Nach der Diskussion um die Vorschläge von Regierungsberater Klaus von Dohnanyi hat nun auch bei der Union das Nachdenken über eine Neuausrichtung der ostdeutschen Wirtschaftsförderung begonnen. Gestern wurden im Bundesvorstand erste Kernsätze beschlossen. Im Mai soll dann ein neues Gesamtkonzept folgen. Federführend ist der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus. Guten Morgen!
Dieter Althaus: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Althaus, neue strategische Justierung der Ostförderung. So ist bei Ihnen zu lesen. Konzentration auf Wachstumspole, Sonderregelungen für die neuen Länder. Das ist alles nicht neu. Haben Sie abgeschrieben bei Klaus von Dohnanyi?
Althaus: Nein! Wir haben vor über drei Jahren schon ein Sonderprogramm gefordert, weil diese Elemente im wesentlichen enthalten sind. Wir brauchen einen Wachstumsvorsprung in den jungen Ländern, damit die Schere zwischen Ost und West sich schließt. Das ist unabhängig davon, dass wir in ganz Deutschland wieder Wachstum brauchen, aber diese Sonderanstrengung ist notwendig, weil die Erfolge des Aufbau Ost, die positive Bilanz sonst in Gefahr gerät. Deshalb haben wir uns auf im Prinzip sechs Kernbereiche konzentriert, die nicht neu sind, die aber hoffentlich von der Bundesregierung beachtet werden, damit wieder mehr Dynamik entsteht.
Heinlein: Wo sind denn die Unterschiede zu Stolpe und seinem Expertenkreis?
Althaus: Bei Stolpe und seinem Expertenkreis sehe ich eigentlich nur ein Pendeln. Erstens haben wir uns ganz klar zur Verlängerung der Strukturpolitik Ziel 1-Gebiet ausgesprochen. Das ist neu. So ein Bekenntnis habe ich bisher von der Bundesregierung noch nicht gehört. Zweitens geht es um die Stärkung der Cluster. Das ist nicht neu und das wollen auch Herr von Dohnanyi und Herr Stolpe. Da geht es darum, die Forschung und Entwicklung, die produktiven Anlagen und die wirtschaftsnahe Infrastruktur im Umfeld dieser Cluster weiter zu stärken, weil man hier von Wachstum ausgehen kann. Drittens geht es darum, die Handlungsspielräume zu erhöhen, Planungs- und Genehmigungsrechte zu vereinfachen. Das kann für ganz Deutschland wichtig sein, aber hier können die neuen Länder eine Vorreiterrolle haben. Es geht viertens darum, die Arbeitsmarktreformen für die neuen Länder noch schneller auf den Weg zu bekommen, die Ausdifferenzierung der Tarife, aber auch die Flexibilität im Kündigungsschutzrecht bei Neueinstellungen und Existenzgründern. Es geht fünftens um den verstärkten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Gerade europäische Verkehrswege sind hier wichtig. Hier ist derzeit durch die Bundesregierung eher weniger geplant, wenn man die Mautkatastrophe und die Entscheidung im Blick auf den ICE sieht. Und es geht sechstens darum, den Technologietransfer zwischen Wissenschaft, Forschung und Mittelstand zu verstärken, auch durch konkrete Förderung.
Heinlein: Bleiben wir erst einmal bei dem Gesamteindruck, bevor wir vielleicht auf einzelne Punkte kommen. Korrigieren Sie mich: Stimmt der Eindruck, die Gemeinsamkeiten dieser sechs Punkte der Ostkonzepte von Regierung und Opposition sind größer als die Unterschiede im Detail?
Althaus: Auf jeden Fall! Es geht nur darum, endlich etwas zu tun, weil sonst der Abstand immer größer wird und das ist ja seit über sieben Jahren der Fall. Wenn vor über drei Jahren im Februar 2001 das Sonderprogramm verhallt ist und damals mit Wunsch und Wolke bezeichnet wurde, wäre es jetzt an der Zeit, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.
Heinlein: Wie groß ist denn die Chance, dass gemeinsam gehandelt wird, dass es eine Art parteiübergreifendes Konzept gibt von Regierung und Opposition für den Aufbau Ost?
