Vor uns fließt der Main gemächlich -hier- an der Anlegestelle der Seligenstädter Mainfähre vorbei in Richtung Frankfurt. Drüben sind einige Kanuten unterwegs. Und dazu habe ich eine Kopie eines Kupferstichs, auf Seligenstadt vom gegenüberliegenden Mainufer aus, dabei. Da ist der Main noch nicht kanalisiert, hat beiderseits einen versumpften Uferstreifen. Kühe stehen saufend im Fluss. Ein Nachen setzt nach Seligenstadt über. Ein schmaler Trampelpfad, über den Männer an langen Seilen Kähne gegen die Strömung schleppen. Und die gekrümmten Buckel der menschlichen Zugmaschinen sagen, harte Maloche. Wir sehen auf dem Stich auch die mächtige Einhard-Basilika, auch weitere Kirchen- und Wehrtürme ragen dominant aus der Stadt-Silhouette heraus. Und auch die Dächer der reichen Barock-Abtei lugen noch über die Stadtmauer. Und der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe, mit Klöstern und Kirchen weniger verwandt, notiert seinen Blick auf den Main:
Eine freie Übersicht über den Fluss bis ans jenseitige Ufer. Oft schon früh eine tätige Schifffahrt von Flößen und gelenkten Marktschiffen und Kähnen.
Leben am Fluss, auf dem Main, auch damals eine wichtige Wasserhandelsstraße. Richtig angefangen hat es mit Seligenstadt nach 800 mit Einhard. Wir lesen zu dieser interessanten Persönlichkeit, aus verschiedenen Quellen
Einhard, zu seiner Zeit auch Eginhard genannt, wurde um 770 in Mainfranken geboren und als Knabe zur Ausbildung an das Kloster Fulda gegeben. Er wird aber nicht zu einem Mönch ausgebildet. Als 24-Jährigen vermittelt ihn der Abt weiter an den Hof des fränkischen Königs Karl, später Karl der Große, nach Aachen. Einhard soll bei Alkuin, dem Leiter der Aachener Hof- oder Palastschule seine Ausbildung vollenden. So wird er auch der Nachfolger Alkuins. Zeitgenossen rühmen Einhard als belesen in den lateinischen Schriften der Antike, bewandert in der Baukunst. Die Bedeutung Einhards zeigt sich auch, wenn er mehrfach im Auftrag Karls in Rom Verhandlungen mit dem Papst führt. Einhards soll auch seine Hand im Spiel gehabt haben, als König Karl in Rom, gegen seinen Willen, aus der Hand des Papstes zum Kaiser gekrönt wird. Man könnte Einhard, in Nachfolge Alkuins, auch als "Kultusminister" des Frankenreiches bezeichnen.
Eine beamtete oder politische Karriere? Man könnte populär sagen, Einhard gehört zu Karls Küchenkabinett, leitete das Schreibbüro. Er ist auch mit der Planung und Bauaufsicht der Aachener Pfalzbauten und am Dom zu Aachen, und anderswo betraut. Nebenbei bemerken die Annalen, der kleinwüchsige Einhard soll auch in feucht-fröhlicher Runde als Karls Hof-Zwerg und Blitzableiter gehänselt worden sein.
Nach Kaiser Karls Tod, war Einhard von Kaiser Ludwig dem Frommen mit einer Art lukrativen "Riester-Rente" beschenkt worden. Er bekommt in Anerkennung seiner Verdienste größere Ländereien, darunter auch Seligenstadt. Das hieß damals noch "Mulinheim", also ein Ort mit Mühlen. Und Einhard erhält zehn fette Klöster im heutigen Frankreich, in Belgien und Germanien. Sie sollen mit ihren Einnahmen Einhards Lebensabend finanzieren. Noch einige Notizen aus zu Einhards Tätigkeitsprofil:
Er dient als enger Berater drei Kaiser-Generationen. Karl der Große, dessen Sohn Ludwig und dem Enkel, Kaiser Lothar. Und besonders wichtig. Einhard ist unter den vielen hoch gebildeten Beratern Karls einer der wenigen, die aus Germanien stammen. Einhard soll auch politischer Wortführer der fränkischen Großen gewesen sein, die den schon gesundheitlich schwächelnden Kaiser Karl auffordern, seinen Sohn Ludwig zum Mitkaiser zu erheben.
