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Am Ende des römischen Weltreichs

Konstanza, die zweitgrößte Stadt Rumäniens, nennt sich selbst auch gerne das "Rotterdam des Ostens". Bereits im siebten Jahrhundert vor Christus hatten die Griechen hier eine Handelsniederlassung. Später war es das östlichste Ende des römischen Weltreiches. Hierher, ans Schwarze Meer, südlich der Donau, verbannte Kaiser Augustus den Dichter Ovid.

Von Dieter Wulf | 21.10.2007
    Mihai Ponej sitzt mit seinem Schifferklavier an der Kaimauer im Hafen von Konstanza, dem größten rumänischen Hafen am schwarzen Meer. Von all der Geschäftigkeit aber kann man hier, im historischen Zentrum nichts erahnen. Und auch Touristen gebe es hier viel zu wenige, klagt Mihai Ponej

    "Das ist schwer hier. Die wenigsten geben was. Ich verdiene so zehn Euro am Tag. Aber davon muss ich ja auch noch ein Zimmer zahlen, Zigaretten und natürlich das Essen."

    Damals in den 70er Jahren habe er in Bukarest an der Musikhochschule studiert, erzählt er. Heute tingle er so durch die Gegend, um sich was zu verdienen. Direkt gegenüber steht das Wahrzeichen von Konstanza, ein altes Spielcasino, erklärt der Reiseleiter Mihai Toncescu, während die Brandung sich an der Kaimauer bricht.

    "Dieses Casino hat man zum Beginn des 20. Jahrhunderts 1908 gebaut. Als Rumänien nur aus dem sogenannten alten Reich bestand, also Südrumänien mit der Dobrutscha, mit Ostrumänien, der Moldau. Damals war die Architektur sehr stark an Frankreich orientiert und eigentlich an das ausgehende 19. Jahrhundert mit dem eklektischen Stil. Also, wenn man das sieht, das gibt natürlich einen schönen Eindruck, aber es ist ziemlich überladen. Es gibt auch Muschelmotive und Bootsmotive, weil wir ja am Meer, an der Küste des schwarzen Meeres sind."

    Ein paar Meter weiter erzählt ein Leuchtturm aus dem 13. Jahrhundert, den Seefahrer aus Genua hier erbaut hatten, etwas von der wechselvollen Geschichte der Stadt. Von da aus führt die Strasse zum historischen Museum, wo die Archäologin Johanna Bratulesku Funde aus der Römerzeit präsentiert.

    "Wir haben hier 24 Marmorstatuen, die alle aus dem zweiten Jahrhundert stammen. Die waren alle zusammen in einem Grab verscharrt worden, wo sie dann in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden wurden. Damals wollte man hier Hochhäuser bauen und dabei wurden sie gefunden."

    Damals, vermutet Johanna Bratulesku, wurden die römischen Götterstatuen einfach verscharrt, als das Christentum im ganzen römischen Reich unter Kaiser Theodosius um 380 nach Christus Staatsreligion wurde.

    "Weil alle 24 Statuen in einem Grab gefunden wurden, vermuten wir, dass man sie so entsorgt hatte, als das Christentum sich durchgesetzt hatte. Vermutlich wäre es gefährlich gewesen, wenn man solche Statuen noch bei sich zu Hause hatte."

    Bereits im siebenten Jahrhundert vor Christus hatten die Griechen von Milet hier eine Stadt errichtet. Laut der Argonautensage habe die Königstochter Medea ihren Bruder zerstückelt und ins Meer geworfen. Irgendwo in der Nähe müsse das wohl passiert sein, glaubten die Griechen damals und nannten die Stadt daher Tomis, was im griechischen "schneiden" heißt.

    Nur ein paar Meter vom Museum entfernt steht ein unscheinbarer, halbverwitterter Betonbau, den man in den 60er Jahren als Schutz über ein riesiges antikes Bodenmosaik gebaut hat. In dieser Größenordnung sei das in Europa absolut einmalig, betont Gabriel Costuria, der Direktor des Museums.

    "Das ist das größte zusammenhängende Mosaik, das in Europa noch erhalten ist. In Afrika gibt es noch größere, weil es dort kein Wasser gibt, und sie durch die Trockenheit besser erhalten sind. Aber in Europa ist es wirklich das größte antike Mosaik."

    Johanna Bratulesku erklärt an einer Schautafel, wie es in antiker Zeit hier wohl ausgesehen hat. Heute, erklärt sie, liege der Wasserstand des Schwarzen Meeres um etliche Meter höher.

    "Dieses erste Niveau liegt unter Wasser. Das ist praktisch zerstört. Dieses Mosaik, vor dem wir hier stehen, war das dritte Niveau, da befand sich die Agora, also der Marktplatz von Tomis, und hier sieht man wie das gebaut wurde. Da gab es überdachte und unterirdische Räume und innen war das mit Marmorplatten verkleidet."

    Alte Fotos zeigen, dass genau hier, über der antiken Stadt, 1890 eine Eisenbahnlinie verlief. Die antiken Fundamente, die erst 1962 bei Bauarbeiten entdeckt wurden, waren dadurch aber offenbar nicht beschädigt worden. Die Zerstörung begann erst später. Zehn Jahre lang baute man hier an dem Gebäude zum Schutz des antiken Marktplatzes, erklärt die Archäologin, während wir eine Treppe herunter steigen, um das Mosaik näher betrachten zu können.

    "Es gibt hier geometrische Motive, Kreise, Quadrate, Rhomben, Blumen und Pflanzenmotive. Hier ist eine Vase und dort war eine Taube, die aus einem Weinblatt getrunken hat."

