Migrantenvereine im Fußball
Das Gefühl, am Rand zu stehen

Der Amateurfußball spürt die Folgen des Nahost-Konflikts. Die Makkabi-Vereine spielen unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Muslimische Migranten fühlen sich als Antisemiten dargestellt. Wie können Vereine konstruktiv gegen Rassismus vorgehen?

Von Ronny Blaschke |
Etliche Spieler von Al Hilal Bonn sehen sich von einigen Politikern und Medien pauschal als Antisemiten dargestellt, sagt Trainer Younis Kamil.
Etliche Spieler von Al Hilal Bonn sehen sich von einigen Politikern und Medien pauschal als Antisemiten dargestellt, sagt Trainer Younis Kamil. (IMAGO / Hanno Bode / IMAGO / BODE)
Ein Besuch im Süden von Bonn, im Stadtteil Pennenfeld, wo viele Menschen aus Einwandererfamilien auf engem Raum leben. Hier trainieren die Fußballteams des Internationalen Sport-Clubs Al Hilal. Fast alle Spieler des Vereins haben Eltern oder Großeltern, die nach Deutschland eingewandert oder geflüchtet sind, aus der Türkei, Syrien oder den Palästinensischen Gebieten. Es sind Länder, in denen die Bevölkerungen teilweise ablehnend bis feindselig auf Israel blicken.

„Die Reaktionen waren zum Beginn wirklich: Entsetzen und Mitgefühl, was durch die Hamas verübt wurde“, sagt Younis Kamil, der erste Vorsitzende von Al Hilal Bonn, über die Reaktionen seiner Mitglieder auf den Terrorangriff in Israel. „Es gab sicherlich auch vereinzelt diejenigen, die aufgrund einer unkritischen Betrachtung dessen, was da passiert ist, eine gewisse Form der Genugtuung zum Ausdruck gebracht haben. Aber, nachdem sie dann die Bilder gesehen haben, und gemerkt haben, was dort passiert ist, haben auch die wieder zurückgezogen. Und haben gesagt: Das wussten wir nicht, dass das in diesem Ausmaß gegen Zivilisten, gegen Ältere, gegen Frauen, gegen Kinder ausgeübt wurde. Also es gab auch in meiner Community eine große Betroffenheit.“

Schwindendes Vertrauen in den Staat

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS verzeichnet nach dem Angriff der Hamas auch in Deutschland einen spürbaren Anstieg antisemitischer Straftaten. Die Vereine des jüdischen Sportverbandes Makkabi haben ihre Sicherheitsmaßnahmen erhöht. In der aktuellen politischen Polarisierung tritt aber auch der Rassismus gegen Muslime offener zu Tage. Etliche Spieler von Al Hilal Bonn seien frustriert und verzweifelt, sagt Younis Kamil. Weil sie sich von einigen Politikern und Medien pauschal als Antisemiten dargestellt fühlen: „Das ist auch ein ganz großes Gefühl von Machtlosigkeit, von Nichtverstanden-Sein hier in Deutschland, und eindeutig an den Rand der Gesellschaft gestellt zu werden. So ein gesellschaftliches Narrativ von: ,Muslimische Migranten sind Schuld, das sind die Bösen.‘ Und das treibt sie dann immer mehr, weil sie dann das Gefühl haben, ok, also wenn ich nicht Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft sein kann: an wen wende ich mich denn dann?“
Younis Kamil, der als Kleinkind mit seinen Eltern aus dem Sudan nach Deutschland kam, befasst sich als Sportsoziologe mit der Radikalisierung von jungen Menschen. Häufige Ausgrenzungs-Erfahrungen können dazu führen, sagt er, dass Heranwachsende ständig Ungerechtigkeit vermuten und ihre Identifikation mit dem Staat schwindet. Eine Haltung, die in etlichen Familien vorgelebt werde, weil die Eltern auf der Suche nach einem Job oder nach einer Wohnung auf Widerstände stoßen. Auch auf dem Fußballplatz kommt es zu Diskriminierungen. Gleichzeitig gibt es mitunter Vereine mit einem hohen Migrantenanteil, die in Gewaltvorfälle auf Sportplätzen verwickelt sind.

