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"Am Rande der Schamlosigkeit"

Der Buchautor und Journalist Henryk M. Broder hat der ARD-Journalistin Esther Schapira in ihrer Kritik an Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Rücken gestärkt. Der Minister habe sich "eine Peinlichkeit sondergleichen geleistet", sagte Broder, indem er nicht nur mit einem Rapper ins Studio gehe, der für frauenfeindliche und gewalttätige Texte bekannt sei, sondern dann auch noch Kritikern vorwerfe, sie hätten besser recherchieren sollen.

    Christoph Schmitz: Zu Beginn ein heißes Eisen, die Chronologie der Fakten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier nahm am 12. November zusammen mit dem 23-jährigen, türkischstämmigen Rapper Muhabbet das Deutschlandlied auf. Am Abend meldete sich die ARD-Journalistin Esther Shapira in den Tagesthemen und berichtete, Muhabbet habe ihr gegenüber im Oktober geäußert, der ermordete, Islam-kritische Künstler Theo van Gogh hätte noch Glück gehabt, dass er so schnell von einem radikalen Islamisten in den Niederlanden umgebracht worden sei. Er, Muhabbet, hätte ihn zuerst in den Keller gesperrt und gefoltert. Muhabbet wies die Anschuldigungen zurück. In der "Bild"-Zeitung erklärte er, bei einem Van-Gogh-Film könne ein fundamentalistischer Moslem ausflippen und denken, wer solche Bilder macht, den foltere ich erst und töte ihn dann. Esther Shapira ist bei ihrer Darstellung geblieben und kann mit einem Zeugen aufwarten. Doch Muhabbet trägt auch in manchen Texte dick auf gegen Frauen und Homosexuellem, oder er droht mit "Lauf, oder willst du als Kanakenfutter dienen, eine Holzkiste habe ich für dich reserviert". Außenminister Steinmeier riet dazu, unaufgeregt mit dem Fall umzugehen und mahnte, keine Ursache dafür zu geben, dass diejenigen Schaden nehmen, die sich eine Zusammenarbeit mit uns vorstellen können. Das wiederum hat den Zorn der Esther Shapira wieder und weiter entfacht. Heute in der "FAZ" hat sie ihn formuliert mit einem kämpferischen Vokabular gegen den Islamismus in Deutschland und gegen die notorischen Verharmloser in Politik und Gesellschaft. Henryk M. Broder, Publizist und Börne-Preisträger, zurzeit in Israel, können Sie Shapiras Wut verstehen?

    Henryk M. Broder: Ja, ich kann das sehr gut verstehen, sehr gut nachvollziehen. Wenn es einen Journalisten oder eine Journalistin in der Bundesrepublik gibt, die extrem sorgfältig und genau arbeitet, dann ist es Esther Shapira. Und hier hat natürlich der Außenminister sich eine Peinlichkeit sondergleichen geleistet. Statt schlicht zu sagen, es ist mir etwas unterlaufen, was nicht hätte passieren sollen, hat er nach Methode "Haltet den Dieb" mit dem Finger auf Frau Shapira gezeigt und ihr gesagt, sie hätte besser recherchieren sollen. Das ist wirklich etwas, was am Rande der Schamlosigkeit siedelt.

    Schmitz: Shapira spricht im Zusammenhang von Van Goghs Ermordung und Muhabbets vermeintlicher Zustimmung von einer Kriegserklärung der Islamisten an den Westen und auch, dass sich die islamistische Intoleranz in einer toleranten, westlichen Gesellschaft entwickeln kann. Muss man Intoleranz mit Intoleranz in so einem Fall bekämpfen?

    Broder: Also Toleranz ist, glaube ich, im Jahre 2007 der falsche Begriff. Der hatte seine Berechtigung zur Zeit von Gotthold Ephraim Lessing und Theodor Lessing, aber nicht heute, nicht in Gesellschaften, die horizontal organisiert sind, und wo es kaum noch ein Unten und Oben gibt. Es will ja auch niemand geduldet werden. "Tolerare" heißt ja dulden. Tolerieren bedeutet aus der Position der Stärke, einen Schwächeren existieren lassen. Darum geht es nicht, heute geht es darum, allgemeine Prinzipien festzulegen, an die sich alle zu halten haben, die in dieser Gesellschaft etwas machen oder die hier einfach leben wollen. Das ist schon alles. Und im Übrigen gilt seit Popper der Satz, dass es gegenüber den Feinden der Toleranz keine Toleranz geben darf. Ich bin ein Anhänger der praktizierten Intoleranz. Und in diesem Falle ist das, was unser Außenminister gemacht hat, nicht ein Zeichen der kulturellen Integration oder der Toleranz, sondern des schlichten Leichtsinns. Ein Blick ins Internet, er hätte es nicht mal selber müssen, er hat genug Mitarbeiter, Assistenten und Helfer, hätte ihn darüber belehrt, welche Texte Muhabbet singt. Und wenn dieser Außenminister sich dann immer noch mit ihm ins Studio gestellt hätte, dann wäre das sicher schon mehr als nur ein Fall für den Friedensrichter gewesen.

