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"Am Ende sind die Arbeitsplätze weg und das Steuergeld ist auch weg"

Laut Peter Müller, CDU-Ministerpräsident des Saarlands, lassen sich die Fälle von Opel und Arcandor nicht vergleichen. Er betont, dass die Entscheidung im Fall Arcandor auf Grundlage von Fakten gefällt wurde - und verteidigt die Lösung als "ordnungspolitisch sauber".

Peter Müller im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.06.2009
    Friedbert Meurer: In Saarbrücken begrüße ich am Telefon Peter Müller, den saarländischen Ministerpräsidenten von der CDU. Guten Morgen, Herr Müller!

    Peter Müller: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Um das Zitat von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier aufzugreifen: Kämpft der Bundeswirtschaftsminister für Insolvenzen statt für Arbeitsplätze?

    Müller: Das ist natürlich dummes Zeug, hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass der Herr Steinmeier nach der Europawahl etwas nervös geworden ist mit Blick auf das Ergebnis der SPD. Nein, es geht um die Frage, wo ist der Einsatz von Steuergeldern gerechtfertigt, wo kann mit Steuergeldern ein Beitrag dazu geleistet werden, dauerhaft Arbeitsplätze zu erhalten und wo nicht. Und es geht eben auch um die Frage, wer ist gefordert, bevor auf Steuergelder zurückgegriffen werden kann. Das Thema ist ja sicherlich auch das Thema: Müssen nicht erst einmal Eigentümer ihre Verpflichtungen erfüllen, bevor der Steuerzahler geradestehen muss?

    Meurer: Da kommen wir gleich dazu. Nur bestreiten Sie, dass Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg vor allen Dingen an sein ordnungspolitisches Profil denkt, für das er so viel Lob bekommen hat?

    Müller: Das ordnungspolitische Profil hat ja einen guten Grund. Der Hintergrund dieser Überlegung ist ja, dass es schlichtweg aussichtslos ist, den Eindruck zu erwecken, als könne der Staat mit Staatsgeldern, mit Steuergeldern unternehmerisches Versagen ausgleichen. Das funktioniert nicht. Am Ende sind die Arbeitsplätze weg und das Steuergeld ist auch weg.

    Meurer: Wieso hat zu Guttenberg jetzt recht und bei Opel nicht?

    Müller: Die Frage, ob und inwieweit Staatshilfen geleistet werden, ist ja abhängig von der Erfüllung bestimmter Kriterien. Ein Kriterium ist die Frage der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens, ein zweites Kriterium ist die Frage der Subsidiarität, haben die Eigentümer alles getan, was ein vernünftiger Eigentümer tun muss, um sich um sein Unternehmen zu kümmern. Und der dritte Gesichtspunkt ist die Frage: Kann tatsächlich mit einer derartigen Maßnahme langfristig der Erhalt von Arbeitsplätzen gesichert werden? Bei Opel haben wir einen Sonderfall gehabt. Da ging es darum, sicherzustellen, dass Opel nicht in den Strudel der Insolvenz von GM mit hineingerät, deshalb ist die Konstruktion, die man jetzt gefunden hat, gerechtfertigt. Wir haben die Chance, dauerhaft Arbeitsplätze zu sichern. Bei Karstadt stellt sich die Situation anders dar, insbesondere verweigern die Eigentümer hier ihren angemessenen Beitrag.

    Meurer: Wenn Insolvenz aber jetzt als ein so geeignetes Mittel gepriesen wird, warum hätte das nicht zu Opel gepasst?

    Müller: Bei Opel haben wir eine andere Situation. Bei Opel haben wir eine Insolvenz in den Vereinigten Staaten, die möglicherweise auf das deutsche Unternehmen durchgegriffen hätte. Und vor dem Hintergrund war es am Ende eine vertretbare Lösung zu sagen, wir wollen die Insolvenz vermeiden, wir wollen eine Konstruktion, die die Weiterführung des Unternehmens eröffnet, ohne dass es zur Insolvenz kommen muss. Insolvenzen sind ja typischerweise mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten verbunden, selbst wenn am Ende auch im Insolvenzverfahren Weiterführungsperspektiven stehen. Und vor diesem Hintergrund glaube ich, dass der Weg, der bei Opel gegangen worden ist, ein vertretbarer ist.

    Meurer: Haben Sie den Eindruck, Herr Müller, dass der Staat im Fall Arcandor auch Nein gesagt hätte, wenn die Eigentümer noch eine Schippe draufgelegt hätten?

    Müller: Dann bleibt immer noch die Frage: Gibt es ein zukunftsfähiges Konzept? Das muss der Lenkungsausschuss beurteilen. Ich bin an diesen Prüfungen nicht beteiligt gewesen ...

    Meurer: Das ist der Ausschuss, der über die Bürgschaft entscheidet?

    Müller: Ja. Ich bin an diesen Entscheidungen nicht beteiligt gewesen, ich kenne die Details nicht, deshalb kann ich das nicht sagen. Und so weit es um Geld aus dem Deutschlandfonds geht, hätte hinzukommen müssen der Nachweis, dass die Probleme durch die Finanzkrise verursacht sind und nicht vorher schon bestanden. Dieser Nachweis ist nach dem, was ich an Kenntnissen habe, wohl auch nicht gelungen.

    Meurer: So ganz so unabhängig ist der Lenkungsausschuss aber nicht, das sind ja Staatssekretäre und die haben Chefs, die Minister. Das ist ja eine politische Entscheidung. Ist diese politische Entscheidung gegen Arcandor gefallen, weil nach Opel sozusagen jetzt die große Katerstimmung angesetzt hat?

