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"Amerika steht wirklich am Abgrund"

Die amerikanische Notenbank versuche verzweifelt, die US-Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, sagt Finanzwissenschaftler Max Otte. Immer mehr Geld werde in Umlauf gebracht. Wichtiger sei allerdings, eine produktivere Wirtschaft zu schaffen. Das gelinge aber nur mit Investitionen in die Bildung und Infrastruktur.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Ein Erdrutschsieg ist es gewesen für die Republikaner im amerikanischen Abgeordnetenhaus, mehr als nur eine politische Ohrfeige für Barack Obama. Die veränderten Mehrheitsverhältnisse werden konkrete Folgen haben, sehr wahrscheinlich eben auch für die Wirtschafts- und Finanzpolitik Washingtons, Folgen für die wichtigste und größte Wirtschaftsnation der Welt und damit auch für den gesamten Globus, auch für Europa. Regulierung der Finanzmärkte, Abwertung des Dollars, steigende Inflationsgefahr, Währungskrieg, das sind einige Stichworte, die uns in den kommenden Monaten beschäftigen werden. Die amerikanische Notenbank hat nun entschieden, noch mehr Dollars in den Umlauf zu bringen.

    Bei uns im Studio hier in Köln begrüße ich nun den Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Guten Morgen.

    Max Otte: Guten Morgen.

    Müller: Herr Otte, die Notenpresse anwerfen, das haben wir gerade im Beitrag von Klaus Kastan gehört, also regelrecht Geld drucken, ist das nicht längst vorbei?

    Otte: Nein. Klaus Kastan hat ja gesagt, das ist ein letzter verzweifelter Versuch der amerikanischen Notenbank, in der Tat die amerikanische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Wenn man die Zinsen nahe null senkt und die Zinsen werden nicht akzeptiert, es werden also keine weiteren Kredite aufgenommen, dann gleitet man schleichend in die Planwirtschaft hinüber. Das heißt, die Notenbank kauft selber Anleihen, was ja bei der EZB bis vor einigen Monaten verboten war. Also in der Tat ist das fast Planwirtschaft. Man versucht noch mal verzweifelt, Geld in den Umlauf zu bringen.

    Müller: Wenn das mit der Zinspolitik nicht funktioniert hat, warum soll das jetzt mit der Geldpolitik funktionieren?

    Otte: Zins- und Geldpolitik sind ja zwei Seiten einer Medaille. Die Zinsen sind schon bei null. Wenn also jetzt die Notenbank Anleihen kauft, Staatsanleihen und andere Anleihen, dann bringt sie automatisch mehr Geld in Umlauf, denn irgendjemand verkauft ja diese Anleihen. Das heißt, das ist noch mal, als ob man Geld quasi in den Wirtschaftskreislauf hineinpumpt. Während wenn sie die Zinsen niedrig halten, dann muss ja immer noch jemand diese Kredite aufnehmen. In diesem Falle kauft ja die Notenbank Anleihen und gibt dafür Geld ab, neues Zentralbankgeld. Das heißt, sie pumpt mit aller Macht Geld in den Wirtschaftskreislauf.

    Müller: Nun können sich einige oder viele wie auch immer noch an die Schulzeit erinnern, wo man ja auch mal über Geldpolitik gesprochen hat, und da hat man dann irgendwie auch gelernt, wenn zu viel Geld rein kommt, dann steigt die Inflation. Wie groß ist die Gefahr?

    Otte: Bernanke hat Recht, wenn er sagt, im Moment ist das nicht absehbar. Aber natürlich, wenn ich die Geldmenge erhöhe und die Wirtschaft wächst nicht, wächst der inflationäre Druck. Das ist so ein bisschen wie bei der Ketchup-Flasche: sie schütteln und schütteln und schütteln und es kommt nichts heraus, dann hauen sie noch einmal mit der Hand auf den Boden und auf einmal kommt ihnen der ganze Ketchup-Flasche entgegen und sie haben das Hemd bekleckert. Das heißt, im Moment gibt es diesen Stau, man sieht noch nicht, dass der Geldkreislauf anspringt, im Gegenteil: Die Deflation ist die große Gefahr, da hat Bernanke Recht. Aber was er verschweigt ist die Tatsache, wenn das kippt, wenn also auf einmal dann der Geldkreislauf in Gang kommt, dass dann es wahrscheinlich sehr schwer sein wird, die Inflation zu bremsen. Im Moment blähen wir die Bilanz der Notenbank auf durch das neu geschaffene Geld, aber dieses neu geschaffene Geld kommt noch nicht in Umlauf. Das heißt, die Geldmenge steigt und die Umlaufgeschwindigkeit sinkt.