Und nun betreten wir eine der ältesten karolingischen Basiliken. Gleichzeitig die Klosterkirche, gute 60 Meter lang, Baubeginn 828, Fertigstellung, Fragezeichen? Herbert Reiss:
"Hier erbaute er die große Einhard-Basilika nach dem Vorbild römischer Basiliken. Er weilte auch zweimal in Rom, im Auftrag des Kaisers. Dort lernte er die Basiliken kennen, Zum Beispiel die Basilika Santi Marcellini et Petri, also des heiligen Petrus und Marcellinus. Zwei Heilige hatten da ihre Grablege. Und als er die Einhard-Basilika erbauen lies, schickte er seinen Sekretär Rathleik nach Rom. Und der ent-wendete die beiden Heiligen. Einhard hat das alles in der Translatio, der Übertragung und Wunder der heiligen Marcellinus und Petrus beschrieben. Und deswegen kamen die Heiligen hier her. Und der zweite Punkt war, dass Seligenstadt also an einem römischen Pilgerweg lag. Seligenstadt wurde durch die beiden Heiligen zu einem berühmten Wallfahrtsort."
Also auch ein Wallfahrtsgeschäft?
"Eine Kirche hat immer Heilige gebraucht, tausende von Pilger, finanzielle Einnahmen. Und jetzt liegen sie unter dem Altar in einem silbernen Schrein."
Also diese beiden, in Gänsefüßchen "geklauten" Heiligen aus Rom haben auch in Seligenstadt, an der Stätte der Seligen, für das Seelenheil gewirkt, angeblich auch Wunder getan. Und wir stehen nun vor dem prunkvollen Barock-Sarkophag. Nach mehrfachem Umbetten ist hier Einhard zusammen mit seiner Frau Imma beigesetzt. Er war verheiratet und gleichzeitig Abt, ohne priesterliche Weihe. Abt über Hunderte von Mönchen in verschiedenen Klöstern.
Und wieder draußen setzen wir uns im weitläufigen Klostergarten auf eine Bank. Und hier habe ich ein schmales Reclam-Heftchen dabei. 35 Seiten "Vita Karoli Magni", das Leben Karls des Großen. Von Einhard hier in Seligenstadt geschrieben. Das gibt es hier für 3 Euro. Und man fragt sich, war Einhard ein frommer PR-Biograf? Der Berliner Historiker Leopold von Ranke urteilt 1836 über Einhards Karl-Biografie
Ohne Zweifel war die Absicht mehr auf eine angenehm zusammenfassende Darstellung als auf strenge Genauigkeit in den Tatsachen gerichtet. Das kleine Buch ist voll von historischen Fehlern.
Das Büchlein über Karl ist aber die einzige authentische Quelle aus jener Zeit. Geschrieben, nicht von einem kritisch aufdeckenden SPIEGEL-Reporter. Wenn man diesen Einhard -hier- mit diesem kritischem Abstand liest - hochinteressant. Geschichte hautnah erzählt.
So drehen wir unsere Sanduhren 350 Jahre weiter. Da lässt Kaiser Friedrich Barbarossa, Wanderkaiser ohne festen Wohnsitz, er lässt sich hier in bester Mainlage das Palatium, eine luxuriöse kaiserliche Wohnung bauen. Hier an einem lieblichen Mainbogen mit einer 5-Sterne Uferpromenade. Ob Friedrich diesen Bau unternimmt, weil er im April 1188 in Seligenstadt einen Hoftag plant? Fragezeichen. Malen wir uns das Szenario eines Hoftages etwas aus.
