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Amborella
Blütenpflanze ohne Verwandtschaft

Tier- oder Pflanzenarten ohne genetische Verwandtschaft üben auf Biologen einen ganz besonderen Reiz aus. Zu diesen lebenden Fossilien gehört der legendäre Quastenflosser ebenso wie das Schnabeltier. Bei der genauen genetischen Untersuchung der Blütenpflanze Amborella fanden US-Forscher die Antwort auf eine 150 Jahre alte Frage.

Von Michael Lange |
    "Amborella wächst als kleiner Baum oder Strauch an steilen Hängen im tropischen Regenwald Neukaledoniens, im südlichen Pazifik. Auf den ersten Blick unscheinbar aber evolutionsbiologisch enorm interessant."
    Im vollständig entzifferten Erbgut, dem Genom von Amborella, konnten die Biologen nun nachlesen, wie vor etwa 200 Millionen Jahren innerhalb kürzester Zeit – also wenigen Millionen Jahren – aus dem Nichts die Vielfalt der Blütenpflanzen entstand.
    "Zum ersten Mal haben wir einen Nachweis gefunden für eine Verdopplung des Erbmaterials in einer frühen Phase der Evolution. Damals entstand der Vorfahre aller Blütenpflanzen durch Genom-Verdopplung. Nur so konnte die Vielfalt der Blütenpflanzen entstehen."
    Das war ein Zufallsereignis. Ein Unfall der Natur. Plötzlich gab es zwei Genome in einer Zelle. Es standen Hunderte neuer Gene zur Verfügung, die zur Erhaltung des Lebens nicht gebraucht wurden. Zufällig war Spielmaterial für die Evolution entstanden. Wie daraus viele Arten wurden, das können die Wissenschaftler jetzt mit der Hilfe des Amborella-Genoms rekonstruieren.
    Er sei völlig von den Socken, so wie viele andere Pflanzenforscher, jubelt Jeff Palmer von der Indiana State University. So etwas Gewaltiges haben sie nicht erwartet. Jeff Palmer und sein Team haben eines der Teilprojekte durchgeführt und das Erbgut der Mitochondrien untersucht. Das sind die Kraftwerke der Zellen. Ihr Erbgut wird nur über die mütterliche Linie vererbt.
    "Das Außergewöhnliche bei Amborella: Ihre Mitochondrien sind randvoll gefüllt mit fremden Genen. Die hat sich die Pflanze von Algen und anderen Pflanzen gestohlen. Wir nennen das: horizontaler Gentransfer."
    Auch diese fremden Gene sind Spielmaterial für die Evolution. Wie sie einst in die Vorfahren von Amborella gelangt sind, darüber können Fachleute nur spekulieren. Aber Jeff Palmer hat eine Idee:
    "Amborella wächst in sehr feuchter Umgebung. Und auf ihr wachsen parasitisch sogenannte Epiphyten. Das konnte ich vor Ort in Neukaledonien beobachten. Auf Amborella wächst jede Menge Moos, Algen, Flechten und auch Blütenpflanzen. Und bei Verletzungen der Pflanze könnten sich die Gene der Arten vermischt haben."
    Die neuen Entdeckungen lösen ein Rätsel, das Charles Darwin bereits vor über 150 Jahren formuliert hat: „Wie entstand so plötzlich die Vielfalt der Blütenpflanzen auf der Erde?“ Die explosionsartige Entwicklung passte nicht zu seiner Evolutionstheorie von Mutation und Selektion, die Schritt für Schritt erfolgt. Er sprach deshalb von einem „abscheulichen Geheimnis“. Nun liefert eine unscheinbare Pflanze aus Neukaledonien eine Erklärung. Charles Darwin wäre begeistert.