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Altmaier will europaweite Debatte um Atomausstieg

Die EU-Kommission hat nach Ansicht von Bundesumweltminister Altmaier den hohen Sicherheitsstandard der deutschen Atomkraftwerke grundsätzlich bestätigt. Man sei im europäischen Vergleich gut aufgestellt. Dennoch wolle er "einen Klub von Ländern" initiieren, der sich der Durchsetzung der erneuerbaren Energien verschreibe.

Peter Altmaier im Gespräch mit Silvia Engels | 02.10.2012
    Silvia Engels: Über ein Jahr lang hat die EU-Kommission Erkenntnisse über insgesamt 134 Atomkraftwerke in Europa gesammelt. Es ging nach dem Unfall in Fukushima darum, herauszufinden, ob die europäischen Meiler Katastrophen wie das Erdbeben und die Tsunami in Japan 2011 ohne nukleare Gefahr für die Umgebung überstehen würden. Die Ergebnisse dieses Stresstests will morgen EU-Energiekommissar Oettinger in der Kommission diskutieren, doch Einzelheiten sind schon bekannt.

    Am Telefon mitgehört hat Bundesumweltminister Peter Altmaier von der CDU. Guten Morgen, Herr Altmaier.

    Peter Altmaier: Guten Morgen!

    Engels: In dem Entwurf für den Bericht heißt es auch, praktisch alle Anlagen bedürfen "verbesserter Sicherheitsmaßnahmen". Was heißt das speziell für die deutschen Nuklearanlagen?

    Altmaier: Nun, Sie haben ja richtig gesagt, es ist ein Entwurf eines Berichts. Dieser Entwurf ist weder beschlossen, noch veröffentlicht. Insofern sollten wir diesen Moment abwarten und ihn dann kommentieren. Ich will aber daran erinnern, dass seinerzeit vor einem Jahr Deutschland sehr darauf gedrungen hat, diese Stresstests durchzuführen. Wir waren diejenigen, die auch darauf bestanden haben, dass es Untersuchungen und Tests und Bewertungen sind, die diesen Namen verdienen, und insofern freue ich mich, dass die EU-Kommission nach einem Jahr jetzt in den nächsten Tagen oder Wochen mit konkreten Ergebnissen kommt.

    Der zweite Punkt ist: Nach allem, was ich bisher weiß, ist es so, dass der hohe Sicherheitsstandard von deutschen Kernkraftwerken grundsätzlich bestätigt wird. Wir haben immer gesagt, dass wir im Vergleich auch zu anderen Anlagen in Europa gut aufgestellt sind. Das wird, wenn ich das richtig einschätzen kann, auch im wesentlichen bestätigt. Und wenn dann die Untersuchungen vorliegen und es sich ergibt, dass auch in Deutschland das eine oder andere moniert wird, dann wird man darüber offen zu diskutieren haben. Ich werde mich dieser Debatte stellen und ich werde dann auch auf diesen Bericht reagieren und ich werde im übrigen darauf bestehen, dass dieser Bericht nicht in anderen Mitgliedsstaaten ad acta gelegt wird, sondern dass es auch dort eine Debatte gibt über die Frage, welche Konsequenzen damit verbunden sind.

    Engels: Aber der derzeitig vorliegende Entwurf des Berichts, der kursiert, der auch uns vorliegt, der ist Ihnen mittlerweile auch zugänglich?

    Altmaier: Noch einmal: Es ist ein Unterschied, ob der Deutschlandfunk im Rahmen seiner Rolle als Organ der Medien solche Berichte kommentiert und heranzieht und zitiert, bevor sie öffentlich gemacht worden sind, oder ob der Bundesumweltminister als Vertreter eines Mitgliedsstaates sich zu einem Dokument äußert, das die Kommission noch nicht einmal beschlossen hat. Da geht es auch um die Kleiderordnung und da bitte ich herzlich um Verständnis. Aber ich darf Ihnen versichern: Wir werden diesen Bericht, sobald er beschlossen ist, nicht nur öffentlich diskutieren, wir werden ihn auch sehr ernst nehmen.

