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Althaus plädiert für vorgezogene Steuerreform

Heuer: Über gleich zwei Steuerreformen reden sich die Politiker und die Experten in diesen Tagen die Köpfe heiß: über die von der Bundesregierung bereits beschlossene Steuerreform, deren nächste Stufe im kommenden Jahr vorgezogen werden soll, aber vielleicht wegen Widerstands im Bundesrat nicht vorgezogen werden kann, und über die Steuerreform, die der CDU-Politiker Friedrich Merz jetzt vorgeschlagen hat. Das Merz-Modell hat nur noch drei Steuersätze. Die Bürger müssten deutlich weniger Steuern zahlen, gleichzeitig aber auch auf fast alle Steuervergünstigungen verzichten. Über seine steuerpolitischen Ziele möchte ich jetzt mit dem Christdemokraten und thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus sprechen. Guten Morgen, Herr Althaus.

    Althaus: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Sie sind für das Vorziehen der Steuerreform von Rot-Grün und Sie unterstützen das Merz-Modell. Hat Thüringen denn so viel Geld, dass Sie bereitwillig auf Steuereinnahmen verzichten können, Herr Althaus?

    Althaus: Nein, aber wir müssen dringend die sich abwärts drehende Einnahmespirale durchbrechen. Wir haben kein Wachstum mehr, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, und deshalb muss sowohl mit Blick auf den Arbeitsmarkt etwas passieren als auch mit Blick auf die Steuerpolitik, denn sie ist entscheidend, um wieder Wachstum zu generieren.

    Heuer: Erst einmal würde ja auch das Merz-Modell neue Lücken in die Haushalte reißen. Es geht immerhin um bis zu zehn Milliarden Euro Nettoentlastung für die Bürger. Wie soll denn das gegenfinanziert werden?

    Althaus: Ich denke, wir müssen beides tun. Wir müssen auf der einen Seite insbesondere für den Mittelstand die Senge nehmen, damit Wachstum entsteht, aber wir müssen bei der Steuerpolitik auch darauf achten, dass wir wieder eine größere Steuergerechtigkeit bekommen, dass diejenigen, die in Deutschland verdienen, auch Steuern bezahlen, dann wird Deutschland wieder attraktiver für Investoren. Wenn wir eine Steuerentlastung, so wie sie von Friedrich Merz vorgeschlagen wird, bekommen, haben wir auf der anderen Seite auch wieder eine größere Einzahlerzahl, denn dann wird es dazu kommen, dass weniger Menschen Deutschland verlassen, dass sie ihr Geld woanders anlegen, oder dass durch die vielen Subventions- und Befreiungstatbestände eine ganze Reihe von Steuern nicht eingenommen werden, weil Umwege gesucht werden.

    Heuer: Was Sie da beschreiben, Herr Althaus, wäre ja aber eher ein mittelfristiger Effekt: Zunächst einmal würde Geld in den Staatskassen fehlen. Noch einmal die Frage: Wie soll das gegenfinanziert werden? Durch neue Schulden?

    Althaus: Wir müssen diesen mittelfristigen Effekt abwarten. Natürlich brauchen wir bei der Gegenfinanzierung ein Mix: Wir müssen die Subventionen abbauen, dazu gibt es einen Vorschlag von den Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück. Wir müssen sicherlich auch noch darüber nachdenken, ob nicht die einen oder anderen Subventionen stärker abgebaut werden müssen. Außerdem muss es natürlich auch Neuverschuldung geben. Ich sehe keinen anderen Weg. Aber wir müssen an dieser Stelle endlich die rein haushaltsmäßige Betrachtung durchbrechen und Deutschland zukunftsfähiger gestalten. Das ist durch ein neues Steuerrecht auf jeden Fall möglich.

    Heuer: Auch in diesem Punkt sind Sie – denn es gibt ja eine ähnliche Debatte rund um das Vorziehen der Steuerreform – nicht ganz einig mit dem Rest Ihrer Partei, Herr Althaus?

    Althaus: Nein, es ist so, dass einige stärker die Haushaltsdisziplin sehen und sagen, wir dürfen uns das in dieser Situation nicht leisten. Gegen diesen Einwand sage ich: Wir dürfen nicht länger nur auf die Zahlen schauen. Es ist ja nicht so, dass wir Mehreinnahmen bekommen, sondern es zeigt sich, dass schon im zweiten Jahr in Folge die Steuereinnahmen zusammenbrechen. Also brauchen wir einen neuen Impuls für Wachstum und Beschäftigung. Ich glaube, dass das Vorziehen der Steuerreform, aber auch das Anbringen einer grundsätzlichen Steuerreform, Wachstum deutlich fördern kann. Wenn Wachstum entsteht, entstehen Arbeitsplätze. Außerdem braucht Deutschland auch den psychologischen Impuls, dass wir wieder bereit sind und in der Lage, wichtige Reformen umzusetzen.

