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Altersvorsorge
"Ich wundere mich über die Rentenpanik"

Das größte Problem in Deutschland sei nicht Altersarmut, sondern die Kinderarmut, sagte der CDU-Politiker Jens Spahn im DLF. Was die Rentenversicherung angehe, gebe es grundsätzlich kein Problem - diese "Rentenpanik" könne er nicht verstehen.

Jens Spahn im Gespräch mit Christoph Heinemann | 28.10.2016
    Ein Porträt des CDU-Politikers Jens Spahn
    Der CDU-Politiker Jens Spahn (imago / Horst Galuschka)
    Finanzstaatssekretär Jens Spahn sagte im Deutschlandfunk, das größte Problem in Deutschland sei nicht Altersarmut, sondern die Kinderarmut. Bei den Kindern und ihren Familien seien 16 Prozent auf staatliche Hilfe angewiesen. "Wie können wir diesen Kindern eine Chance geben?", dies sei die zentrale Frage, so Spahn.
    Verbesserungen soll es nach seiner Ansicht bei der Rente wegen Erwerbsminderung, bei den Renten von Solo-Selbständigen und für Geringverdiener geben, die viele Jahre eingezahlt haben. Eine Ausweitung der Mütterrente, wie von der CSU gefordert, wäre dagegen sehr teuer und helfe nicht denjenigen, die wirklich Hilfe bräuchten, erklärte Spahn. Ähnlich äußerten sich CDU-Vize Armin Laschet und der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak.
    CDU und CSU wollen heute bei einem Spitzentreffen in Berlin eine gemeinsame Linie in der Rentenpolitik festlegen. Zu den Teilnehmern gehören die Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer sowie Finanzminister Wolfgang Schäuble. Mehrere CDU-Politiker warnten vor dem Treffen davor, die jüngere Generation zu stark zu belasten.
    Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Katja Mast, forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, zu verhindern, dass eine mögliche Erhöhung der Mütterrente aus der Rentenkasse finanziert wird. Diesen Wunsch müsse die Kanzlerin CSU-Chef Seehofer ausreden, sagte Mast der Deutschen Presse-Agentur.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Wenn in zeitlicher Reichweite von Wahlen Rentenpläne geschmiedet werden, verheißt das für Steuerzahler nicht unbedingt Gutes. Denn die Versuchung ist groß, die Entscheidung der älteren Wählerinnen und Wähler mit teuren Geschenken zu lenken. Rente mit 63, Mütterrente, die GroKo war in den vergangenen Jahren bereits erfinderisch. Die meisten Rentenexperten halten diese Regelungen für Unsinn, kostspieligen Unsinn wohl gemerkt.
    Die Ausgangslage bleibt trübe. Da die Deutschen zu wenige Kinder bekommen, fehlen absehbar die Beitragszahler, und dass Migranten diese Lücken schließen könnten, dürfte biologisch schwierig werden, da in den vergangenen Monaten überwiegend alleinstehende Männer nach Deutschland gelangt sind. Die Folge: Wenn man nichts unternimmt, wird das Rentenniveau sinken, von 48 Richtung 41 Prozent, und man muss nicht Mathematik studiert haben, um zu verstehen: Wer etwa 1500 Euro brutto verdient, kann davon nicht leben.
    Angela Merkel und Horst Seehofer beraten heute Abend mit weiteren Unions-Spitzenpolitikern über eine Rentenreform. Volker Kauder und Wolfgang Schäuble sind mit von der Partie. Ihre Themen: Angleichung der Ostrenten ans Westniveau, Lebensleistungsrente sowie der CSU-Vorschlag zur Anhebung der Mütterrente.
    Am Telefon ist Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Mitglied im CDU-Präsidium. Guten Morgen!
    Jens Spahn: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Spahn, werden heute Abend vorweihnachtliche Wahlgeschenke eingepackt?