    Engels: Gut, das zur Reihenfolge. – Auf der anderen Seite sind da natürlich einige Aspekte drin, die auch grundsätzlich jetzt schon im Vorfeld bemängelt wurden, zum Beispiel, dass nicht in allen Atomkraftwerken Erdbeben-Warnsysteme installiert seien. Das beträfe auch die deutschen AKW. Das dürfte für Sie ja auch keine Neuigkeit sein. Wollen Sie denn darauf reagieren?

    Altmaier: Zunächst einmal muss man sehen, dass wir ja beim Bau der AKW auch in Deutschland uns durchaus mit der Frage von Erdbeben seinerzeit beschäftigt haben. Da ging es allerdings immer um die Frage, welche Erdbeben sind denn an einem bestimmten Standort zu erwarten oder möglich. Und die Frage ist, wenn man nun an einem Standort baut, an dem es aller Voraussicht nach und aller Wahrscheinlichkeit nach keine Erdbeben gibt, weil es die auch in der Vergangenheit nicht gegeben hat, ist die Frage, welche Standards man dann zugrunde legen muss, ob man dann bestimmte Annahmen gleichwohl treffen muss. Darüber wird diskutiert, das werden wir uns anschauen und wir werden dann entsprechend darauf reagieren.

    Also ich will an der Stelle auch noch mal sagen: Wir haben diese Stresstests ja auch bewusst so angelegt, dass es vor allen Dingen darum geht, wie man auch auf theoretische und hypothetische Fragen vorbereitet ist. Insofern geht es nicht nur um ganz konkrete Mängel, sondern es geht auch um die Frage, wie ist diese Technologie denn für eine völlig ungewisse Zukunft zu verantworten. Das war ja mit der Grund, warum Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen ist, warum wir acht Kernkraftwerke in Deutschland seinerzeit abgeschaltet haben und die übrigen bis zum Jahre 2022 ebenfalls abschalten werden, weil wir gesagt haben, auch der Tsunami in Fukushima war ein extrem unwahrscheinliches Ereignis, er ist trotzdem eingetreten, und deshalb halten wir diese Technologie auf Dauer nicht für beherrschbar und nicht für vertretbar. An dieser Einschätzung hat sich im übrigen nichts geändert.

    Engels: Nun ist es so, dass der Entwurf der Mängelliste gerade den französischen Atomkraftwerken ein relativ schlechtes Zeugnis ausstellt. Das werden Sie wahrscheinlich nicht direkt kommentieren wollen. Nun sehen wir aber, dass das AKW Fessenheim in der Nähe des Elsass nun 2016 vom Netz gehen soll. Im AKW Cattenom gab es gestern wieder einen Zwischenfall, der dazu führte, dass ein Reaktor vom Netz musste. Kann man das Risiko auch gerade mit Blick auf Frankreich noch ein paar Jahre überhaupt eingehen?

    Altmaier: Erst einmal ist es so, dass die französische Regierung in der Tat angekündigt hat, dass sie Fessenheim bald abschalten will. Das ist aus deutscher Sicht eine gute Nachricht, weil Fessenheim der älteste französische Reaktor ist und deshalb auch richtigerweise nicht länger am Netz bleiben soll nach 2016. Die zweite Frage ist, dass wir in Frankreich im Augenblick eine ganz interessante Entwicklung haben, weil die neue französische Regierung durch den deutschen Atomausstieg inspiriert angekündigt hat, den französischen Anteil von Kernkraftwerken an der Stromversorgung zu reduzieren in den nächsten Jahren – in einer ähnlichen Größenordnung, wie wir das in Deutschland tun. Nur bedeutet in Deutschland das Herunterfahren von 25 Prozent Kernkraft an der Stromversorgung, dass wir alle Kernkraftwerke stilllegen; in Frankreich ist der Anteil viel höher, 75 Prozent, das heißt, dann wären immer noch 50 Prozent Anteil Kernkraftwerke.