Da reitet der Kaiser hoch zu Pferde, begleitet von zweien seiner Söhne, mit Herolden, mit Bischöfen und Beratern im Gefolge hier in dieses Städtchen ein. Es ist Teil seiner kaiserlichen Machtentfaltung, mit Glanz und Gloria, mit Reichsadler vorweg und Musik, sich so dem Volk zu präsentieren Es werden -grob geschätzt- an die tausend Teilnehmer zum Hoftag angereist sein. Aus Quellen zusammengefasst
Dieser kaiserliche Konferenz-Ort Seligenstadt mag vielleicht 700 Einwohner gehabt haben. Zu diesem "Hoftag" quillt das kleine Städtchen über. Es versammelt sich hier die Crème de la Crème des Staufer-Reiches, Herzöge, geistliche Würdenträger. Dazu eine königliche Delegation aus dem fernen Kastilien. Jeder dieser Herr-schaften tritt mit einer stattlichen Leibgarde auf. Vielleicht 3.000 Pferde grasen neben einer bunten Zeltstadt an den Ufern des Mains. Einige Hochmögende mögen auch im Kloster untergebracht sein? Dazwischen wieseln durch die engen Gassen Diplomaten, Advokaten, Wichtige- und Wichtigtuende, Berater, Hofschranzen, Bankiers, Schreiber, Leibköche. Auch welche, die für das Amüsement und Nachtprogramm zuständig sind. Und Beichtväter, damit anderntags die sündigen Seelen wieder sauber sind.
Wir sind mittlerweile vom Palatium am Main in die Fachwerk-Innenstadt gewechselt. Und hier steht etwas versteckt das sogenannte "Romanische Haus". Erbaut, damit Barbarossa einen repräsentativen Besprechungssaal hat. Wir steigen außen eine Holztreppe hoch.
Innen, massive Holzbalkendecke, Fenster mit romanischen Rundbögen. Dort drüben mag vielleicht Barbarossa gethront haben? Er ist schon 67 Jahre alt. Sein Bart von Rossa in grauweiß gealtert. Einige Tage vorher hat er in Mainz sein Kreuzzuggelübde bestätigt. Er will- und muss als Repräsentant des Römischen Reiches Deut-scher Nation, als älterer Herr, noch einmal einen Kreuzzug der Christenheit nach Jerusalem anführen. Es wäre seine zweite Abenteuerreise in das Pulverfass des Nahen Ostens. Es hört sich fast wie heute an. Er soll bei seiner Mainzer-Erklärung "yes I can" vom Jubel umtobt worden sein. Und auch hier in Seligenstadt will er nun Nägel mit Köpfen machen. Es sitzen mit dem Kaiser in diesem Romanischen Haus seine Söhne. Als Mitregent König Heinrich VI., 23 Jahre alt. Und sein etwas jüngerer Sohn und Herzog Konrad von Rothenburg, 18 Jahre. Gegenüber verhandelt eine hochrangige königliche Delegation aus Toledo und Kastilien. Meist werden solche Gespräche von familiennahen Erzbischöfen moderiert. Herbert Reiss
"Verhandelt wurde über die Verlobung, beziehungsweise die Vermählung des Konrad von Rothenburg mit dieser hübschen, damals noch nicht acht Jahre alten kastilischen Prinzessin Berengaria. Es wurde beschlossen, dass der Sohn, Konrad von Rothenburg nach Kastilien geht, das hat der auch gemacht. 1190, also zwei Jahre später, sollte Berengaria an den kaiserlichen Staufischen Hof kommen, was nicht geschah. Und damit war die Verlobung geplatzt."
Die glanzvolle Traumhochzeit sollte in Spanien stattfinden. Stellen wir uns diese Konstellation etwas vor. Ein 18 Jähriger soll eine 8 Jährige heiraten. Die kind-liche Braut spielt noch mit der Barbie-Puppe, ihr zehn Jahre älterer Bräutigam träumt schon von ganz anderen Puppen. Die Hintergründe der diplomatisch eingefädelten Hochzeit" liegen noch anders.