    Müller: Das ist zunächst einmal eine Entscheidung, die auf der Grundlage von Fakten getroffen werden muss. Die Unternehmen müssen die Fakten vortragen: Wie ist die Umsatzentwicklung, wie sind die Gewinne, was ist an Verschärfungen entstanden durch die Finanzkrise, welche Kredite sind gekündigt, warum sind die Kredite gekündigt? Das sind alles Fakten, die zusammengetragen werden müssen, die bewertet werden müssen. Bei diesen Fakten wird dann ja auch externer Sachverstand mit bemüht - zu Recht, wie ich finde. Und erst, wenn all diese Fakten zusammengetragen sind, kann man zur Frage der Bewertung kommen, von mir aus am Ende dann auch zu einer politischen Bewertung. Aber der Eindruck, da kommt die Politik, gibt das Ergebnis vor und dann verhält sich der Lenkungsausschuss entsprechend ohne Rücksicht auf die Fakten, ist schlicht falsch. Zunächst einmal geht es um die Bewertung von Fakten.

    Meurer: Räumen Sie ein, Herr Müller, dass die Politik sozusagen die Pandorabüchse aufgemacht hat mit Opel und einfach Erwartungen jetzt auch bei anderen Unternehmen und Belegschaften geweckt hat?

    Müller: Dass Erwartungen geweckt worden sind, ist sicher richtig. Umso wichtiger und umso notwendiger ist es, die Kriterien deutlich zu machen, an denen sich diese Entscheidungen orientieren. In Fällen, in denen tatsächlich Zukunftsfähigkeit gegeben ist, die Eigentümer sich umfänglich einbringen, eine Verursachung der Krise ausschließlich durch die Entwicklung an den Finanzmärkten gegeben ist, muss der Staat auch künftig helfen, und zwar unabhängig von der Größe des Unternehmens. Aber in Fällen, in denen die Ursachen für die Krise in unternehmerischem Versagen liegen, überhebt der Staat sich, wenn er dort überall helfen will, und deshalb darf er es dort nicht, das muss deutlich gemacht werden. Die Kriterien müssen deutlich gemacht werden und danach muss entschieden werden.

    Meurer: Das heißt, die Union könnte bei nächster Gelegenheit die Ordnungspolitik wieder zurückstellen und sich für Hilfen aussprechen?

    Müller: Nein, völlig falsch. Diese Unterscheidung ist Ordnungspolitik. Das ist im Übrigen dasjenige, was ja alle Landesregierungen täglich machen.

    Meurer: Aber Opel war doch nicht Ordnungspolitik.

    Müller: Selbstverständlich war Opel Ordnungspolitik. Es gibt eine positive Fortführungsprognose für Opel, zumindest nach der mehrheitlichen Meinung. Es gibt die Feststellung, die Probleme, die wir jetzt haben, sind durch die Krise verschuldet. Und es gibt die Feststellung, dass der Eigentümer GM, der in Insolvenz ist, aus eigener Kraft nicht mehr helfen kann. Die Kriterien sind erfüllt. Wenn die Kriterien erfüllt sind, wird geholfen. Das ist ordnungspolitisch sauber.

    Meurer: Wird die CDU jetzt bei dieser Linie bleiben?

    Müller: Selbstverständlich, das ist ja die Grundlage für den Deutschlandfonds, das ist die Grundlage für das Handeln in der Vergangenheit, so handeln auch Landesregierungen täglich, die täglich über Bürgschaften für Unternehmen entscheiden müssen, täglich Unternehmensprognosen brauchen, die Situation der Eigentümer werten müssen. Nur falsch ist die Vorstellung, es wird in jedem Fall geholfen, ohne dass die Kriterien geprüft werden. Erst die Kriterien, dann die Entscheidung. So war das in der Vergangenheit und so muss das in der Zukunft auch sein.

    Meurer: Die Belegschaften bei Karstadt in den Filialen, in der Zentrale müssen es jetzt schlucken: Insolvenz ist angemeldet. Wie viele Jobs können Ihrer Ansicht nach gerettet werden?

    Müller: Das Insolvenzrecht in der Bundesrepublik Deutschland hat sich ja verändert. Früher war es ein Abwicklungsrecht mit dem Ziel, ein Unternehmen abzuwickeln, die Gläubiger möglichst zu befriedigen und hat im Wesentlichen dazu geführt, dass ein Unternehmen dann gestorben ist und die Arbeitsplätze verloren waren. Mittlerweile ist das Insolvenzrecht ja ein Fortführungsrecht. Es werden alle Möglichkeiten im Insolvenzverfahren geprüft und wenn es geht genutzt, um Arbeitsplätze zu erhalten, um Unternehmen eine neue Zukunft zu eröffnen. Deshalb kann zum jetzigen Zeitpunkt nach meinem Dafürhalten niemand abschließend sagen, wie viel Arbeitsplätze am Ende wegfallen werden. Es wird Arbeitsplatzverluste geben, aber die Frage wird sein: Findet man neue Investoren, findet man Weiterführungsmöglichkeiten für das Unternehmen. Es ist ja wichtig, dass das Unternehmen sich von bestimmten Lasten, etwa den überhöhten Mietlasten, befreit, und dann muss man schauen, welche Weiterführungsperspektiven es gibt.

    Meurer: Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Müller, und auf Wiederhören!

    Müller: Bitte schön, auf Wiederhören!