Althaus: Also von unserer Seite sehr groß. Nur wenn die Regierung sich jedes Mal von Gewerkschaften, wie das gestern wieder passiert ist, Tabus einreden lässt, dann befürchte ich, dass immer nur geredet wird und nicht gehandelt wird. Es wäre also wichtig, dass jetzt zumindest einige dieser Punkte konsequent umgesetzt werden, damit eben dieser Wachstumsvorsprung in den jungen Ländern wieder zu verzeichnen ist, damit die Schere zusammengeht bei der Entwicklung.
Heinlein: Zu den Tabus der Bundesregierung scheint spätestens seit gestern die Einführung von Niedriglohnsektoren zu gehören. Die SPD hat hier anscheinend zurückgerudert. Ihre Partei dagegen hat sich gestern klar für ein System von Lohnzuschüssen usw. ausgesprochen. Was versprechen Sie sich denn von diesen Maßnahmen?
Althaus: An dieser Stelle muss ich wirklich sagen, über die Vergesslichkeit der Regierung bin ich mehr als erstaunt. Was will denn Hartz IV? Hartz IV will mit dem Arbeitslosengeld II die Möglichkeit zur Vermittlung arbeitsfähiger Arbeitsloser deutlich erhöhen. Das geht doch nur, wenn zukünftig nicht mehr die Priorität Lohnersatz oder Transferleistung steht, sondern wenn die Priorität heißt Vermittlung und möglicherweise auch Lohnergänzung. Da gibt es kein Spezialrezept, aber es wird so sein, dass zum Beispiel bei der Vermittlung von Arbeit oder auch gemeinnütziger Arbeit natürlich Sozialhilfeergänzungen notwendig sind, zum Beispiel durch Wohngeld. Nichts anderes haben wir im Dezember beschlossen. Es harrt immer noch die Umsetzung und ich verstehe nicht, dass wir auf diesem Feld so nachlässig sind, sondern wir sollten hier zügiger arbeiten, damit wirklich auch vor Ort mehr Arbeit wieder angeboten werden kann. Das geht nur, wenn der arbeitsfähige Arbeitslose am Ende ein höheres Einkommen hat, damit auch ein Anreiz gegeben ist, diese Arbeit aufzunehmen.
Heinlein: Aber dennoch unter dem Strich, wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie anders als die Bundesregierung Ostdeutschland zu einem Billiglohnland machen?
Althaus: Ganz im Gegenteil! Das wäre ja geradezu töricht. Unsere Chance im Wettbewerb liegt im technologischen Wachstum und hier liegen auch die Potenziale und hier werden wir glaube ich auch in den nächsten Jahren die Entwicklung erleben. Wir brauchen nur auch - und das ist ja das Ziel in diesem Sektor - die Vermittlung von Arbeit, wenn sie möglicherweise derzeit keine entsprechenden Einkommen sichert. Dann müssen natürlich entsprechende Ergänzungen durch Sozialhilfe oder Zuschüsse geleistet werden. Ich sage noch einmal: Das ist genau das Modell, das auch Hartz IV, sprich Arbeitslosengeld II am Ende einbringen will, wo ja immer noch überlegt wird, wie man das ganze umsetzt. Hier geht es also nicht um einen Niedriglohnsektor, sondern es geht um die Priorität. Lieber Lohnergänzung, statt ständig nur Lohnersatz und Transferleistung.
Heinlein: Zuschüsse bis auf das Niveau der Tariflöhne?
Althaus: Nein. Hier geht es ja auch darum - das steht ja in diesem Konzept, das wir vorgelegt haben -, dass beim Arbeitsmarkt die Spreizung der Tarife erreicht werden muss. Das heißt die Ausdifferenzierung der Tarife ist einbezogen. Es geht immer darum, dass derjenige, der Arbeit hat, mehr hat und deshalb auch ein Anreiz, diese Arbeit aufzunehmen. Deswegen muss eine entsprechende Erhöhung zum Stand des Arbeitslosengeldes II oder auch der Sozialhilfe natürlich erfolgen.
Heinlein: Ausdifferenzierung der Löhne sagen Sie. Das heißt doch aber im Klartext, im Osten wird dauerhaft weniger Geld verdient als im Westen und damit verschärft sich doch ein Kernproblem der neuen Länder, nämlich die Abwanderung in den Westen, denn die Menschen gehen dorthin, wo man genügend Geld, ausreichend Geld für die gleiche Arbeit bekommt?