    Spahn: Erst mal werden heute Abend CDU und CSU sich auf eine Linie einigen, mit der sie dann in Gespräche mit der SPD gehen, sodass es heute Abend noch gar keine abschließenden Ergebnisse geben kann. Und zum zweiten geht es nicht um Weihnachtsgeschenke, sondern darum zu schauen, wo wir in der Rentenversicherung im Moment Änderungsbedarf haben. Das ist etwa bei den Erwerbsgeminderten, das ist bei Solo-Selbstständigen, Selbstständigen ohne Beschäftigte, das ist bei Menschen mit geringem Verdienst, die lange gearbeitet haben.
    Dort haben wir objektiv Probleme. Aber wir haben nicht grundsätzlich ein Problem in der Rentenversicherung. Im Gegenteil! Wir hatten ja in diesem Jahr die höchste Rentensteigerung seit 23 Jahren. Ich wunder mich etwas, dass alle jetzt gerade etwas in Rentenpanik sind.
    "Wir machen sehr, sehr teure Dinge, die am Ende aber die sozialen Probleme nicht lösen"
    Heinemann: Hat vielleicht auch mit der CSU zu tun. - Wird die CDU Horst Seehofers nächste Mütterrenten-Runde abnicken?
    Spahn: Wir müssen jetzt erst mal miteinander besprechen, was wir denn erreichen wollen. Wollen wir uns um diejenigen kümmern, die es wirklich schwer haben auch in der gesetzlichen Rentenversicherung? Ich habe gerade die drei Gruppen genannt: Erwerbsgeminderte, Solo-Selbständige und langjährige Geringverdiener.
    Heinemann: Die Mütter sind nicht dabei?
    Spahn: Nein, jedenfalls nicht so pauschal, sondern das sind drei Gruppen, da kann man sehr klar sagen, die haben sehr kleine Renten, die haben sonst in der Regel keine anderen Einkommen. Da gibt es ein soziales Problem, da kann man gezielt was lösen. Die Mütterrente würde wieder, der dritte Punkt, gute sieben Milliarden oder knappe sieben Milliarden Euro kosten. Das ist wahnsinnig viel Geld. Andere wollen das Rentenniveau anheben.
    Und meine Sorge ist, wir machen sehr, sehr teure Dinge, die am Ende aber die sozialen Probleme nicht lösen, die wir in der Rentenversicherung haben, die sich gut anhören, die populär sind, die am Ende aber Menschen, die es schwer haben, nicht helfen. Deswegen warne ich sehr davor, jetzt wieder teure Dinge zu versprechen, ins Schaufenster zu stellen, weil Wahlen sind, und dabei denen nicht zu helfen, die es wirklich brauchen.
    "Jetzt geht es um ein Gesamtpaket"
    Heinemann: Können wir um 6:52 Uhr sagen, ein Nein der CDU zu Horst Seehofers nächster Mütterrenten-Runde?
    Spahn: Nun führen wir ja erst mal Gespräche mit der CSU, was denn die Schwerpunkte dessen sind, was sie will, worum es geht. Wir haben ja noch ein paar andere Themen auf der Tagesordnung. Sie haben gerade schon diskutiert übers Rentenniveau, wie gehen wir mit der Debatte um. Ein sinkendes Rentenniveau heißt übrigens nicht, dass die Renten sinken, sondern sie steigen weniger stark. Das ist wahnsinnig schwer zu erklären, weil viele denken ja, dass in Zukunft die Renten geringer sind. Nein!
    Die Renten steigen weiterhin. Sie steigen nur weniger stark. Auch die Kaufkraft wird weiter steigen. Wir haben das Thema, wie stärken wir betriebliche und private Vorsorge. Darüber ist natürlich zu reden. Wir haben die Frage, wie gehen wir mit denjenigen um, die lange arbeiten, aber aufgrund eines geringen Verdienstes keine hohen Ansprüche in der Rentenversicherung schaffen, wie können wir denen helfen. Wir haben mehr als dieses eine Thema auf dem Tisch und jetzt geht es um ein Gesamtpaket und einen vernünftigen Einsatz von Euros, die wir nur einmal haben.
