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Altmaier: Das Haftungsrisiko für Deutschland kann größer und kleiner werden

"Es gibt nicht den einen großen Gipfel, es gibt nicht den Urknall, nach dem alle Probleme gelöst sind", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Peter Altmaier vor der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm. Eine mögliche Erhöhung des deutschen Haftunsrisikos von 211 Milliarden Euro durch einen "Schuldenhebel" schloss er nicht aus.

Peter Altmaier im Gespräch mit Silvia Engels | 26.10.2011
    Engels: Und am Telefon begrüße ich Peter Altmaier, erster parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Guten Morgen!

    Peter Altmaier: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Machen die deutschen Parlamentarier den Europäern die Entscheidungen zur Euro-Stabilisierung noch schwerer als nötig?

    Altmaier: Ganz im Gegenteil. Wir haben hier eine Regelung, die es uns erlaubt, sehr kurzfristig die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Das war in der letzten Woche deshalb nicht möglich, weil es aus Brüssel nichts zu entscheiden gab, weil die Vorarbeiten noch nicht so weit waren, und wir haben dann gesagt, dann muss im Zweifel Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. Wir haben damit erreicht, dass wir jetzt eine vernünftige Entscheidungsgrundlage haben. Die Bundeskanzlerin wird heute mit einem klaren und ganz breiten Mandat des Deutschen Bundestages gestärkt nach Brüssel fahren.

    Engels: Aber letztendlich waren natürlich diese Verzögerungen mit maßgeblich dafür, dass es überhaupt zwei Gipfel geben musste.

    Altmaier: Ja, aber das hing daran, dass wir eben vor dem ersten Gipfel noch nicht wussten, welche Lösung denn für den effizienten Gebrauch des Euro-Rettungsschirms gewählt wird. Das hat unter Umständen dann auch Auswirkungen auf das Geld, was dort eingezahlt wird. Und wir wollten schon sehr genau wissen, was es für die Stabilitätskultur in Europa bedeutet, wenn wir diesen Schirm in Anspruch nehmen. Das ist auch das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Inzwischen haben wir diese Klarheit und das hat nun dazu geführt, dass wir die Ampel auf grün stellen, und ich bin überzeugt, wir werden sehr gute und wegweisende Beschlüsse auf diesem Gipfel erleben.

    Engels: Aber auch nun stimmt ja der Bundestag wieder über einen Zwischenstand ab. Es werden zwei Modelle, die sich der Bundestag beide vorstellen kann, wohl beschlussfähig werden, wo eben über diese beiden Modelle auf verschiedene Art und Weise das Kreditvolumen des Euro-Rettungsschirms vergrößert werden kann. Aber letztlich entscheiden die Regierungschefs in Europa und über die endgültige Modellauswahl stimmt dann am Ende doch wieder nur der Haushaltsausschuss ab. Warum also jetzt im Vorfeld dieses Hin und Her?

    Altmaier: Nun, damit klar ist, auf was wir uns einlassen. Wenn wir in Brüssel Entscheidungen treffen, dann stehen wir anschließend auch dazu und werden sie dann im Haushaltsausschuss umsetzen, wenn sie sich in diesem Rahmen bewegen. Aber es musste vorher klar sein, in welche Richtungen die Entscheidungen gehen. Im Übrigen ist es ja so: die Krise, die wir haben in einigen Ländern wie Griechenland und anderen, die ist ja nicht über Nacht entstanden und sie kann nicht über Nacht gelöst werden. Es geht hier um Fehler, die in 30 Jahren gemacht worden sind, übrigens nicht nur in Griechenland, auch in vielen anderen Ländern, teilweise auch in Deutschland, und deshalb wird es eine ganze Zeit dauern, bis wir Europa wieder so auf die richtigen Gleise gesetzt haben, dass diese Probleme gelöst werden können. Es gibt nicht den einen großen Gipfel, es gibt nicht den Urknall, nach dem alle Probleme gelöst sind, sondern es geht um geduldiges und beharrliches Arbeiten.

    Engels: Und wenn die Opposition im Bundestag am Ende nach dem Gipfel doch ein größeres Haftungsrisiko als die ja derzeit in Rede stehenden deutschen 211 Milliarden Euro sieht, also Gefahren, dass da mehr gezahlt werden muss, dann stimmt am Ende doch wieder das ganze Parlament ab?

    Altmaier: Ich weiß nicht, was die Opposition tun wird, aber wir haben erlebt, dass sich, glaube ich, alle bis auf die Linkspartei heute ihrer Verantwortung bewusst sind. Deshalb gibt es aller Voraussicht nach eine breite, partei- und fraktionsübergreifende Mehrheit.
    Der zweite Punkt ist: es wird von niemandem, bei den Grünen, bei der SPD, auch nicht bei der CDU/CSU, bestritten, dass die Haftungsobergrenze für Deutschland unverändert bleibt. Wir werden nicht mehr Geld in diesen Fonds einzahlen, als wir vor einigen Wochen beschlossen haben. Das ist eine ganz wichtige Nachricht. Das wird auch von niemandem in Frage gestellt und wir werden auch in Brüssel keiner Lösung zustimmen, die etwas anderes bedeuten würde.

    Engels: In dem gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen steht aber heute auch erstmals deutlich drin, dass durch die Hebelung die deutsche Haftungssumme von 211 Milliarden Euro für den Fonds zwar nicht steigt, wohl aber das Risiko, dass sie auch gebraucht wird. Warum haben sie das nicht früher zugegeben?

    Altmaier: Da haben Sie den Text, muss ich leider korrigieren, nicht ganz korrekt zitiert. Es steht drin, dass sich das Haftungsrisiko verändern kann. Das gilt aber in beide Richtungen. Es kann größer und es kann kleiner werden.

