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Alternativen zu Ritalin

Wenn bei einem Kind die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ADHS diagnostiziert wird, werden schnell Medikamente verschrieben. Doch der Einsatz von Mitteln wie Ritalin ist umstritten. Nun haben Psychiater alternative Therapien verglichen.

Von Stefanie Schramm | 19.02.2013
    Kinder sind oft laut, zappelig, anstrengend – ganz normal. Aber manchmal wird es extrem. Dann kann es sein, dass ein Kind unter ADHS leidet. Oft verschreibt der Arzt dagegen ein Medikament wie Ritalin. Doch diese Mittel wirken stark ruhigstellend, und sie haben Nebenwirkungen: Sie können den Appetit hemmen und das Wachstum verzögern. Welche Alternativen es gibt und wie gut sie wirken, hat nun die europäische Leitliniengruppe für ADHS untersucht. Dazu hat sie sich 54 Studien genauer angesehen. Zum einen hat sie drei verschiedene Diäten betrachtet:

    "Einmal der Verzicht auf Lebensmittelbestandteile, wenn Kinder hypersensitiv auf bestimmte Nahrungsbestandteile reagieren, ähnlich auch der Ausschluss von künstlichen Lebensmittelfarbstoffen, das haben wir überprüft, die Nahrungsmittelergänzung von freien Fettsäuren."

    Außerdem untersuchte sie drei psychologische Therapien:

    "Einerseits verhaltenstherapeutische Maßnahmen, zweitens kognitives Training, wo es zum Beispiel darum geht, die Arbeitsgedächtnisfähigkeit zu verbessern, und drittens das Neurofeedback."

    Tobias Banaschewski vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim hat an der Meta-Studie mitgewirkt. Er leitet die Gruppe, die gerade die Leitlinien für die ADHS-Behandlung in Deutschland überarbeitet. Vom Ergebnis der Meta-Analyse war der Kinderpsychiater überrascht: Nur zwei Therapien hatten einen Effekt:

    "Erstens der Ausschluss von Farbstoffen. Und zweitens die günstige Wirkung von einer Nahrungsmittelergänzung mit Omega-3-Fettsäuren."

    Und auch bei diesen beiden Diäten war die Wirkung recht gering: höchstens halb so groß wie der Effekt von Medikamenten.

    "Man kann es ausprobieren, würde ich sagen. Ob das jedem einzelnen hilft, das glaube ich nicht. Umgekehrt darf man aber auch nicht in den Trugschluss verfallen, weil wir nicht genügend Hinweise für die Wirksamkeit der nichtpharmakologischen Interventionen haben, dass alle Kinder eine medikamentöse Therapie erhalten sollten."

    Die Meta-Analyse zeigt vor allem eins: Dass es nicht genug methodisch gute Studien über die Alternativen zu Ritalin gibt.

    "Wir haben nur gezeigt, dass die Evidenzlage für die Wirksamkeit zu schwach ist. Wir haben nicht gezeigt, dass es nicht wirksam ist."

    Bei den Psychotherapien fanden sich zwar durchaus Studien, die einen Effekt nachwiesen. Doch die genügten oft nicht den wissenschaftlichen Standards: Die Personen, die die Wirkung beurteilten, wussten, ob die Kinder eine Therapie erhalten hatten oder nicht. Die Studien waren also nicht "verblindet", wie Wissenschaftler sagen. Aber eine Verblindung sei hier auch schwierig, räumt Banaschewski ein:

    "Das ist in einigen Studien dadurch realisiert worden, dass dann die Lehrer die Verhaltensbeurteilung übernommen haben statt der Eltern. Und bei den Lehrern war das Problem, dass die häufiger wechseln. Wenn nicht immer derselbe Beurteiler beurteilt, dann ist natürlich die Sensitivität für Verhaltensänderungen deutlich herabgesetzt. Bei einer medikamentösen Behandlung haben wir es einfach, da können wir einfach eine Placebo-Pille nehmen, die genauso aussieht."

    Auch deshalb ist fraglich, ob sich an den ADHS-Leitlinien so bald etwas ändern wird. Tobias Banaschewski und seine Kollegen wollen die neuen Empfehlungen bis zum Ende des Jahres vorlegen.