Der Sportverein als sicherer Gesprächsraum

Younis Kamil ist bei Al Hilal Bonn auch als Trainer aktiv. Er steht im ständigen Kontakt zu seinen Spielern und sagt: „Wir raten Jugendlichen konkret dazu: reduziert euren Social-Media-Konsum. Vor allem: reduziert euren Tik-Tok-Konsum, weil es dir immer radikalere Inhalte anbietet. Ein weiterer Punkt: Kommt und sprecht mit uns. Äußert eure Emotionen. Äußert auch Gedanken, die könnt ihr nicht überall äußern, wir werden auch ein ehrliches Feedback darauf geben.“
Younis Kamil betrachtet die geschätzt rund 1.000 Migrantensportvereine in Deutschland auch als „Safe Spaces“, als „sichere Räume“. Es ist eine Form der Selbstermächtigung, die einige Verbandsfunktionäre ihnen jedoch als mangelnde Integrationsbereitschaft auslegen. Sehr selten schaffen es Vertreter der Migrantenvereine in die Präsidien, Sportgerichte oder Ausschüsse der Verbände.

Migranten in Führungspositionen unterrepräsentiert

„Konkret beim Fußball müssen wir feststellen, dass wir einen viel zu geringen Anteil haben von Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Und der kann meines Erachtens nicht nur daraus resultieren, dass zu wenig qualifiziertes Personal da ist, sondern dass diese Teilhabe vielleicht auch von vielen Menschen nicht gewünscht ist. Stichwort: die machen nur Ärger. Oder: die wollen eine Extrabehandlung,“ sagt der Politikwissenschaftler und Schiedsrichter Arianit Besiri, der seit 2022 Vizepräsident im Fußballverband Rheinland ist.
Besiri sucht nach unbürokratischen Wegen, um Fußballer mit Einwanderungsgeschichte für das Ehrenamt zu gewinnen. Anfang Dezember beginnt dazu auch ein so genanntes „Leadership-Programm“ in Hennef. Arianit Besiri sagt: „Nur wie wir diese Leute, diese hochqualifizierten Leute, Juristen, Ärzte, Anwälte, aber auch Polizisten mit Migrationsbiografie, wie wir diese Leute in Verbandsstrukturen integrieren können, dazu fehlt es an Austauschplattformen.“

Fokus auf Bildung

Die Basis wird in den Vereinen gelegt. Younis Kamil gibt seinen Spielern bei Al Hilal Bonn früh zu verstehen, dass eine Profikarriere für sie unwahrscheinlich ist. Er betont Bildung und schaut in die Zeugnisse seiner Spieler. Wer Probleme in der Schule hat, kann im Verein Nachhilfe erhalten. Kamil fördert Dialogbereitschaft und Kritikfähigkeit. So ebnet er Spielern die Entwicklung zum Trainer, Gruppenleiter oder Verantwortlichen für soziale Medien.
In der aktuellen Diskussion um den Nahen Osten mahnt er um Zurückhaltung: „Ganz konkret: Dass wir den jungen Menschen sagen: Lasst euch jetzt nicht in eine Ecke ziehen, lasst euch jetzt nicht radikalisieren. Verherrlicht niemals Gewalt. Wenn ihr in der Schule irgendwie darauf angesprochen werdet: Entweder du bist in der Lage, dich konstruktiv zu äußern oder äußere dich gar nicht. Und bestätigt nicht die Bilder, die andere gern über euch sehen wollen.“ Sollte sich die Lage im Nahen Osten zuspitzen, dann dürften die Folgen auch im Amateurfußball zu spüren sein, für die jüdischen Vereine von Makkabi, aber auch für migrantische Klubs wie Al Hilal in Bonn. Ein Trainerkollege von Younis Kamil hat Verwandte im Gazastreifen. Er weiß, dass deren Wohnhaus zerstört ist, und hofft weiterhin auf ein Lebenszeichen.