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Alzheimer
Arznei könnte Symptome rückgängig machen

Zeichen von Alzheimer werden erst sehr spät sichtbar. Den Krankheitsverlauf zu verhindern, ist vermutlich deswegen bislang in wissenschaftlichen Versuchen gescheitert. Forscher vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen versuchen nun, Symptome der Krankheit rückgängig zu machen. Gelingen soll das durch Veränderung der Epigenetik von Nervenzellen.

Von Anneke Meyer | 02.05.2017
    Eine Demenzkranke Frau legt die Karten eines Spiels zu dem Satz "wer bin ich" zusammen.
    Eine Demenzkranke Frau legt die Karten eines Spiels zu dem Satz "wer bin ich" zusammen. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Schlüssel verlegt, Portemonnaie vergessen und wo war noch einmal das Auto geparkt? Wenn klar ist, da steckt mehr dahinter als normale Altersvergesslichkeit, hat die Krankheit schon vor 20 bis 30 Jahren begonnen. Über eine Million Deutsche leben derzeit mit der Diagnose Alzheimer. Geforscht wird viel. Hilfe gibt es bisher wenig, erklärt André Fischer vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Göttingen:
    "Mit Therapien, die ursächlich sind, das heißt, die den Krankheitsverlauf verhindern sollen, ist man eigentlich zu spät und das haben wir gesehen in den letzten Jahren in den klinischen Versuchen, die liefen. Die sind alle gescheitert. Wahrscheinlich, weil man die Patienten viel zu spät behandelt hat. Wir brauchen also regenerative therapeutische Strategien, die dafür sorgen, dass die Nervenzellen, die jetzt krank sind, einfach wieder besser funktionieren und der Patient dann eben tatsächlich auch wieder selbstständig leben kann."
    Rückgängig machen statt verhindern. Wie soll das funktionieren? Zahlreiche Faktoren tragen dazu bei, ob jemand Alzheimer bekommt oder nicht. Manche Gene können eine Erkrankung wahrscheinlicher machen. Viel öfter aber ist eine Vielzahl verschiedener Umwelteinflüsse verantwortlich. Diese Lebensbedingungen und -gewohnheiten hinterlassen Spuren auf dem Erbgut. Sie verändern die Struktur der DNA, und beeinflussen damit das sogenannte Epigenom.
    "Epigenetik ist wie so eine Art Lesezeichen, wenn man sich das Genom als Buch vorstellt, das dem Leser dann eben sagt, wo war ich jetzt gerade oder welches Kapitel muss ich eigentlich aufschlagen."
    Bei alzheimerkranken Nervenzellen sind durch Umwelteinflüsse Lesezeichen an Stellen gerückt, wo sie nicht hingehören. Das verändert den Zell-Stoffwechsel, verhindert, dass sich neue Nervenverbindungen bilden und beschränkt letztlich das Lern- und Erinnerungsvermögen.
    Alzheimerkranken Mäusen konnte eine Krebsmedikament helfen
    Gelänge es, die krankmachenden epigenetischen Signaturen wieder zu ordnen, müsste sich auch der Stoffwechsel normalisieren. Die Zelle funktioniert wieder. In der Krebstherapie werden solche epigenetischen Therapieansätze schon länger untersucht. André Fischer und seine Kollegen haben gezeigt, dass hier auch Potenzial für die Behandlung von akutem Alzheimer liegt:
    "Da haben wir ein bisschen Glück gehabt, es gibt da dieses Krebsmedikament, das heißt Vorinostat und das setzt interessanterweise genau an diesen Schaltstellen an, die auch beim Alzheimerpatient im Gehirn offenbar umgelegt worden sind. Also das stellt diese epigenetischen Faktoren zurück. Und im Tiermodell kann man sich eben auch Kognition anschauen und dann sieht man tatsächlich, dass die Tiere eben wieder neue Dinge lernen können, sich an Erlerntes, was sie vergessen hatten, wieder erinnern können und dass zum Beispiel entzündliche Prozesse weniger werden und tatsächlich auch die Kommunikation der Nervenzellen untereinander wieder deutlich besser ist."
    Ein schöner Erfolg – wenn auch zunächst nur für alzheimerkranke Mäuse. Von der Maus bis zum Mensch braucht eine Therapie schon mal zehn Jahre. In diesem Fall könnte es aber etwas schneller gehen. Als zugelassenes Krebsmedikament ist Vorinostat bereits auf Unbedenklichkeit für den Menschen geprüft.
    "Das ist der große Vorteil dieses Medikamentes, das heißt, man kann das jetzt ohne sehr großen Aufwand direkt an Alzheimer-Patienten testen; und das passiert jetzt."
    Die Behörden haben den Versuch bereits genehmigt. Die Finanzierung ist gesichert. 80 Patienten nehmen an der Pilotstudie teil. Wichtigstes Ziel ist es zunächst zu zeigen, dass die epigenetische Strategie auch beim Menschen aufgeht. Sollte sich die Hoffnung tatsächlich bewahrheiten, könnten Alzheimer-Patienten zwar nicht auf Heilung hoffen, aber auf ein weitestgehend symptomfreies Leben.