Althaus: Nein. Bei Ausdifferenzierung geht es erstens um eine größere Flexibilität für die Unternehmen, damit sie nach ihren Betriebsergebnissen entsprechend im Blick auf Arbeitszeit, aber auch im Blick auf Einkommen entscheiden können. Hier brauchen wir keinen starren Rahmen durch Tarifverträge, sondern hier brauchen wir möglichst große Flexibilität. Es geht auch gar nicht nur um den Osten, aber ich sage noch einmal: der Osten muss hier einen Wachstumsvorsprung erreichen, damit die Schere wieder zusammengeht. Und wenn schon in ganz Deutschland das Reformieren so schwer fällt, weil wir uns an viele Besitzstände gewöhnt haben und gar nicht merken, dass sie uns zu einem erheblichen Arbeitsmarkt- und Wachstumsproblem werden, können die neuen Länder hier auch ein Stück vorangehen und es ist ein Punkt von sechs Punkten, bei dem ich glaube, dass er dauerhaft die neuen Länder auch in eine Vorteilsrolle bringt, um dadurch dem Wachstum mehr Dynamik zu vergeben.
Heinlein: Zu der von Ihnen geforderten Flexibilität für die Arbeitgeber in den neuen Ländern gehört auch die Aufhebung des Kündigungsschutzes oder zumindest die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Das haben Sie ja gestern formuliert. Aber diese Sonderregelungen gibt es doch heute schon. Es wird länger gearbeitet für weniger Geld in den neuen Ländern. Warum sollen diese Standards noch weiter runtergefahren werden?
Althaus: Nun heißt das ja nicht: all das, was wir aufschreiben, gibt es noch nicht. Aber bisher ist natürlich das Kündigungsschutzrecht relativ starr und wir wollen, dass zum Beispiel wenn neue Arbeitnehmer eingestellt werden oder wenn ein Existenzgründer Arbeitnehmer einstellt er mehr Freiheit hat, damit er einfach auch dem Markt entsprechend einstellen kann, möglicherweise auch ausstellen kann. Es ist sinnvoller, diese Flexibilität wirklich auch rechtlich zu gewähren, als immer nur über das Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu jammern. Ich glaube, dass das, was in den Unternehmen vor Ort entschieden werden kann, arbeitnehmerfreundlicher ist als das, was durch generelle unflexible Tarifverträge vorgelegt wird.
Heinlein: Einen Punkt haben Sie unter Ihren sechs Punkten genannt: das Ende der Gießkanne, das Ende der Flächenförderung. Die gezielte Förderung von Wachstumsregionen soll erfolgen. Warum soll denn das Geld künftig nur dahin fließen, wo es ohnehin aufwärts geht?
Althaus: Zum einen gehen natürlich von diesen Clustern entsprechende Impulse fürs ganze Land aus. Zweitens sind dort besonders zukunftsfähige Wirtschaften, die auch entsprechende Arbeitsplätze entwickeln, die dann Produkte und Dienstleistungen auch hervorbringen, die wirklich wettbewerbsfähig sind. Und es geht ja darum, dass wir dort eine enge Vernetzung zwischen Forschung und Entwicklung produktiver Anlagen und wirtschaftsnaher Infrastruktur erreichen. Es geht also darum, die Clusterbildung in den jungen Ländern weiter zu verstärken. Die Aufgabe der Länder bleibt es natürlich, dafür zu sorgen, dass insgesamt in allen Regionen eine entsprechende Wirtschaftsentwicklung vorankommt. Das heißt diese Konzentration bedeutet nicht eine Ausschließlichkeit, sondern bedeutet eine Verstärkung auf diese Cluster. Das ist auch zum Beispiel Landespolitik in Thüringen.
Heinlein: Herr Althaus, die Ökonomie bestimmt auch weitgehend die Demographie. Hier sieht es besonders schlecht aus für Ihr Bundesland, für Thüringen. Ihr Bundesland wird immer älter. Es werden kaum Kinder geboren. Die jungen Menschen wandern ab. Glauben Sie, dass die jetzt von Ihnen und von der Bundesregierung diskutierten Maßnahmen ausreichen werden, um diesen fatalen Trend zu stoppen?