    Schmitz: Wir sind eine horizontale Gesellschaft haben Sie gesagt. Esther Shapira schreibt: Der radikale Islam bezieht seine Stärke aus unserer Schwäche. Worin liegt unsere Schwäche? Wohl nicht in der horizontalen Gesellschaft.

    Broder: Nein, das ist unsere Stärke. Ich meine, diese Gesellschaften haben sich eigentlich so entwickelt, wie es Generationen von Menschen geträumt haben. Die Gesellschaft, in der wir heute leben, ist nicht über Nacht entstanden. Es ist eine Gesellschaft, in der Konflikte in der Diskussion ausgetragen werden, in der nach Kompromissen gesucht wird. Es ist aber zugleich eine Gesellschaft, die nicht imstande ist, mit härteren Herausforderungen umzugehen. Wenn Sie also es mit Leuten zu tun haben, die finden, dass das Schlagen von Frauen und das Misshandeln von Kindern zu ihren kulturellen Grundrechten gehört und sich dann darauf berufen, dass sie die Toleranz einfordern, das tun zu dürfen, dann sind Sie am Ende Ihrer Weisheit, dann müssen Sie einfach Intoleranz praktizieren.

    Ich sehe es ein bisschen anders. Diese Gesellschaft bezieht ihre Stärke eben daraus, dass sie vieles erlaubt oder entwickelt hat oder einfach für selbstverständlich hält. Schauen Sie nur, wie die Frage der Homosexualität geregelt wurde, wie die Frage der homosexuellen Partnerschaften geregelt wurde, dass heute uneheliche Kinder nicht mehr diskriminiert werden - das sind großartige Errungenschaften. Aber von Leuten, die noch so etwas wie Maßstäbe halten, die an ein rigides Leben gewohnt sind, wird das als Schwäche ausgelegt. Deswegen können wir aber diese Errungenschaften nicht wieder abschaffen, nur weil andere sie als Zeichen der Schwäche ansehen. Man muss nur wissen, dass wir Anlass zu Missverständnissen bieten.

    Schmitz: Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die Medien ja, wenn ich das richtig sehe, mit Kommentaren zumindest im Fall Muhabbet auffallend stark zurückgehalten, das ist doch die Schwäche eigentlich. Trauen wir uns nicht?

    Broder: Ja, ich weiß nicht, ob wir uns nicht trauen. Einige haben sich ja durchaus getraut, und Frau Shapira hat sich getraut, ein paar andere auch. Ich glaube, diese Situation ist einfach so peinlich, dass sich viele damit gar nicht beschäftigen wollen. Es fängt eigentlich damit an, dass ein Minister ins Studio geht, um dort für Integration zu streiten, und auch noch der Außenminister. Wenn da einer hätten rappen wollen und sollen, dann wäre es der Innenminister gewesen, also Schäuble hätte anstelle von Steinmeier rappen sollen. Und im Übrigen hat ein Minister im Studio nicht zu suchen, er soll Politik machen, dafür wird er bezahlt. Ich bezahle den Außenminister, der mein Angestellter, mein Mitarbeiter ist, nicht für das Rumkaspern in einem Plattenstudio. Das Zweite ist, ich sagte es schon, er hat nicht mal gewusst, mit wem er da ins Studio geht, und drittens, wenn man sich heute die Inhalte anguckt, die Muhabbet verbreitet - im Übrigen ist diese ganze Rapperkultur wirklich irgendwo in der Mitte zwischen faschistisch und gewalttätig angesiedelt. Ob Sie jetzt Eminem nehmen in Amerika oder Sido in Deutschland, dass ein Mann von der Statur Steinmeier in dieses Milieu steigt, spricht gegen ihn, spricht gegen seine Sachkenntnis, gegen seinen Geschmack, gegen jede Urteilsfähigkeit.