    Heuer: Andere CDU-Politiker sind weniger mutig als Sie, und es gibt ja auch schon Kritik aus den eigenen Reihen an Merz Vorschlägen. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm zum Beispiel ist strikt dagegen, die Pendlerpauschale zu streichen. Sind die Thüringer weniger auf diese Steuererleichterungen angewiesen als die Brandenburger?

    Althaus: Nein, ganz im Gegenteil. Bei der jetzigen Steuerreformstufe, die die Bundesregierung vorschlägt, bin ich auch dafür, dass die Pendlerpauschale erhalten bleibt. Die Leute werden zu wenig entlastet, so dass man diese Subvention auf der anderen Seite gerade in Flächenländern braucht, sonst haben die Leute kein Geld in der Tasche, sondern es wird ihnen in die Tasche gesteckt, was aus der anderen Tasche herausgenommen wird. Wenn ich aber um eine grundsätzliche Steuerreform diskutiere, geht es ja darum, dass die Leute durch deutlich verringerte Steuersätze - 12, 24, 36, wie Merz vorschlägt - am Ende auch eine höhere Einnahme behalten. Dann kann man auch im gleichen Zug Steuervergünstigungen wie zum Beispiel die Pendlerpauschale. Das muss also Hand in Hand gehen, die Entlastung und die Belastung, so dass am Ende unterm Strich nicht mehr, sondern weniger Steuern bezahlt. Damit kann er dann auch die Subventionsabbautatbestände verkraften.

    Heuer: Andererseits aber macht ja auch Herr Merz Ausnahmen von der Regel, dass Subventionen und Steuervergünstigungen gestrichen werden sollen. Zum Beispiel ist in seinem Konzept nicht von der Streichung der Eigenheimzulage die Rede. Finden Sie das etwa gerecht?

    Althaus: Bei der Eigenheimzulage gibt es ja starke wirtschaftspolitische Impulse, da da durch die Bauindustrie gefördert wird, und es wird Eigentum geschaffen. Eigentum heißt auch, dass später gewisse Rentenmöglichkeiten unterstützt werden. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, im Detail noch über die Gesetzgebung zu sprechen, und dann wird auch noch einmal ein solcher Tatbestand diskutiert werden. Der Grundsatz, dass deutlich Transparenz ins System kommen und dass die Steuersystemgrößen endlich international vergleichbar werden, dass die Familiengerechtigkeit zunimmt und dass die Ausnahmetatbestände deutlich zurückgeschnitten werden, ist ein grundsätzlich positiver Ansatz. Man sollte jetzt die Steuerreformvorschläge nicht gleich zerreden, sondern sagen, wir gehen einen solchen Weg. Dann kann man im Detail auch noch über die einzelnen Schritte reden.

    Heuer: Genau diese Gefahr besteht doch aber, dass jetzt wieder alles zerredet wird. Wenn schon die ersten sich melden und sagen, wir wollen aber bestimmte Ausnahmen für uns haben, dann kommen auch andere Interessengruppen, und am Schluss kommt man nicht weiter.

    Althaus: Das ist vollkommen richtig. Deswegen muss man das Ziel beschreiben: ein deutlich vereinfachtes Steuerrecht. Man muss jetzt auch diesen Weg gehen und darf nicht schon wieder in einzelnen Interessengruppen dieses Ziel von vornherein in Frage stellen. Es ist Deutschland in den letzten Jahren immer gelungen, dass wichtige Reformen am Ende zerredet wurden. Wir haben nicht mehr die Zeit dazu, denn andere Länder in der Welt oder in Europa entwickeln sich rasant weiter, nur Deutschland stagniert bei wichtigen Reformen. Das wird dem deutschen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt erheblichen Schaden zufügen, wir spüren das jetzt schon. Deshalb muss man diese Reformbereitschaft stärken, und ich finde den Vorschlag von Friedrich Merz richtig, deswegen kann man noch über das Detail reden.

    Heuer: Haben Sie eine Vorstellung, bis wann dieses Merz-Modell durchsetzbar wäre, einmal vorausgesetzt, es ist überhaupt durchsetzbar? Haben Sie eine Zeitvorstellung, Herr Althaus?

