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Ambrose Bierce
Sarkastisch-abscheuliches Journalistenmonster

Seine Erzählungen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg haben Ambrose Bierce sofort berühmt gemacht. Als erster Starjournalist der USA überzog er später viele heilige Kühe mit Sarkasmus. Am 11. Januar 1914 starb er.

Von Christian Linder | 11.01.2014
    Amerikanischer Bürgerkrieg: Timothy O'Sulivan fotografierte im Juli 1863 das mit Verletzten und Toten übersäte Schlachtfeld von Gettysburg in Pennsylvania. Es war eine der blutigsten Schlachten auf dem Kontinent.
    Schlachtfeld von Gettysburg: Bierce wurde durch seine Erzählungen vom Bürgerkrieg berühmt. (picture alliance / dpa / Timothy O'Sullivan)
    Irgendwo auf der Welt, wusste Ambrose Bierce, herrscht immer Krieg. Und er wollte dabei sein, wenn auch zunächst nur aus privaten Gründen. Geboren 1842 in Ohio, meldete er sich bei Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs als 19-Jähriger freiwillig zum Dienst aufseiten der Union, um der Enge seiner frommen Familie, "ungewaschenen Wilden", wie er sie nannte, zu entkommen. Auf den Schlachtfeldern von Shiloh und Chickamauga begriff er allerdings, dass er als Schriftsteller, der er werden wollte, die Absurdität jeden Krieges bezeugen musste. Damals gewann er seinen Blick auf die Welt:
    - Soldat: "Den Vorgang Sterben, Herr General, gibt es in Wirklichkeit nicht. Es ist ganz einfach der letzte Schmerz."
    - General: "Was wissen Sie vom Tod?"
    - Soldat: "Die Natur hat das offenbar ganz in meinem Interesse geordnet. Wenn ich morgen früh gehängt werde, bei Bewusstsein, lebe ich. Bin ich tot, habe ich kein Bewusstsein mehr. Es ist so einfach, dass es kaum lohnt, gehängt zu werden ."
    - General: "Der Tod ist grauenhaft."
    - Soldat: "Vielleicht. Vielleicht ist er tatsächlich grauenhaft, aber dann nur, weil wir dazu neigen, ihn durch wilde und gewagte Theorien über eine andere Welt dafür zu halten. Hier endet Ihre Macht, Herr General."
    Ambrose Bierces zwischen 1888 und 1891 entstandene Kurzgeschichten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, "Tales of Soldiers and Civilians", brachten dem Autor sofort höchste Anerkennung ein. Sein Talent, feinste Impressionen mit kaum noch zu unterbietender Lakonie zu beschreiben und schockierendste Erfahrungen auf den Punkt zu bringen, fand sich wieder in den Spuk- und Horrorgeschichten, die den Bürgerkriegserzählungen folgten. Darin kündigte sich auch ein beißender Witz an, der sich später voll entfaltete in Zeitungsartikeln, die den Autor zu Lebzeiten noch berühmter machten als seine literarischen Texte.
    Bierce war unter den amerikanischen Schriftstellern der erste Star-Journalist, der von San Francisco aus im Sold des berühmt-berüchtigten Pressezaren William Randolph Hearst alle von einer scheinbar hehren Gesinnung gepflegten heiligen Kühe mit Sarkasmus überzog. In "Des Teufels Wörterbuch", konzipiert als "gesellschaftskritisches Handbuch eines Zynikers", hat er seine ursprünglich in Kolumnen veröffentlichten Aperçus und Aphorismen versammelt.
    "- Agitator = ein Politiker, der die Obstbäume seines Nachbarn schüttelt, um die Würmer umzuquartieren.
    - Achtbarkeit = Abkömmling einer Liaison zwischen einer Glatze und einem Bankkonto.
    - Absurdität = eine Meinungsäußerung, die der eigenen Ansicht offenkundig widerspricht.
    - Christ = einer, der die Lehren Christi befolgt, soweit diese nicht mit einem sündhaften Leben unvereinbar sind."
    Bei allem öffentlichen Ansehen, das sich laut Bierces eigener Einschätzung am treffendsten in der Äußerung eines Kritikers ausdrückte, der Autor sei ein "dandyfizierter Strindberg", oder in der Meinung des amerikanischen Innenministers, der Autor sei "ein abscheuliches Monster, eine Mischung aus Drache, Fledermaus und Schlange", ertönten gegen Ende von Bierces Leben wieder die Kriegsgeräusche: Seine Ehe löste sich auf, ein Sohn trank sich zu Tode, ein anderer starb bei einer Schießerei um eine Ex-Freundin. Trost fand Bierce in seiner alten Gewissheit, dass "die Gesellschaft der Toten unbeschreiblich angenehm" sei. Aus Furcht, alt an Langeweile oder einer Krankheit im Bett zu sterben, ließ er sich im Alter von 73 Jahren noch einmal vom fernen Kanonendonner anlocken und zog in den mexikanischen Bürgerkrieg. In seiner letzten schriftlichen Mitteilung, einem Weihnachten 1913 geschriebenen Brief, freute er sich in der Erwartung, als "verhasster amerikanischer Gringo" in Mexiko an die Wand gestellt und "zu Fetzen" geschossen zu werden:
    "eine ganz angenehme Art, aus diesem Leben zu scheiden."
    Im Kanonendonner mexikanischer Schlachtfelder verlieren sich Ambrose Bierces Lebensspuren. Man nimmt an, dass Bierce aufseiten des Revolutionsgenerals Pancho Villas am 11. Januar 1914 beim Kampf um Chihuahua dabei war. Nach diesem Tag, an dem die Stadt fiel, hat man Ambrose Bierce nicht mehr gesehen und von ihm auch nichts mehr gehört.