Es wird in Seligenstadt eine feudale spanische Mitgift für Berengaria von 42.000 Goldgulden ausgehandelt. Zweites hoffen die Staufer, und ihre Heiratsvermittler, dass der Brautvater und König von Kastilien und Toledo weiterhin ohne männlichen Erben bleibt. Dann könnte der Herzog und Kaisersohn, den kastilischen Thron besteigen. Thron plus Mitgift, ein glänzendes Geschäft. Über ein Duzend weiterer edler Zeugen, aus beiden Familienseiten, unterzeichnen als Garanten diesen Vertrag von Seligenstadt.
Doch eine Intrige oder Falle, in die der junge Konrad in Spanien tappt, lassen die geplante Vermählung von Kind mit Mann scheitern. Das blamiert den Kaiser Friedrich, rettet dem Jüngling aber das Leben. Denn ohne diese kastilischen Hochzeitspläne hätte Konrad von Rothenburg wahrscheinlich seinen Vater auf dem Kreuzzug begleitet. Barbarossa ertrinkt dabei in der Türkei. Die Kreuzfahrer sehen damals den Unfall als ein Gotteszeichen. Rotbarts Kreuzzügler-Heer, von den Reisestrapazen geschwächt, wird durch Kämpfe und Seuchen dahingerafft. Kaum jemand sieht die Heimat wieder. Heute finden in diesem kleinen romanischen Konferenzsaal von 1188 auch Konzerte statt. Wir hören eine kastilische Musik aus jener Zeit des jungen Herzogs Konrad und der 8-jährigen Prinzessin.
Eine so wehmütig klingende Musik.
Und nun sprechen wir in Bildern über ein historisches Ereignis, das diese bunte Fachwerk-Innenstadt in den nächsten Wochen bis zum 19 Juno mit bunten Kostümen füllen wird. Das Seligenstädter Geleit. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit reisen die Kaufmannszüge zur berühmten Frankfurter Messe aus dem süddeutschen Raum. Seligenstadt war die letzte Übernachtung vor Frankfurt. Doch die Messebeschicker, teilweise mit teurer und seltener Ware, auch aus dem fernen Venedig, trödeln nicht einzeln durch die von vielerlei Räubern und Schinderhannessen verun-sicherten Lande. Sie rollen und rumpeln im Geleitzug, heißt unter Militärschutz nach Frankfurt. Und so ein Übernachtungs-Ort wie Seligenstadt hat daran sehr gut ver-dient. Stadttor auf: Der lange Lindwurm des Geleitzuges rollt rein. Alle Stadttore zu. Wachen auf die Türme. Und dann beziehen die Händler die Quartiere, die Zugpferde werden versorgt, Karren repariert, Hufe beschlagen. Es riecht nach verbranntem Horn, nach Bratwürsten, reichlich Bier und Ochs am Spieß. Und dieses Szenario eines Kaufmannszuges mit Schutzgeleit wird seit einiger Zeit im 4-Jahre Rhythmus wieder aufgeführt.
Wir wollen über Reisenotizen vor 300 Jahren nachdenken. Eine Briefnotiz an Gott-hold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel, von seiner Frau, Anno 1772
Wir haben schon zwei Achsenbrüche zu überstehen gehabt. Schließlich sind uns auch noch die Pferde durchgegangen und über solche Hügel und Gräben ge-setzt, dass wir nichts anderes, als den schrecklichen Tod vor Augen sahen. Endlich waren Bauern zur Hilfe gekommen und hatten die panischen Tiere zum Stehen ge-bracht. Am nächsten Tage waren zwei Pferde gestützt, eins war so schwer verletzt, dass der Postillon versuchte vier eiskalte Stunden es zum Aufstehen zu bewegen. Bis es gestorben war. Weiter ging es mit einem Pferd. Das stolperte beim Durchqueren eines Flüsschens, der Wagen saß fest. Wir stapften eine dreiviertel Stunde durch Regen und zähen Morast zum nächsten Dorf. Doch der Main stand so hoch, dass wir ihn nicht durchwaten konnten. Fünf Tage saßen wir in einem Gasthof fest.