    Müller: Das habe ich auch noch nie so richtig verstanden, Professor Otte. Wenn Sie hier sind, muss ich die Gelegenheit nutzen. Inflation, haben wir immer gehört, ist problematisch. Warum ist Deflation problematisch?

    Otte: Deflation ist natürlich das Horrorszenario überhaupt. Da haben sie ja nicht nur den Verfall von Preisen, was eigentlich ganz schön ist für diejenigen, die Geld besitzen. Alles wird billiger. Aber das schlimmste ist ja der Verfall des Preises der Ware Arbeit. Das heißt, wer seine Haut sozusagen zum Markte tragen muss, um sich zu ernähren, der geht dann auf jedes Angebot ein und die Löhne schrumpfen und implodieren unter Umständen in einer extremen Situation, wie wir sie 29 fortfolgende hatten, und das heißt dann natürlich, es fehlt Kaufkraft und es kommt die nächste Runde der Spirale. Es ist also eine richtige Deflationsspirale, und dann wären wir in einer Weltwirtschaftskrise.

    Müller: Also ist uns die Inflation lieber? Gibt es auch eine gute Inflation?

    Otte: Ich habe ja schon vor dem IWF im Frühjahr gesagt, dass wir vier bis sieben Prozent Inflation brauchen über einige Jahre. Das ist natürlich nicht angenehm. Aber ich halte es für sehr schwierig, bei der jetzigen doch sehr kranken Weltwirtschaft, den schmalen Pfad des absolut gesunden Wachstums zu schaffen. Also Inflation ist schon deswegen nötig, um die großen Schuldenmengen, die wir in der Welt aufgetürmt haben seit 1982, quasi zu entwerten.

    Müller: Ist das nicht äußerst unfair zu sagen, wir haben kein politisches und kein wirtschaftliches Rezept, wir machen einfach das Geld billiger?

    Otte: Natürlich ist es unfair, aber Politik verschiebt immer Lasten und es bleibt zu diskutieren. Deflation wäre natürlich extrem nachteilig für diejenigen, die im Berufsleben sind, für diejenigen, die ins Berufsleben wollen. Inflation ist nachteiliger für diejenigen, die schon Geldvermögen haben. Es geht ja immer darum, welche Gruppe trägt welche Lasten, und die Inflation verschiebt die Lasten etwas weg von den jüngeren und etwas hin zu den älteren. Darüber kann man politisch streiten.

    Müller: Reden wir, Herr Otte, noch einmal über die amerikanische Perspektive, vielleicht auch hineinschlüpfend in die amerikanische Sicht. Sämtliche Maßnahmen der FED haben in den vergangenen Jahren eben nicht funktioniert, Sie haben es bereits angesprochen. Wie wäre es denn mit besseren Produkten, mit einer produktiveren Wirtschaft?

    Otte: In der Tat. Amerika hat mittlerweile einen Industriesektor, der nach einigen Schätzungen unter zehn Prozent ist, und diese Mär von der reinen Dienstleistungsgesellschaft, das funktioniert für so eine große Volkswirtschaft nicht und Amerika steht wirklich am Abgrund. Die haben eine Potenziallücke von 20 Prozent, also zehn Prozent laufende Neuverschuldung plus zehn Prozent Potenzialunterauslastung. Diese Wirtschaft steht am Abgrund. Deswegen ist der Versuch von Bernanke wirklich ein letzter verzweifelter Versuch. Aber wenn sie eine produktivere Wirtschaft schaffen wollen, dann müssen sie in Bildung investieren, und zwar nicht nur in ein paar Elite-Unis, dann müssen sie in Infrastruktur investieren, dann müssen sie in all diese Dinge investieren, all das, was jetzt durch den Ausgang der Kongresswahlen etwas unwahrscheinlicher geworden ist.

    Müller: Blicken wir nach Europa, blicken wir auf die möglichen Konsequenzen, was das alles für uns bedeutet. Wenn der Dollar weiter fällt – und das ist wahrscheinlich, wenn immer mehr Geld reingepumpt wird von der FED -, dann steigt der Euro. Das ist für die Touristen und Besucher, die nach Amerika fliegen gut, für die europäischen Produkte, für die Absatzmärkte aus europäischer Sicht ist es problematisch. Auch für Deutschland?

    Otte: Natürlich ist es ein Nachteil für Deutschland, aber man sollte das nicht überbewerten. Die Amerikaner müssen im Prinzip den Dollar entwerten, weil sowohl der Staat verschuldet ist, die Bürger selber und auch das Land im Ausland. Das heißt, die können nur über Inflation und Entwertung aus diesem Schlamassel rauskommen. Das heißt, der Euro steigt. Aber es geht ja weit über die Hälfte unserer Exporte zum Beispiel in die Euro-Zone und nach Europa. Das heißt, Deutschland ist relativ gut dagegen abgesichert. Wir haben an die 1000 Weltmarktführer, mittelständische in Deutschland. Das heißt, wir haben eine Wirtschaft, die noch enorme Stärken aufweist. Natürlich muss man das beobachten, aber ich würde da zu einer gewissen Gelassenheit raten.