    Engels: Das beruhigt den Steuerzahler bestimmt kolossal!

    Altmaier: Nein! Der Steuerzahler weiß, er wird nie mehr mit mehr Geld haften als mit dem, was er gezeichnet hat. Und nun stellt sich die Frage, wie wir dieses Geld flexibler einsetzen. Das ist ja das Ziel, mit dem Geld des Steuerzahlers mehr Stabilität in Europa zu erreichen. Deshalb nehmen wir zum Beispiel privates Geld, das weltweit dafür zur Verfügung steht, mit an Bord, deshalb sorgen wir dafür, dass Versicherungslösungen gemacht werden können, und dann führt es eben nicht zu einer automatischen Steigerung des Risikos, sondern das hängt von der jeweiligen Ausgestaltung ab. Und am Ende bin ich überzeugt, dass es auch viele Fälle gibt, wo das Risiko sinken wird. Im Übrigen sagen alle, mit dieser Lösung, die wir heute beschließen, wird die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zum schlimmsten kommt, dass dieses Risiko eintritt, wesentlich geringer, und das ist doch, glaube ich, die große Botschaft und die wichtige Botschaft des heutigen Tages. Ohne das hätten wir vermutlich auch nicht diese breite fraktionsübergreifende Mehrheit erreicht.

    Engels: Wir sprechen mit Peter Altmaier (CDU/CSU-Fraktion). – Herr Altmaier, der gemeinsame Entschließungsantrag zu den Leitlinien wird eine breite Mehrheit sichern, das ist klar. Jetzt kommt die Frage, die Sie gar nicht mögen: Wird denn auch die eigene absolute Mehrheit von Union und FDP stehen?

    Altmaier: Wir haben immer gesagt bei allen Abstimmungen, dass wir als Koalition eine eigene Mehrheit aufbieten wollen und werden. Das wird auch diesmal so sein. Die Frage, ob es dann darüber hinaus eine sogenannte absolute Mehrheit gibt, die nur in ganz wenigen Fällen und sicher nicht in diesem vom Grundgesetz vorgeschrieben ist, das ist eine rein theoretische Frage. Es ist so: wir haben gestern in der Fraktion abgestimmt, es gab sogar weniger Neinstimmen als beim letzten Mal. Allerdings ist es auch so, dass der eine oder andere Kollege aufgrund des ungewöhnlichen Debattentages Mittwoch nicht mehr rechtzeitig zurückkommen konnte. Der Verkehrsminister hat wichtige deutsche Interessen in China vertreten, das geht dann nicht, innerhalb von zwei Stunden umzuplanen. Es ist auch ein Kollege erkrankt, dem wir gute Besserung wünschen. Also ich glaube, dass wir eine klare breite Mehrheit haben werden und eine klare deutliche eigene Mehrheit der Koalition. Das sind zwei starke Signale der Handlungsfähigkeit.

    Engels: CSU-Chef Seehofer war ja zuletzt im Streit um die Steuerpolitik sehr unzufrieden. Müssen Sie gegebenenfalls bei der EFSF-Abstimmung eine Retourkutsche von Teilen der CSU fürchten?

    Altmaier: Nein! Wir sind uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam unserer Verantwortung bewusst. Wenn Sie sich einmal die Abstimmungen der letzten eineinhalb Jahre ansehen, dann werden Sie feststellen, dass die Unions-Fraktion in jeder dieser Abstimmungen mit großer Geschlossenheit votiert hat. Das gilt für CDU und für CSU gleichermaßen. Das ist auch gestern noch mal in der Fraktionssitzung und in den Gremien deutlich geworden. Ich bin überzeugt, diese Einigkeit der Haltung gilt nicht nur für die CDU, sie gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Wir haben eine Führungsverantwortung auch in der deutschen Politik als die größte politische Kraft, und diese Führungsverantwortung werden wir heute wahrnehmen.

    Engels: Und haben Sie Verständnis für Unions-Abgeordnete wie Herrn Bosbach oder Herrn Willsch, die aus Gewissensgründen wohl zum zweiten Mal den EFSF in dieser Form ablehnen werden?

    Altmaier: Die Gewissensfreiheit ist ja im Grundgesetz verankert und die haben wir immer respektiert, auch gegenüber dem Kollegen Bosbach und dem Kollegen Willsch. Ich weise allerdings darauf hin, dass man sehr wohl zu seinem Gewissen stehen kann und trotzdem auch eine solche Abstimmung dann im Sinne der eigenen Koalitions- und Regierungsmehrheit unterstützen kann. Das ist in der deutschen Parlamentsgeschichte viele hundert und tausend Mal geschehen, denken Sie an Regierungen wie Rot-Grün oder auch frühere CDU/FDP-Regierungen, die ganz kleine Mehrheiten im Parlament hatten. Die sind dann trotzdem immer wieder geschlossen in der Lage gewesen abzustimmen, weil eben das eine die persönliche eigene Meinung ist, die kann man zum Ausdruck bringen, aber anschließend geht es dann natürlich auch um ein politisches Signal der Unterstützung der Regierung. Und ich habe den Kollegen Bosbach und den Kollegen Willsch so verstanden, dass sie im Übrigen auch unabhängig von ihrem Stimmverhalten diese Regierung unterstützen und zum Erfolg führen möchten. Da ist sich die gesamte Union einig und das ist eine gute Voraussetzung für die nächsten beiden Jahre.

    Engels: Peter Altmaier, der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Vielen Dank für das Gespräch.

    Altmaier: Ich danke Ihnen.

    Engels: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.