    Althaus: Wenn wir uns einigen würden zum Beispiel im Kreise der Ministerpräsidenten und auch im Bundestag, über Koalition und Opposition hinweg ist das zügig machbar, also im Laufe der nächsten anderthalb Jahre. Ich halte es auch für zwingend, wenn man einen solchen Weg geht, dass man ihn zügig geht, denn es bringt Impulse, die mittelfristig wirken. Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass 2006 Bundestagswahlen sind. Dann muss man die Jahre 2004 und 2005 auch als Handlungsjahre nutzen.

    Heuer: Es gibt ja viel Kritik natürlich auch an dem Merz-Modell aus den Reihen der Regierungsparteien. Interesse am Merz-Modell hat hingegen Bundeskanzler Schröder bekundet. Er hat erneut zu einem Steuergipfel eingeladen. Angela Merkel und Edmund Stoiber haben wieder einmal abgewunken. Halten Sie das für einen Fehler?

    Althaus: Gespräche sollte man niemals absagen, sondern ich glaube, wenn wir uns einigen, in welche Richtung wir gehen und dazu Gespräche dienen, wäre ich dafür, dass man solche Gespräche durchführt. Jetzt hat Edmund Stoiber, so habe ich das verstanden, gesagt, er soll einmal konkrete Vorschläge auf den Tisch legen.

    Heuer: Das hat Herr Stoiber aber immer schon gesagt.

    Althaus: Ja, nur dazu liegt ja nichts auf dem Tisch. Die Bundesregierung hat ja den Gegenfinanzierungsvorschlag eingebracht, Eigenheimzulage kürzen und Pendlerpauschale. Insofern braucht es jetzt kein neues Gespräch. Der Vermittlungsausschuss wird im November und im Dezember das ganze Reformpaket und so auch die Steuerreform diskutieren. Da gibt es also keine Notwendigkeit, neue Gespräche zu führen. Ich bin aber dafür, sich durchaus darüber zu verständigen, ob wir nicht auch eine grundsätzliche Steuerreform durchsetzen. Ich sage noch einmal: Die Handlungsmöglichkeit besteht 2004 und 2005, und nach meiner persönlichen Überzeugung besteht auch der Handlungszwang, denn wir brauchen endlich wieder ein international wettbewerbsfähiges Steuerrecht. Das wäre aller Mühe wert, auch das Gespräch mit dem Bundeskanzler.

    Heuer: Herr Althaus, nur noch einmal zur Sicherheit: Verstehe ich das richtig, dass Sie für einen Steuergipfel sind, wenn über das Merz-Modell und ähnliche Vorschläge gesprochen wird, aber nicht, was das Vorziehen der Steuerreform angeht - da haben Sie Ihre Meinung geändert?

    Althaus: Nein, wenn grundsätzlich diskutiert wird, bin ich schon dafür, dass wir ein solches Gespräch führen. Die Einladung muss der Bundeskanzler vornehmen, denn er hat das Gespräch in die Öffentlichkeit gebracht. Dort sollten zwei Dinge besprochen werden: das Vorziehen der Steuerreform – hier braucht es neue substantielle Vorschläge des Bundeskanzlers, dann kann man auch diskutieren – und zweitens, ob wir uns gemeinsam auf den Weg machen, eine grundsätzliche Steuerreform anzugehen, denn das braucht die Mehrheit von Bundesrat und Bundestag und damit von CDU/CSU und SPD und den Grünen. Wenn wir uns dazu verständigen würden, wäre das ein ganz wichtiger Reformimpuls für Deutschland.

    Heuer: Peer Steinbrück, der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, hat einen Vorschlag gemacht, wie man eine vorgezogene Steuerreform gegenfinanzieren könnte. Er sagt, der Bund und die Länder sollen sich gesetzlich verpflichten, die dafür notwendige Nettokreditaufnahme binnen drei Jahren zurückzuzahlen. Würde Thüringen da mitmachen?

    Althaus: Ich halte das für einen ganz wichtigen Vorschlag, damit die Leute, aber auch die Politik, sehen und die Politik sich verpflichtet, dass der Wachstumsimpuls, der aus einer veränderten Steuerpolitik heraus wirksam wird, nicht wieder investiert wird, wenn er Mehreinnahmen bringt, sondern dass er wirklich zur Gegenfinanzierung genutzt wird. Ich gehe in Thüringen ähnlich vor. Wenn ich zum Beispiel das Vorziehen gegenfinanzieren und die Neuverschuldung erhöhen müsste, würde ich deutlich machen, dass ein Teil dieser Neuverschuldung natürlich sofort kompensiert werden muss, sobald Mehreinnahmen zur Verfügung stehen.

    Heuer: Der christdemokratische Ministerpräsident in Thüringen, Dieter Althaus, im Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Althaus, und einen schönen Tag.

    Althaus: Danke schön, Frau Heuer.