    Erkennen kann man das längst nicht mehr. Durch das Sonnenlicht und das Chlorwasser, mit dem die Mosaiksteine in den letzten Jahrzehnten gereinigt wurden, sind die Motive, die bald zwei Jahrtausende überstanden, jetzt fast völlig verblichen. Erst der Blick auf ein Foto zeigt, was man damals, nach ihrer Entdeckung, noch erkennen konnte.

    "So sah das mal aus. Hier sieht man die Taube, die aus einem Blatt trinkt."

    Auch sonst sieht man überall, dass in den letzten Jahrzehnten nicht viel unternommen wurde, um das Mosaik zu erhalten. An vielen Stellen hat sich der Untergrund angehoben oder ist abgesackt. Für die Erhaltung, entschuldigt der Museumsdirektor, bräuchte man von der Regierung viel mehr Geld. Aber davon käme hier fast nichts an. Das einzige, was hier durchsickert, meint er und zuckt mit den Schultern, sei das Wasser, das die antiken Funde zerstört.

    Auf dem großen Platz vor dem Museum steht Ovid, der römische Dichter als großes Standbild. Neun nach Christus war er vom damaligen Kaiser Augustus hierher nach Tomis verbannt worden, damals das östlichste Ende der römischen Welt. Offenbar hatte er etwas gesehen, dass nicht für seine Augen bestimmt war, erklärt mir der Reiseleiter Mihai Toncescu.

    Es gibt nur einen Hinweis in seinem Werk. Er sagt in einem Gedicht, dass er zu viel gesehen hat und dass das sein Malheur gewesen ist. Ob er jetzt eine Liebesszene gesehen hat, oder eine Frau in einer hohen Familie - bis in die Kaiserfamilie - nackt gesehen hat, im Bad oder irgendein krummes Geschäft. Man weiß ja nicht. Tatsache ist, dass er im Jahre neun nach Christus sein Koffer packen musste und diesen weiten Weg nehmen musste bis nach Tomis.

    Manche vermuten, dass er von der Ehebruchsaffäre von Julia, der Enkelin des Kaisers Augustus etwas gewusst habe. Immer wieder versuchte Ovid, die Mächtigen in Rom zu erweichen, um die Verbannung aufzuheben, wie man aus seinen Schriften weiß.

    Er kommt dort an und schreibt noch zwei Gedichtbände, die erhalten geblieben sind. Die Gedichte sind bekannt. Ein Band heißt die "Tristia", weil er nicht sehr glücklich war dort, und der andere heißt "Pontica", Pontus heißt ja das Meer. In sehr vielen Gedichten besonders in "Tristia" klagt er über die Kälte, die ungewöhnliche Kälte, die heute absolut undenkbar ist, die in Tomis und Umgebung herrschte. Er schreibt sogar, dass es Orte sind, wo der Schnee über den Sommer bleibt, und das hat viele Forscher dazu bewegt zu sagen, dass er eigentlich Mitleid erregen wollte in Rom, dass man ihm verzeihen sollte und das er wieder zurückkehren kann.

    Doch all sein Bemühen nützte nichts. Bis zu seinem Tod im Jahre 17 nach Christus blieb er in Tomis und wurde hier irgendwo in der Nähe auch begraben, vermutet Museumsdirektor Costuria.

    "Und aus Dokumenten wissen wir, dass er an einem Ehrenplatz begraben worden ist, neben dem großen Tor der damaligen Burg. Aber wo sie genau war, das wissen wir bis heute nicht."

    Der römische Kaiser Konstantin benannte Tomis dann im vierten Jahrhundert zu Ehren seiner Schwester in Constantiana um. Im siebenten Jahrhundert wurden die Burganlagen zerstört. Später gehörte Constanca, wie die Stadt dann hieß, lange Zeit zum osmanischen Reich, bis sie 1878 auf dem Berliner Kongress den Rumänen zuerkannt wurde. Von all dem ist hier am Hafen jedoch fast nichts mehr zu erkennen. Nur eine Moschee erinnert an die lange muslimische Tradition. Heute dominiert das barock verzierte Spielkasino die Hafenfront, an dessen marmorverkleideter Fassade man die Blütezeit der Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts erahnen kann. In der Zeit der Kommunisten hatte man darin einen Nachtclub für Touristen aus dem Westen eingerichtet. Während die Brandung sich lautstark an der Kaimauer bricht, lacht Mihai Toncescu und erinnert sich noch heute daran, wie er als junger Reiseleiter damals das Programm zu sehen bekam.

    "Ich war selber in der Periode mit Touristen. Es gab eine sehr interessante Nummer, die damals sehr geliebt war von den Männern: halb Striptease, sozialistischer Striptease. Eine Geschichte mit einem Floh, der in die Unterwäsche einer Dame kommt, und das war eine ganze Inszenierung wie man ihn sucht und natürlich als man den Slip weglegen sollte, ging das Licht aus. Man sah nicht alles, aber trotzdem ziemlich viel für die Zeit."

    Mittlerweile steht das alte Kasino leer und versprüht den verwunschenen Reiz einer schlafenden Schönheit. Die Stadt und die Regierung streiten seit Jahren um die Eigentumsrechte. Irgendwann aber, da ist sich Mihai Toncescu sicher, wird auch dieses Kleinod wieder erblühen.

    "Das ist noch nicht klar, wer und was die Eigentumsrechte auf dieses Kasino hat, aber wenn einmal die Justiz entscheidet, dann bin ich sicher, wird das eine Perle der rumänischen Küste werden."

    Momentan aber sitzt nur Mihai Ponej mit seinem Schifferklavier hier an der Kaimauer und spielt seine Lieder für die wenigen Touristen, die sich hierher verirrt haben.