    Müller: Und es gibt so was wie den Mercedes-Bonus. Das kann man häufiger lesen in den Zeitungen. Der wird trotzdem gekauft, egal wie teuer er ist?

    Otte: So ist es. Wenn die Produkte teuerer werden, dann werden sie trotzdem gekauft. Da gibt es genau den umgekehrten Effekt. Aber wenn natürlich irgendwann die Schwellenländer auch solche Produkte haben, dann könnte es kritisch werden, aber da sind wir noch ein Stückchen weit weg.

    Müller: Jetzt haben Sie, Herr Otte, viel Verständnis für die Amerikaner, beziehungsweise Sie haben gesagt, das ist die einzige Möglichkeit, dort in den kommenden Monaten möglichst schnell zu einem Erfolg zu kommen, dass mehr Geld rein kommt, dass Kredite wieder aufgenommen werden, dass die Wirtschaft wieder anspringt. Abwertung des Dollars, eine Konsequenz. Abwertung der chinesischen Währung, das ist das, was Washington Peking immer vorwirft, das ist offenbar auch eine große Schwierigkeit für die gesamte Weltwirtschaft. Täuschen die Chinesen den Rest der Welt?

    Otte: Ach ja, sie täuschen sie genauso wie die Amerikaner, die dem Rest der Welt Staatsanleihen verkauft haben, die irgendwann nichts mehr wert sein werden. Also das sind politische Fragen zwischen zwei Großmächten. Natürlich haben die Chinesen eine unterbewertete Währung, sie haben aber auch natürlich sehr produktive Unternehmen und so weiter. Und auch China steht ja vor dem Problem, dass im letzten Jahr zum Beispiel der Boom durch eine massive Ausweitung des Kredites, über 30 Prozent Kreditexpansion waren nötig, um den Boom aufrecht zu halten, und 12 Prozent des Inlandsprodukts als Konjunkturprogramm. Also in China gibt es auch potenzielle Probleme. Aber es ist sicher richtig, dass China eine Aufwertung zulassen sollte.

    Müller: Und inwieweit kann man da politischen Druck ausüben? Hat so etwas schon mal jemals gewirkt?

    Otte: Eigentlich nicht. Deswegen muss man da zur Gelassenheit raten und eigentlich jedem raten, er sollte vor der eigenen Haustür kehren und den eigenen Laden in Ordnung bringen. Wenn das sich auf die internationale Ebene verlagert, dann geht es eher in Richtung eines sich verschlechternden Klimas, und dann sind wir nach 1930 fortfolgende, und das wollen wir nun wirklich nicht.

    Müller: Jetzt hatten wir ja auch schon, die Pessimisten jedenfalls unter uns, vor gut zwei Jahren, vor eineinhalb Jahren im Rahmen der Finanzkrise so Weltuntergangsstimmung aus heutiger Sicht. Wir haben ja vor einer Stunde auch noch über die Steuerschätzung geredet. 60 Milliarden mehr soll es geben für den Staat. Es steht nicht so schlecht um Deutschland?

    Otte: Gerade um Deutschland steht es nicht schlecht, und das habe ich auch die letzten zwei Jahre immer gesagt, dass die Probleme in Amerika sind, in England, in Spanien. Das sind die Krisenländer, vor allem die USA. Deutschland hat zum Glück noch eine funktionierende mittelständische Wirtschaft, wir haben noch ein halbwegs funktionierendes Sozialsystem. Wir geben uns zwar Mühe, beides mit Riesenschritten zu zerstören, aber wir haben es noch. Das heißt, die deutsche Wirtschaft könnte sogar ein Modell für viele andere Volkswirtschaften sein. Aber wir übernehmen unkritisch dann die anderen Modelle lieber. Das ist also nicht so gut.

    Müller: Aber im Nachhinein betrachtet, waren dann auch die äußerst umstrittenen Konjunkturpakete ökonomisch richtig?

    Otte: Ja. Die habe ich ja damals schon in einem großen Streitgespräch verteidigt in einem großen Magazin. Das waren die Adrenalinstöße Ende 08, die durchaus hilfreich waren, die man jetzt wieder zurückfahren muss. Aber im Falle eines Totalabsturzes, da kann man dann auch mal Adrenalin injizieren sozusagen.

    Müller: Bei uns im Studio der Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Vielen Dank für das Gespräch.