    Das ist nach europäischem Recht Sache jedes einzelnen Landes, dies selbst zu entscheiden. Trotzdem bin ich mit meiner französischen Kollegin im Dialog, vor allen Dingen auch, wenn es darum geht, die deutschen Erfahrungen mit der Energiewende auch für Frankreich interessant und anwendbar zu machen. Ich glaube, je attraktiver unsere Energiewende ist, je mehr die Menschen sehen, dass man mit erneuerbaren Energien auch ein Industrieland wettbewerbsfähig mit Strom versorgen kann, desto stärker werden die Diskussionen in Ländern wie Frankreich. Wir erleben ja, dass in Frankreich, in Belgien, in der Schweiz, aber auch in Japan zunehmend über die Frage eines Ausstiegs aus der Atomenergie diskutiert wird.

    Engels: Soweit zur Entwicklung in Frankreich. – In dem Bericht – so viel kann ich Ihnen verraten – wird auch die Effizienz der Nuklearaufsicht kritisiert, auch die Koordination auf europäischer Ebene. Muss sich da noch etwas tun, oder vielleicht auf deutscher föderaler Ebene?

    Altmaier: Ja, wir haben ja im Augenblick auch eine Richtlinie der Europäischen Union, die wir umsetzen müssen, und das bedeutet, dass wir uns mit den Fragen der Aufsicht noch einmal intensiv zu beschäftigen haben. Ich glaube, dass wir bei uns auch hier relativ gut aufgestellt sind. Es ist in anderen Mitgliedsstaaten ganz offenbar so, wenn ich die bekannt gewordenen Informationen richtig deute, dass es darüber in den nächsten Wochen noch Diskussionen auch dort öffentlich geben wird.

    Engels: In dem Entwurf des Berichts werden auch zusätzliche Kosten für die Sicherheitsstandards pro Reaktor veranschlagt. Da ist eine relativ breite Spanne von 30 bis 200 Millionen Euro pro Reaktor veranschlagt. Ob diese Zahlen genau zutreffen, weiß man natürlich noch nicht genau, weil Sie es nicht direkt kommentieren wollen. Aber nehmen wir an, es wäre an der unteren Grenze von 30 Millionen pro Reaktor, sind die Betreiber und ist auch die Bundesregierung auf solche Kosten vorbereitet?

    Altmaier: Also noch einmal: Wir müssen die Vorlage des Berichts abwarten. Ich habe immer gesagt, es muss dann über diesen Bericht diskutiert werden. Es muss dann im übrigen geschaut werden, um welche Reaktoren handelt es sich, handelt es sich um Reaktoren, die innerhalb weniger Jahre ohnehin abgeschaltet werden - Sie wissen, dass wir ab 2015 weitere Reaktoren in Deutschland abschalten werden -, oder handelt es sich um Reaktoren, die wie in Frankreich teilweise noch unbegrenzt und sehr lange am Netz bleiben, dass wir dann darüber zu entscheiden haben, in welchem Umfang solche Nachrüstmaßnahmen durchgeführt werden.

    Engels: Könnten wir uns mit diesem Bericht auf den Weg begeben, dass in Europa die Einsicht wächst, dass diese Atomtechnologie letztlich nicht im Griff zu halten ist?

    Altmaier: Ja in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Wir haben mit dem Ausstiegsbeschluss in Deutschland Maßstäbe gesetzt auch für Europa und weltweit. Wir haben in vielen Ländern gesehen, dass in den letzten Monaten Neubaupläne für Kernkraftwerke auf Eis gelegt wurden. Es gibt Diskussionen über einen völligen Ausstieg in den Ländern, die ich Ihnen bereits genannt habe. Und ich meine, wir müssten jetzt den nächsten Schritt gehen, nämlich dafür zu sorgen, dass die erneuerbaren Energien und ihre Vorteile auch stärker in den Ländern erkannt werden, die heute noch auf Kernkraft setzen. Das ist die Kraft des Arguments, auf die wir bauen, und das bedeutet, dass wir international stärker zusammenarbeiten müssen. Ich werde einen Klub von Ländern initiieren, der sich der Durchsetzung der erneuerbaren Energien verschreibt. Ich habe darauf bereits sehr positive Reaktionen auch aus unseren wichtigen Nachbarländern in der Europäischen Union und deshalb bin ich überzeugt, dass die Entwicklung, die wir mit dem Ausstiegsbeschluss begonnen haben vor einem Jahr, auch international am Ende ihre Ergebnisse zeitigt.

    Engels: Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Altmaier: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.