Wohlgemerkt, Frau Lessing fährt nicht im Geleitzug. Deutschland hat damals noch kein mehrspuriges asphaltiertes Straßennetz, es waren bessere Feldwege. Und wer über den Main wollte, der fand nicht alle zehn Kilometer eine stabile Eisenbetonbrücke. In Seligenstadt kann man Geschichte hautnah erzählen oder bei Einhard auf 35 Seiten nachlesen.
Eine freie Übersicht über den Fluss bis ans jenseitige Ufer. Oft schon früh eine tätige Schifffahrt von Flößen und gelenkten Marktschiffen und Kähnen.
Leben am Fluss, auf dem Main, auch damals eine wichtige Wasserhandelsstraße. Richtig angefangen hat es mit Seligenstadt nach 800 mit Einhard. Wir lesen zu dieser interessanten Persönlichkeit, aus verschiedenen Quellen
Einhard, zu seiner Zeit auch Eginhard genannt, wurde um 770 in Mainfranken geboren und als Knabe zur Ausbildung an das Kloster Fulda gegeben. Er wird aber nicht zu einem Mönch ausgebildet. Als 24-Jährigen vermittelt ihn der Abt weiter an den Hof des fränkischen Königs Karl, später Karl der Große, nach Aachen. Einhard soll bei Alkuin, dem Leiter der Aachener Hof- oder Palastschule seine Ausbildung vollenden. So wird er auch der Nachfolger Alkuins. Zeitgenossen rühmen Einhard als belesen in den lateinischen Schriften der Antike, bewandert in der Baukunst. Die Bedeutung Einhards zeigt sich auch, wenn er mehrfach im Auftrag Karls in Rom Verhandlungen mit dem Papst führt. Einhards soll auch seine Hand im Spiel gehabt haben, als König Karl in Rom, gegen seinen Willen, aus der Hand des Papstes zum Kaiser gekrönt wird. Man könnte Einhard, in Nachfolge Alkuins, auch als "Kultusminister" des Frankenreiches bezeichnen.
Eine beamtete oder politische Karriere? Man könnte populär sagen, Einhard gehört zu Karls Küchenkabinett, leitete das Schreibbüro. Er ist auch mit der Planung und Bauaufsicht der Aachener Pfalzbauten und am Dom zu Aachen, und anderswo betraut. Nebenbei bemerken die Annalen, der kleinwüchsige Einhard soll auch in feucht-fröhlicher Runde als Karls Hof-Zwerg und Blitzableiter gehänselt worden sein.
Nach Kaiser Karls Tod, war Einhard von Kaiser Ludwig dem Frommen mit einer Art lukrativen "Riester-Rente" beschenkt worden. Er bekommt in Anerkennung seiner Verdienste größere Ländereien, darunter auch Seligenstadt. Das hieß damals noch "Mulinheim", also ein Ort mit Mühlen. Und Einhard erhält zehn fette Klöster im heutigen Frankreich, in Belgien und Germanien. Sie sollen mit ihren Einnahmen Einhards Lebensabend finanzieren. Noch einige Notizen aus zu Einhards Tätigkeitsprofil:
Er dient als enger Berater drei Kaiser-Generationen. Karl der Große, dessen Sohn Ludwig und dem Enkel, Kaiser Lothar. Und besonders wichtig. Einhard ist unter den vielen hoch gebildeten Beratern Karls einer der wenigen, die aus Germanien stammen. Einhard soll auch politischer Wortführer der fränkischen Großen gewesen sein, die den schon gesundheitlich schwächelnden Kaiser Karl auffordern, seinen Sohn Ludwig zum Mitkaiser zu erheben.
