzt in Baden-Württemberg passiert, dass die Grünen nicht wirklich begreifen, was für eine Chance sie jetzt haben. Dass ihr Thema, was so lange ein Randthema war, so Klima- und Umweltschutz, dass das jetzt in die Mitte gerückt ist und jetzt auch die Gesellschaft mehr als bereit dazu ist."
"Wenn man sich die Bilanz von den Grünen anschaut, acht Jahre grüner Ministerpräsident und acht Jahre grüner Umweltminister, ist die Bilanz mehr als bescheiden. Die CO2 Ausstöße, und um die geht es ja, sind gestiegen.
Sagt Paul Nemeth, umweltpolitischer Sprecher der CDU Fraktion im Landtag. Das Stiftungskapital von rund zwei Milliarden Euro soll dabei aus Strafzahlungen von Porsche und Bosch im Rahmen der Dieselaffäre fließen.
"Wir würden dann schätzungsweise rund zwei Milliarden Euro Stiftungskapital haben."
Die baden-württembergische CDU als Vorreiterin in Sachen Klimaschutz? Das Aus für diesen Vorschlag kam vor wenigen Wochen - vom grünen Koalitionspartner. Der Vorstoß für eine Klimaschutzstiftung sei weder mit der bisherigen Gesetzgebung des Landes zu vereinbaren noch mit den Vorgaben für Kompensationsmaßnahmen zum Ausgleich von CO2-Emissionen.

In welcher Grün-Schattierung sich die Unionsparteien in Sachen Klimaschutz wirklich aufstellen wollen, wird sich an diesem Freitag zeigen. Die Demonstranten von Fridays for Future jedenfalls werden dem Klimakabinett höchste Aufmerksamkeit sichern.