Althaus: Ich bin sicher: Erstens liegen keine neuen Fakten auf dem Tisch, sondern mich wundert etwas die späte Erkenntnis. 60 Prozent Geburtenrückgang über die Wiedervereinigung ist ein Fakt, der uns seit über zehn Jahren bekannt ist. Im Gegenteil: die Geburten steigen wieder. Aber was wir brauchen ist Perspektive in Form der Arbeit und wir werden einen Arbeitsplätzebedarf haben bis zum Jahr 2010 in Thüringen allein von zusätzlich 160.000. Was wir machen müssen ist, heute der Jugend an Universitäten, Hochschulen und den Schulen deutlich machen, dass sie Chancen haben. Deshalb muss der Mittelstand stark mit Wissenschaft und Forschung sowie den Hochschulen verbunden werden, damit diese Chancen auch rechtzeitig erkannt werden, denn wir haben einen Markt in Deutschland. Der Markt geht um die besten Köpfe und wir müssen in diesem Markt erfolgreich sein, damit wir unsere Wachstumschancen gut suchen und auch besser nutzen können.
Heinlein: Also die Situation ist nicht so düster, wie sie im Moment gerade beschrieben wird?
Althaus: Nein. Deutschland liebt das ja, Pessimismus auszustreuen und mit Kassandra-Rufen den jungen Ländern jede Perspektive zu nehmen. Ich glaube in der Realität blüht sie mehr, als das öffentlich derzeit dargestellt wird, und die Bilanz des Aufbau Ost ist viel besser, als das öffentlich dargestellt wird. Deutschlands Problem ist die Wachstumsschwäche generell und wenn Deutschland Wachstumsschwächen hat liegt das daran, dass wir seit Jahren die notwendigen Reformen verschlafen im Blick auf Arbeitsmarkt, Steuern und Sozialstaat. Jetzt scheint es so zu sein, dass es ganz bequem ist, den Osten dafür verantwortlich zu machen. Ich glaube aber das ist etwas zu billig. Deutschland muss reformieren, so wie die Nachbarn in Europa auch, damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeit besser sichern. Nur dann können wir Wohlstand halten und Sozialstaat auch umbauen.
Heinlein: Der Ministerpräsident von Thüringen war das, Dieter Althaus, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Althaus, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Dieter Althaus: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Althaus, neue strategische Justierung der Ostförderung. So ist bei Ihnen zu lesen. Konzentration auf Wachstumspole, Sonderregelungen für die neuen Länder. Das ist alles nicht neu. Haben Sie abgeschrieben bei Klaus von Dohnanyi?
Althaus: Nein! Wir haben vor über drei Jahren schon ein Sonderprogramm gefordert, weil diese Elemente im wesentlichen enthalten sind. Wir brauchen einen Wachstumsvorsprung in den jungen Ländern, damit die Schere zwischen Ost und West sich schließt. Das ist unabhängig davon, dass wir in ganz Deutschland wieder Wachstum brauchen, aber diese Sonderanstrengung ist notwendig, weil die Erfolge des Aufbau Ost, die positive Bilanz sonst in Gefahr gerät. Deshalb haben wir uns auf im Prinzip sechs Kernbereiche konzentriert, die nicht neu sind, die aber hoffentlich von der Bundesregierung beachtet werden, damit wieder mehr Dynamik entsteht.
Heinlein: Wo sind denn die Unterschiede zu Stolpe und seinem Expertenkreis?