Und nun betreten wir eine der ältesten karolingischen Basiliken. Gleichzeitig die Klosterkirche, gute 60 Meter lang, Baubeginn 828, Fertigstellung, Fragezeichen? Herbert Reiss:
"Hier erbaute er die große Einhard-Basilika nach dem Vorbild römischer Basiliken. Er weilte auch zweimal in Rom, im Auftrag des Kaisers. Dort lernte er die Basiliken kennen, Zum Beispiel die Basilika Santi Marcellini et Petri, also des heiligen Petrus und Marcellinus. Zwei Heilige hatten da ihre Grablege. Und als er die Einhard-Basilika erbauen lies, schickte er seinen Sekretär Rathleik nach Rom. Und der ent-wendete die beiden Heiligen. Einhard hat das alles in der Translatio, der Übertragung und Wunder der heiligen Marcellinus und Petrus beschrieben. Und deswegen kamen die Heiligen hier her. Und der zweite Punkt war, dass Seligenstadt also an einem römischen Pilgerweg lag. Seligenstadt wurde durch die beiden Heiligen zu einem berühmten Wallfahrtsort."
Also auch ein Wallfahrtsgeschäft?
"Eine Kirche hat immer Heilige gebraucht, tausende von Pilger, finanzielle Einnahmen. Und jetzt liegen sie unter dem Altar in einem silbernen Schrein."
Also diese beiden, in Gänsefüßchen "geklauten" Heiligen aus Rom haben auch in Seligenstadt, an der Stätte der Seligen, für das Seelenheil gewirkt, angeblich auch Wunder getan. Und wir stehen nun vor dem prunkvollen Barock-Sarkophag. Nach mehrfachem Umbetten ist hier Einhard zusammen mit seiner Frau Imma beigesetzt. Er war verheiratet und gleichzeitig Abt, ohne priesterliche Weihe. Abt über Hunderte von Mönchen in verschiedenen Klöstern.
Und wieder draußen setzen wir uns im weitläufigen Klostergarten auf eine Bank. Und hier habe ich ein schmales Reclam-Heftchen dabei. 35 Seiten "Vita Karoli Magni", das Leben Karls des Großen. Von Einhard hier in Seligenstadt geschrieben. Das gibt es hier für 3 Euro. Und man fragt sich, war Einhard ein frommer PR-Biograf? Der Berliner Historiker Leopold von Ranke urteilt 1836 über Einhards Karl-Biografie
Ohne Zweifel war die Absicht mehr auf eine angenehm zusammenfassende Darstellung als auf strenge Genauigkeit in den Tatsachen gerichtet. Das kleine Buch ist voll von historischen Fehlern.
Das Büchlein über Karl ist aber die einzige authentische Quelle aus jener Zeit. Geschrieben, nicht von einem kritisch aufdeckenden SPIEGEL-Reporter. Wenn man diesen Einhard -hier- mit diesem kritischem Abstand liest - hochinteressant. Geschichte hautnah erzählt.
So drehen wir unsere Sanduhren 350 Jahre weiter. Da lässt Kaiser Friedrich Barbarossa, Wanderkaiser ohne festen Wohnsitz, er lässt sich hier in bester Mainlage das Palatium, eine luxuriöse kaiserliche Wohnung bauen. Hier an einem lieblichen Mainbogen mit einer 5-Sterne Uferpromenade. Ob Friedrich diesen Bau unternimmt, weil er im April 1188 in Seligenstadt einen Hoftag plant? Fragezeichen. Malen wir uns das Szenario eines Hoftages etwas aus.
