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Am Tropf der armenischen Diaspora

Die autonome Region Berg-Karabach liegt auf dem Gebiet Aserbaidschans, wird aber seit je her mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Nach dem deswegen ausgefochtenen Krieg besetzte Armenien 1994 das Gebiet. Mittlerweile ist Berg-Karabach ein Scheinstaat und abhängig von der Hilfe der Auslandsarmenier. Deren Unterstützung jedoch scheint sich dem Ende zu zu neigen. Gesine Dornblüth berichtet.

    Der Minibus rast um die Löcher im Asphalt herum. Links und rechts erstreckt sich das Hochland Armeniens: gelbe Blumenwiesen, dazwischen Gesteinsbrocken. Die Straße von der armenischen Hauptstadt Jerewan in das Konfliktgebiet Berg-Karabach wird mal wieder ausgebessert. Es ist die einzige Verbindung des armenisch bewohnten Gebiets in Aserbaidschan zur Außenwelt. Erst vor wenigen Jahren wurde die "Straße des Lebens", wie sie pathetisch genannt wird, von den Geldern eines armenischstämmigen US-Bürgers instand gesetzt. Doch der strenge Frost im Winter setzt ihr jedes Jahr wieder zu.

    Die Einreise nach Berg-Karabach verläuft unspektakulär. Nur der Busfahrer steigt aus, läuft zu einem Häuschen und zeigt seine Papiere vor. Die Behörden in dem Separatistengebiet bestehen darauf, dass Ausländer ein Visum beantragen und sich polizeilich anmelden. All zuviel Bedarf besteht aber nicht, denn bisher verirren sich nur wenige in die kaukasische Bergregion. Etwas oberhalb der "Straße des Lebens" liegt der einstige Luftkurort Berg-Karabachs, Schuschi, wie ihn die Armenier nennen. Die Aserbaidschaner sagen Schuscha.

    Am Ortseingang sitzen zwei Frauen vor dem einzigen Gasthaus. Sie haben Schaschlik bestellt. Rundherum Gerippe zerstörter Wohnhäuser. Die beiden Frauen sind Mutter und Tochter, Französinnen mit armenischen Wurzeln. Sie machen zwei Tage Urlaub in Berg-Karabach. Ihre Vorfahren kamen aus Istanbul. Ihre Biographien sind typisch für die Auslandsarmenier. Die Mutter, Doris Sirabian, ist 74, kam in Griechenland zur Welt und lebt bereits seit Jahrzehnten in Paris. Dennoch fühlt sie sich verantwortlich für Armenien, und auch für Berg-Karabach:

    "Ich interessiere mich für das Land. Wenn es nötig ist, hier oder da finanziell zu helfen, dann tue ich das. Mit Vergnügen. Damit sie hier ein besseres Leben haben. Nur: Leider gibt es so viel zu tun. Zunächst einmal: Wem soll ich helfen und wie? Den Kriegsversehrten? Den Waisen? Den Schulen? Man muss hier alles neu machen."

    Die alte Dame rückt ihre Sonnenbrille zurecht und lehnt sich auf dem Plastikstuhl zurück. In Armenien wohnen etwa drei Millionen Menschen. Mindestens doppelt so viele Armenier leben im Ausland, viele von ihnen in Frankreich. Jedes Jahr schicken sie Spenden in Millionenhöhe nach Armenien. Und auch nach Berg-Karabach. Das ist bitter nötig, denn Armenien ist bettelarm und fällt wirtschaftlich immer weiter hinter seinen Nachbarn zurück. Aus regionalen Wirtschaftsprojekten wie zum Beispiel Pipelines wird Armenien ausgeschlossen. Der Grund ist die unnachgiebige Haltung der Armenier im Karabach-Konflikt. Meline Sirabian, die Tochter, nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. Die 42jährige kann mit der Armenien-Verbundenheit ihrer Mutter nicht viel anfangen:

    "Ich bin hergekommen, um eins zu sein - mit dem Ort, mit den Menschen, mit dem Leben hier. Aber die Wirklichkeit ist anders. Ich fühle keine Nähe zu den Menschen. Wir haben nicht die gleiche Mentalität. Ich müsste einen Schritt zurück tun. Schon die Situation der Frauen. Sie sind hier so schicksalergeben. Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren. Und dann mag ich keine Orte, an denen die Menschen nur davon träumen, ins Ausland zu gehen. Und noch weniger mag ich es, wenn sie dann im Ausland ausschließlich über das Land reden, aus dem sie kommen."

    Sie hänge an Werten wie Freiheit und Gerechtigkeit, sagt sie. Und Armenien und Berg-Karabach seien allenfalls auf dem Weg zur Demokratie, die Gesellschaften tief korrupt. Die Mutter, Doris Sirabian, blickt auf:

    "Sie haben eine kaukasische Mentalität. Wir dagegen eine westliche. Aber ich muss trotzdem sagen, dass ich überzeugt davon bin, dass es die Diaspora geben muss, zum Wohl der Armenier. Dank der Diaspora können die Armenier in Armenien existieren, und sie erfahren auch, was im Westen geschieht."

    Im Kurort Schuschi lebten vor dem Krieg vor allem Aserbaidschaner. Kein einziger ist im total zerstörten Schuschi geblieben. Meline Sirabian, die Tochter, trinkt einen Schluck türkischen Mokka. Wohl fühlt sie sich nicht:

    "Ich fühle die Anwesenheit der Aserbaidschaner. Ich denke dauernd daran, dass sie hier gelebt haben, und dass sie hier gekämpft haben. Wo sind sie?"


    Programmtipp: Deutschlandfunk, "Gesichter Europas", 4. August 2007, 11.05 Uhr: "Ungelöst und unbeachtet - Konfliktherd Karabach"