Althaus: Bei Stolpe und seinem Expertenkreis sehe ich eigentlich nur ein Pendeln. Erstens haben wir uns ganz klar zur Verlängerung der Strukturpolitik Ziel 1-Gebiet ausgesprochen. Das ist neu. So ein Bekenntnis habe ich bisher von der Bundesregierung noch nicht gehört. Zweitens geht es um die Stärkung der Cluster. Das ist nicht neu und das wollen auch Herr von Dohnanyi und Herr Stolpe. Da geht es darum, die Forschung und Entwicklung, die produktiven Anlagen und die wirtschaftsnahe Infrastruktur im Umfeld dieser Cluster weiter zu stärken, weil man hier von Wachstum ausgehen kann. Drittens geht es darum, die Handlungsspielräume zu erhöhen, Planungs- und Genehmigungsrechte zu vereinfachen. Das kann für ganz Deutschland wichtig sein, aber hier können die neuen Länder eine Vorreiterrolle haben. Es geht viertens darum, die Arbeitsmarktreformen für die neuen Länder noch schneller auf den Weg zu bekommen, die Ausdifferenzierung der Tarife, aber auch die Flexibilität im Kündigungsschutzrecht bei Neueinstellungen und Existenzgründern. Es geht fünftens um den verstärkten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Gerade europäische Verkehrswege sind hier wichtig. Hier ist derzeit durch die Bundesregierung eher weniger geplant, wenn man die Mautkatastrophe und die Entscheidung im Blick auf den ICE sieht. Und es geht sechstens darum, den Technologietransfer zwischen Wissenschaft, Forschung und Mittelstand zu verstärken, auch durch konkrete Förderung.
Heinlein: Bleiben wir erst einmal bei dem Gesamteindruck, bevor wir vielleicht auf einzelne Punkte kommen. Korrigieren Sie mich: Stimmt der Eindruck, die Gemeinsamkeiten dieser sechs Punkte der Ostkonzepte von Regierung und Opposition sind größer als die Unterschiede im Detail?
Althaus: Auf jeden Fall! Es geht nur darum, endlich etwas zu tun, weil sonst der Abstand immer größer wird und das ist ja seit über sieben Jahren der Fall. Wenn vor über drei Jahren im Februar 2001 das Sonderprogramm verhallt ist und damals mit Wunsch und Wolke bezeichnet wurde, wäre es jetzt an der Zeit, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.
Heinlein: Wie groß ist denn die Chance, dass gemeinsam gehandelt wird, dass es eine Art parteiübergreifendes Konzept gibt von Regierung und Opposition für den Aufbau Ost?
Althaus: Also von unserer Seite sehr groß. Nur wenn die Regierung sich jedes Mal von Gewerkschaften, wie das gestern wieder passiert ist, Tabus einreden lässt, dann befürchte ich, dass immer nur geredet wird und nicht gehandelt wird. Es wäre also wichtig, dass jetzt zumindest einige dieser Punkte konsequent umgesetzt werden, damit eben dieser Wachstumsvorsprung in den jungen Ländern wieder zu verzeichnen ist, damit die Schere zusammengeht bei der Entwicklung.
Heinlein: Zu den Tabus der Bundesregierung scheint spätestens seit gestern die Einführung von Niedriglohnsektoren zu gehören. Die SPD hat hier anscheinend zurückgerudert. Ihre Partei dagegen hat sich gestern klar für ein System von Lohnzuschüssen usw. ausgesprochen. Was versprechen Sie sich denn von diesen Maßnahmen?
Althaus: An dieser Stelle muss ich wirklich sagen, über die Vergesslichkeit der Regierung bin ich mehr als erstaunt. Was will denn Hartz IV? Hartz IV will mit dem Arbeitslosengeld II die Möglichkeit zur Vermittlung arbeitsfähiger Arbeitsloser deutlich erhöhen. Das geht doch nur, wenn zukünftig nicht mehr die Priorität Lohnersatz oder Transferleistung steht, sondern wenn die Priorität heißt Vermittlung und möglicherweise auch Lohnergänzung. Da gibt es kein Spezialrezept, aber es wird so sein, dass zum Beispiel bei der Vermittlung von Arbeit oder auch gemeinnütziger Arbeit natürlich Sozialhilfeergänzungen notwendig sind, zum Beispiel durch Wohngeld. Nichts anderes haben wir im Dezember beschlossen. Es harrt immer noch die Umsetzung und ich verstehe nicht, dass wir auf diesem Feld so nachlässig sind, sondern wir sollten hier zügiger arbeiten, damit wirklich auch vor Ort mehr Arbeit wieder angeboten werden kann. Das geht nur, wenn der arbeitsfähige Arbeitslose am Ende ein höheres Einkommen hat, damit auch ein Anreiz gegeben ist, diese Arbeit aufzunehmen.
Heinlein: Aber dennoch unter dem Strich, wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie anders als die Bundesregierung Ostdeutschland zu einem Billiglohnland machen?