    Heinemann: In Sachen Mütterrente wollen Sie sich heute Morgen nicht festlegen. - Ab welchem Niveau ist die Rente eigentlich unzumutbar?
    Spahn: Sie meinen jetzt die Höhe der Rente?
    "Wir diskutieren mit großen Emotionen über eine statistische Zahl, die wenig aussagt"
    Heinemann: Ja, das Rentenniveau, wie viel Prozent. Wir haben ja eben geschildert, es geht so Richtung 41 Prozent.
    Spahn: Das Rentenniveau, so wie wir es jetzt diskutieren, ob jetzt 43 Prozent oder 46 Prozent, sagt wenig über die tatsächliche Höhe für die allermeisten Menschen aus. Das ist eine statistische Größe eines Eckrentners, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient hat. Den gibt es in Deutschland faktisch nicht. Sie kriegen ja nicht irgendwie einen Prozentsatz Ihres letzten Verdienstes, sondern Sie kriegen ja immer eine Rente, bezogen auf den Durchschnitt dessen, was Sie im Leben verdient haben, je nachdem wie viel Beitrag Sie bezahlt haben.
    Deswegen sagt dieses prozentuale Rentenniveau wenig über die tatsächliche Rentenzahlung aus. Das ist wirklich nur eine statistische Größe. Das ist so ein bisschen das Problem der aktuellen Debatte. Wir diskutieren mit großen Emotionen über eine statistische Zahl, die wenig aussagt über die tatsächlichen Renten, die ausgezahlt werden.
    Heinemann: Hieße, dass man dieses Niveau dann auch gar nicht stabilisieren muss?
    Spahn: Das heißt, dass man jedenfalls den Fokus nicht so stark auf dieses Thema Rentenniveau lenken muss, weil wie gesagt auch in Zukunft die Renten natürlich steigen, wenn die Löhne steigen, und das tun sie, weil auch die Kaufkraft der Rente steigt, sondern wir sollten unseren Fokus stärker auf die Themen richten, wo wir wirklich akute Probleme in der Rentenversicherung haben. Ich sage es noch einmal: Das sind Erwerbsgeminderte, das sind Solo-Selbstständige, das sind Geringverdiener. Diesen drei Gruppen helfen Sie nicht, keiner dieser drei Gruppen, wirklich, wenn Sie das Rentenniveau anheben.
    Heinemann: Stefan Maas hat es eben gesagt: Bliebe es beim jetzigen Stand, kostete das ungefähr 40 Milliarden zusätzlich. Jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten: mehr Geld vom Bund, mehr Geld von Arbeitgebern, mehr Geld von Beitragszahlern, vielleicht auch von Selbstständigen. Wer sollte zuschießen?
    Spahn: Nun, wir haben in den letzten 15, 20 Jahren in der Rentenversicherung einen wichtigen Paradigmenwechsel vorgenommen, dass wir nicht mehr nur schauen, wie stark steigen die Renten, wie viel Geld brauchen wir, und dann steigt einfach der Beitragssatz. Das war in der Vergangenheit so, dass der Beitragssatz immer hinterherdackeln musste hinter der Rentenentwicklung und die Beitragszahler, die Arbeiter automatisch mehr bezahlen mussten. Sondern wir haben eigentlich einen neuen Dreiklang, der sagt, wir drehen an drei Schrauben: An der Frage, wie viel Beitrag ist zu zahlen, an der Frage, wie lange wird gearbeitet, und an der Höhe des Rentenniveaus.
    Diese Neujustierung, alle drei Aspekte in den Blick zu nehmen und auch zu schauen, dass wir diejenigen, die arbeiten, die die Beiträge zahlen müssen, nicht überfordern, ist ein wichtiger zusätzlicher Aspekt und der geht mir in der aktuellen Debatte ziemlich unter. Ich wunder mich, dass Gewerkschaften und auch die SPD sehr drastische Milliarden-Forderungen in den Raum stellen, ohne zu sagen, dass ihre eigenen Mitglieder, die Arbeiter und Arbeitnehmer das bezahlen müssen. Deswegen lasse ich mich auf eine Debatte, die 20 oder 30 Milliarden Euro Mehrbelastung oder 40 gar je nach Berechnung pro Jahr denn dann in Aussicht stellt, erst gar nicht ein. Das ist wirklich nicht darstellbar, das ist hanebüchen. Das müssen am Ende viele, viele Menschen bezahlen, nichts fällt vom Himmel und deswegen sollten wir diese Debatte erst gar nicht so führen.
