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Althistoriker Meier im Dlf
„Die Germanen sind ein Mythos“

Der Tübinger Althistoriker Mischa Meier hat für einen neuen Volksbegriff geworben. Die Wissenschaft gehe schon länger nicht mehr davon aus, dass Völker unveränderliche Einheiten seien, sagte Meier im Dlf. Völker seien nicht mehr mit festen Grenzen verbunden, es gebe ständig Migrations- und Veränderungsprozesse.

Mischa Meier im Gespräch mit Britta Fecke |
    Germanen im Wald bei einer rituellen Opferung.
    Germanen im Wald bei einer rituellen Opferung. (imago / United Archives)
    Heute könne keine gemeinsame Kultur und kein "Volksgeist" mehr vorausgesetzt werden, sagte der Althistoriker Mischa Meier im Dlf. Das "Volk" sei ab dem 19. Jahrhundert als eine Art Familie definiert worden, mit gemeinsamer Herkunft und enger Kohärenz, als eine Gruppe von Menschen, die sich "gemeinsam in Bewegung setzen und gemeinsam irgendwo ankommen" konnten. Das sei nicht mehr so und werde in der Forschung auch nicht mehr so betrachtet.
    "Die Germanen waren eine Erfindung Cäsars"
    Meier wies darauf hin, dass auch der Begriff der "Germanen" auf einer "künstlichen und schematischen Einteilung" in der Antike basiere: "Cäsar hat die Germanen erfunden", so Meier. Er habe die Menschen entlang der Rheinlinie wider besseren Wissens geteilt zwischen Kelten und Germanen. Wer heute von "den Germanen" spreche, müsse erstmal klären, was er damit meine.
    Im 19. Jahrhundert sei diese Einteilung genutzt worden, um ein deutsches Nationalbewusstsein zu formen. Der Begriff sei mythisiert worden, weil sich damit Herkunftsfragen verbänden: Die Suche nach der eigenen Geschichte und des eigenen Ursprungs. Nicht nur Völker bräuchten Mythen, so Meier, sondern jede größere Gruppe, die versuche, einen Zusammenhalt herzustellen, "braucht Narrative, die in die Vergangenheit reichen und besondere Ereignisse, spektukaläre Siege, die sie zum Ausgangspunkt für kollektive Identitäten nehmen können".
    "Die Völkerwanderung wurde zur Grundlage für die deutsche Nation"
    So sei auch der Begriff der Völkerwanderung zu Unrecht auf die sogenannten Germanen zentriert worden, obwohl man gar nicht sagen könne, wer die Germanen gewesen seien. "Die Völkerwanderung wurde erst im 19. Jahrhundert mit Sinn aufgeladen", sagte Meier. Demnach seien die Germanen ins römische Reich eingefallen, hätten es erneuert, schließlich überwunden und eigene Staaten gegründet. "Damit wurde die Grundlage für die eigene deutsche Nation gelegt", so Meier. Mit Sicherheit seien aber auch ganz andere Gruppen unterwegs gewesen. Die Hunnen etwa hätten die Völkerwanderung mit ausgelöst. Auch die arabische Expansion gehöre in letzter Konsequenz dazu.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.