Althaus: Ganz im Gegenteil! Das wäre ja geradezu töricht. Unsere Chance im Wettbewerb liegt im technologischen Wachstum und hier liegen auch die Potenziale und hier werden wir glaube ich auch in den nächsten Jahren die Entwicklung erleben. Wir brauchen nur auch - und das ist ja das Ziel in diesem Sektor - die Vermittlung von Arbeit, wenn sie möglicherweise derzeit keine entsprechenden Einkommen sichert. Dann müssen natürlich entsprechende Ergänzungen durch Sozialhilfe oder Zuschüsse geleistet werden. Ich sage noch einmal: Das ist genau das Modell, das auch Hartz IV, sprich Arbeitslosengeld II am Ende einbringen will, wo ja immer noch überlegt wird, wie man das ganze umsetzt. Hier geht es also nicht um einen Niedriglohnsektor, sondern es geht um die Priorität. Lieber Lohnergänzung, statt ständig nur Lohnersatz und Transferleistung.
Heinlein: Zuschüsse bis auf das Niveau der Tariflöhne?
Althaus: Nein. Hier geht es ja auch darum - das steht ja in diesem Konzept, das wir vorgelegt haben -, dass beim Arbeitsmarkt die Spreizung der Tarife erreicht werden muss. Das heißt die Ausdifferenzierung der Tarife ist einbezogen. Es geht immer darum, dass derjenige, der Arbeit hat, mehr hat und deshalb auch ein Anreiz, diese Arbeit aufzunehmen. Deswegen muss eine entsprechende Erhöhung zum Stand des Arbeitslosengeldes II oder auch der Sozialhilfe natürlich erfolgen.
Heinlein: Ausdifferenzierung der Löhne sagen Sie. Das heißt doch aber im Klartext, im Osten wird dauerhaft weniger Geld verdient als im Westen und damit verschärft sich doch ein Kernproblem der neuen Länder, nämlich die Abwanderung in den Westen, denn die Menschen gehen dorthin, wo man genügend Geld, ausreichend Geld für die gleiche Arbeit bekommt?
Althaus: Nein. Bei Ausdifferenzierung geht es erstens um eine größere Flexibilität für die Unternehmen, damit sie nach ihren Betriebsergebnissen entsprechend im Blick auf Arbeitszeit, aber auch im Blick auf Einkommen entscheiden können. Hier brauchen wir keinen starren Rahmen durch Tarifverträge, sondern hier brauchen wir möglichst große Flexibilität. Es geht auch gar nicht nur um den Osten, aber ich sage noch einmal: der Osten muss hier einen Wachstumsvorsprung erreichen, damit die Schere wieder zusammengeht. Und wenn schon in ganz Deutschland das Reformieren so schwer fällt, weil wir uns an viele Besitzstände gewöhnt haben und gar nicht merken, dass sie uns zu einem erheblichen Arbeitsmarkt- und Wachstumsproblem werden, können die neuen Länder hier auch ein Stück vorangehen und es ist ein Punkt von sechs Punkten, bei dem ich glaube, dass er dauerhaft die neuen Länder auch in eine Vorteilsrolle bringt, um dadurch dem Wachstum mehr Dynamik zu vergeben.
Heinlein: Zu der von Ihnen geforderten Flexibilität für die Arbeitgeber in den neuen Ländern gehört auch die Aufhebung des Kündigungsschutzes oder zumindest die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Das haben Sie ja gestern formuliert. Aber diese Sonderregelungen gibt es doch heute schon. Es wird länger gearbeitet für weniger Geld in den neuen Ländern. Warum sollen diese Standards noch weiter runtergefahren werden?
Althaus: Nun heißt das ja nicht: all das, was wir aufschreiben, gibt es noch nicht. Aber bisher ist natürlich das Kündigungsschutzrecht relativ starr und wir wollen, dass zum Beispiel wenn neue Arbeitnehmer eingestellt werden oder wenn ein Existenzgründer Arbeitnehmer einstellt er mehr Freiheit hat, damit er einfach auch dem Markt entsprechend einstellen kann, möglicherweise auch ausstellen kann. Es ist sinnvoller, diese Flexibilität wirklich auch rechtlich zu gewähren, als immer nur über das Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu jammern. Ich glaube, dass das, was in den Unternehmen vor Ort entschieden werden kann, arbeitnehmerfreundlicher ist als das, was durch generelle unflexible Tarifverträge vorgelegt wird.