    Heinemann: Sollten wir uns auf die Rente mit 70 vorbereiten? Lassen Sie sich auf diese Debatte ein?
    Spahn: Was wir sehen ist, Deutschland wird jeden Tag ein bisschen älter. Die Lebenserwartung steigt im Schnitt pro Tag um knappe sechs Stunden. Und wir werden ein, zwei Stunden dieser sechs Stunden mal arbeiten müssen, um die anderen zu finanzieren. Wir gehen jetzt schrittweise auf die Rente mit 67 bis 2030.
    Wir sehen, dass der Anteil der über 60jährigen, die noch arbeiten, sich in den letzten Jahren verfünffacht hat, also schon enorm gestiegen ist. Weit über die Hälfte hat tatsächlich - und das ist anders als noch vor 10, 15 Jahren - noch Arbeit, und deswegen werden wir sicherlich auch nach 2030 das Renteneintrittsalter schrittweise weiter anheben müssen, beispielsweise um einen Monat pro Jahr. Das geht auch dann, weil natürlich selbst die Arbeit auf dem Bau 2030 anders aussehen wird als 2016.
    Wir führen diese Debatte immer aus der Betrachtung von heute, aber dass sich bis 2030 noch viel geändert haben wird, vergessen wir dabei, übrigens auch das Bedürfnis, wenn Sie mal schauen, vieler älterer Menschen, weiterhin arbeiten zu wollen, weil viele sagen, das gibt mir noch mal einen richtigen Sinn und eine wichtige Aufgabe.
    "Der Fokus der aktuellen Debatte geht am eigentlichen Problem vorbei"
    Heinemann: Herr Spahn, wieso bedeutet Rentenpolitik für die GroKo, auch für die Union immer Politik für ältere Leute und grundsätzlich nicht für jüngere Menschen?
    Spahn: Das ist eine gute Frage. Das hat natürlich damit zu tun, dass Rentenpolitik ganz, ganz schnell sehr biografisch, sehr persönlich wird. Wir müssen endlich mal lernen, diese Debatte nicht so zu führen, dass nicht jeder gleich irgendwie beleidigt ist, sich persönlich beleidigt fühlt. Und wir führen sie immer sehr stark mit Blick auf die heutige Rentnergeneration. Der geht es so gut wie keiner Generation jemals vorher.
    Wir haben aber dabei zu wenig im Blick, wie ist es bei denen, die heute 40, 45, 35 sind, wie sieht es eigentlich für die aus. Dafür werbe ich sehr stark, dass wir diesen Blick mal haben und zum zweiten auch mal sehen, wo ist eigentlich das Armutsrisiko in Deutschland. Es ist nicht Altersarmut das größte Problem im Moment in Deutschland, sondern Kinderarmut. Von den über 65jährigen sind nur drei Prozent auf staatliche Hilfe, auf Grundsicherung angewiesen, bei den Kindern und ihren Familien 16 Prozent.
    Deswegen verstehe ich nicht, warum wir uns nicht viel stärker um die Frage kümmern, wie können wir diesen Kindern eine Chance geben, durch die Schule, durch den Kindergarten, durch Bildung tatsächlich für sich selbst eine andere Perspektive zu entwickeln, aus dieser Armut rauszukommen. Der Fokus der aktuellen Debatte geht am eigentlichen Problem vorbei.
    Heinemann: Thema bleibt uns erhalten - Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Mitglied im CDU-Präsidium. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Spahn: Gerne! Alles Gute!
    Heinemann: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.