Da reitet der Kaiser hoch zu Pferde, begleitet von zweien seiner Söhne, mit Herolden, mit Bischöfen und Beratern im Gefolge hier in dieses Städtchen ein. Es ist Teil seiner kaiserlichen Machtentfaltung, mit Glanz und Gloria, mit Reichsadler vorweg und Musik, sich so dem Volk zu präsentieren Es werden -grob geschätzt- an die tausend Teilnehmer zum Hoftag angereist sein. Aus Quellen zusammengefasst
Dieser kaiserliche Konferenz-Ort Seligenstadt mag vielleicht 700 Einwohner gehabt haben. Zu diesem "Hoftag" quillt das kleine Städtchen über. Es versammelt sich hier die Crème de la Crème des Staufer-Reiches, Herzöge, geistliche Würdenträger. Dazu eine königliche Delegation aus dem fernen Kastilien. Jeder dieser Herr-schaften tritt mit einer stattlichen Leibgarde auf. Vielleicht 3.000 Pferde grasen neben einer bunten Zeltstadt an den Ufern des Mains. Einige Hochmögende mögen auch im Kloster untergebracht sein? Dazwischen wieseln durch die engen Gassen Diplomaten, Advokaten, Wichtige- und Wichtigtuende, Berater, Hofschranzen, Bankiers, Schreiber, Leibköche. Auch welche, die für das Amüsement und Nachtprogramm zuständig sind. Und Beichtväter, damit anderntags die sündigen Seelen wieder sauber sind.
Wir sind mittlerweile vom Palatium am Main in die Fachwerk-Innenstadt gewechselt. Und hier steht etwas versteckt das sogenannte "Romanische Haus". Erbaut, damit Barbarossa einen repräsentativen Besprechungssaal hat. Wir steigen außen eine Holztreppe hoch.
Innen, massive Holzbalkendecke, Fenster mit romanischen Rundbögen. Dort drüben mag vielleicht Barbarossa gethront haben? Er ist schon 67 Jahre alt. Sein Bart von Rossa in grauweiß gealtert. Einige Tage vorher hat er in Mainz sein Kreuzzuggelübde bestätigt. Er will- und muss als Repräsentant des Römischen Reiches Deut-scher Nation, als älterer Herr, noch einmal einen Kreuzzug der Christenheit nach Jerusalem anführen. Es wäre seine zweite Abenteuerreise in das Pulverfass des Nahen Ostens. Es hört sich fast wie heute an. Er soll bei seiner Mainzer-Erklärung "yes I can" vom Jubel umtobt worden sein. Und auch hier in Seligenstadt will er nun Nägel mit Köpfen machen. Es sitzen mit dem Kaiser in diesem Romanischen Haus seine Söhne. Als Mitregent König Heinrich VI., 23 Jahre alt. Und sein etwas jüngerer Sohn und Herzog Konrad von Rothenburg, 18 Jahre. Gegenüber verhandelt eine hochrangige königliche Delegation aus Toledo und Kastilien. Meist werden solche Gespräche von familiennahen Erzbischöfen moderiert. Herbert Reiss
"Verhandelt wurde über die Verlobung, beziehungsweise die Vermählung des Konrad von Rothenburg mit dieser hübschen, damals noch nicht acht Jahre alten kastilischen Prinzessin Berengaria. Es wurde beschlossen, dass der Sohn, Konrad von Rothenburg nach Kastilien geht, das hat der auch gemacht. 1190, also zwei Jahre später, sollte Berengaria an den kaiserlichen Staufischen Hof kommen, was nicht geschah. Und damit war die Verlobung geplatzt."
Die glanzvolle Traumhochzeit sollte in Spanien stattfinden. Stellen wir uns diese Konstellation etwas vor. Ein 18 Jähriger soll eine 8 Jährige heiraten. Die kind-liche Braut spielt noch mit der Barbie-Puppe, ihr zehn Jahre älterer Bräutigam träumt schon von ganz anderen Puppen. Die Hintergründe der diplomatisch eingefädelten Hochzeit" liegen noch anders.
Es wird in Seligenstadt eine feudale spanische Mitgift für Berengaria von 42.000 Goldgulden ausgehandelt. Zweites hoffen die Staufer, und ihre Heiratsvermittler, dass der Brautvater und König von Kastilien und Toledo weiterhin ohne männlichen Erben bleibt. Dann könnte der Herzog und Kaisersohn, den kastilischen Thron besteigen. Thron plus Mitgift, ein glänzendes Geschäft. Über ein Duzend weiterer edler Zeugen, aus beiden Familienseiten, unterzeichnen als Garanten diesen Vertrag von Seligenstadt.