Heinlein: Einen Punkt haben Sie unter Ihren sechs Punkten genannt: das Ende der Gießkanne, das Ende der Flächenförderung. Die gezielte Förderung von Wachstumsregionen soll erfolgen. Warum soll denn das Geld künftig nur dahin fließen, wo es ohnehin aufwärts geht?
Althaus: Zum einen gehen natürlich von diesen Clustern entsprechende Impulse fürs ganze Land aus. Zweitens sind dort besonders zukunftsfähige Wirtschaften, die auch entsprechende Arbeitsplätze entwickeln, die dann Produkte und Dienstleistungen auch hervorbringen, die wirklich wettbewerbsfähig sind. Und es geht ja darum, dass wir dort eine enge Vernetzung zwischen Forschung und Entwicklung produktiver Anlagen und wirtschaftsnaher Infrastruktur erreichen. Es geht also darum, die Clusterbildung in den jungen Ländern weiter zu verstärken. Die Aufgabe der Länder bleibt es natürlich, dafür zu sorgen, dass insgesamt in allen Regionen eine entsprechende Wirtschaftsentwicklung vorankommt. Das heißt diese Konzentration bedeutet nicht eine Ausschließlichkeit, sondern bedeutet eine Verstärkung auf diese Cluster. Das ist auch zum Beispiel Landespolitik in Thüringen.
Heinlein: Herr Althaus, die Ökonomie bestimmt auch weitgehend die Demographie. Hier sieht es besonders schlecht aus für Ihr Bundesland, für Thüringen. Ihr Bundesland wird immer älter. Es werden kaum Kinder geboren. Die jungen Menschen wandern ab. Glauben Sie, dass die jetzt von Ihnen und von der Bundesregierung diskutierten Maßnahmen ausreichen werden, um diesen fatalen Trend zu stoppen?
Althaus: Ich bin sicher: Erstens liegen keine neuen Fakten auf dem Tisch, sondern mich wundert etwas die späte Erkenntnis. 60 Prozent Geburtenrückgang über die Wiedervereinigung ist ein Fakt, der uns seit über zehn Jahren bekannt ist. Im Gegenteil: die Geburten steigen wieder. Aber was wir brauchen ist Perspektive in Form der Arbeit und wir werden einen Arbeitsplätzebedarf haben bis zum Jahr 2010 in Thüringen allein von zusätzlich 160.000. Was wir machen müssen ist, heute der Jugend an Universitäten, Hochschulen und den Schulen deutlich machen, dass sie Chancen haben. Deshalb muss der Mittelstand stark mit Wissenschaft und Forschung sowie den Hochschulen verbunden werden, damit diese Chancen auch rechtzeitig erkannt werden, denn wir haben einen Markt in Deutschland. Der Markt geht um die besten Köpfe und wir müssen in diesem Markt erfolgreich sein, damit wir unsere Wachstumschancen gut suchen und auch besser nutzen können.
Heinlein: Also die Situation ist nicht so düster, wie sie im Moment gerade beschrieben wird?
Althaus: Nein. Deutschland liebt das ja, Pessimismus auszustreuen und mit Kassandra-Rufen den jungen Ländern jede Perspektive zu nehmen. Ich glaube in der Realität blüht sie mehr, als das öffentlich derzeit dargestellt wird, und die Bilanz des Aufbau Ost ist viel besser, als das öffentlich dargestellt wird. Deutschlands Problem ist die Wachstumsschwäche generell und wenn Deutschland Wachstumsschwächen hat liegt das daran, dass wir seit Jahren die notwendigen Reformen verschlafen im Blick auf Arbeitsmarkt, Steuern und Sozialstaat. Jetzt scheint es so zu sein, dass es ganz bequem ist, den Osten dafür verantwortlich zu machen. Ich glaube aber das ist etwas zu billig. Deutschland muss reformieren, so wie die Nachbarn in Europa auch, damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeit besser sichern. Nur dann können wir Wohlstand halten und Sozialstaat auch umbauen.
Heinlein: Der Ministerpräsident von Thüringen war das, Dieter Althaus, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Althaus, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!