Doch eine Intrige oder Falle, in die der junge Konrad in Spanien tappt, lassen die geplante Vermählung von Kind mit Mann scheitern. Das blamiert den Kaiser Friedrich, rettet dem Jüngling aber das Leben. Denn ohne diese kastilischen Hochzeitspläne hätte Konrad von Rothenburg wahrscheinlich seinen Vater auf dem Kreuzzug begleitet. Barbarossa ertrinkt dabei in der Türkei. Die Kreuzfahrer sehen damals den Unfall als ein Gotteszeichen. Rotbarts Kreuzzügler-Heer, von den Reisestrapazen geschwächt, wird durch Kämpfe und Seuchen dahingerafft. Kaum jemand sieht die Heimat wieder. Heute finden in diesem kleinen romanischen Konferenzsaal von 1188 auch Konzerte statt. Wir hören eine kastilische Musik aus jener Zeit des jungen Herzogs Konrad und der 8-jährigen Prinzessin.
Eine so wehmütig klingende Musik.
Und nun sprechen wir in Bildern über ein historisches Ereignis, das diese bunte Fachwerk-Innenstadt in den nächsten Wochen bis zum 19 Juno mit bunten Kostümen füllen wird. Das Seligenstädter Geleit. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit reisen die Kaufmannszüge zur berühmten Frankfurter Messe aus dem süddeutschen Raum. Seligenstadt war die letzte Übernachtung vor Frankfurt. Doch die Messebeschicker, teilweise mit teurer und seltener Ware, auch aus dem fernen Venedig, trödeln nicht einzeln durch die von vielerlei Räubern und Schinderhannessen verun-sicherten Lande. Sie rollen und rumpeln im Geleitzug, heißt unter Militärschutz nach Frankfurt. Und so ein Übernachtungs-Ort wie Seligenstadt hat daran sehr gut ver-dient. Stadttor auf: Der lange Lindwurm des Geleitzuges rollt rein. Alle Stadttore zu. Wachen auf die Türme. Und dann beziehen die Händler die Quartiere, die Zugpferde werden versorgt, Karren repariert, Hufe beschlagen. Es riecht nach verbranntem Horn, nach Bratwürsten, reichlich Bier und Ochs am Spieß. Und dieses Szenario eines Kaufmannszuges mit Schutzgeleit wird seit einiger Zeit im 4-Jahre Rhythmus wieder aufgeführt.
Wir wollen über Reisenotizen vor 300 Jahren nachdenken. Eine Briefnotiz an Gott-hold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel, von seiner Frau, Anno 1772
Wir haben schon zwei Achsenbrüche zu überstehen gehabt. Schließlich sind uns auch noch die Pferde durchgegangen und über solche Hügel und Gräben ge-setzt, dass wir nichts anderes, als den schrecklichen Tod vor Augen sahen. Endlich waren Bauern zur Hilfe gekommen und hatten die panischen Tiere zum Stehen ge-bracht. Am nächsten Tage waren zwei Pferde gestützt, eins war so schwer verletzt, dass der Postillon versuchte vier eiskalte Stunden es zum Aufstehen zu bewegen. Bis es gestorben war. Weiter ging es mit einem Pferd. Das stolperte beim Durchqueren eines Flüsschens, der Wagen saß fest. Wir stapften eine dreiviertel Stunde durch Regen und zähen Morast zum nächsten Dorf. Doch der Main stand so hoch, dass wir ihn nicht durchwaten konnten. Fünf Tage saßen wir in einem Gasthof fest.
Wohlgemerkt, Frau Lessing fährt nicht im Geleitzug. Deutschland hat damals noch kein mehrspuriges asphaltiertes Straßennetz, es waren bessere Feldwege. Und wer über den Main wollte, der fand nicht alle zehn Kilometer eine stabile Eisenbetonbrücke. In Seligenstadt kann man Geschichte hautnah erzählen oder bei Einhard auf 35 Seiten nachlesen.