Wimmer: Guten Morgen Herr Koczian!
Koczian: Herr Wimmer, Sie haben den aktuellen Bericht des Kollegen Jarczyk gehört. Dieser Mordanschlag trifft diese Friedensbemühungen doch tief?
Wimmer: Das muß man alleine schon deshalb sagen, weil wir seit geraumer Zeit den Eindruck haben, daß die gemäßigten Kräfte im Kosovo, gleich auf welcher Seite, schwer unter Druck gekommen sind und daß die Leute, die sich darum bemühen, nichtkriegerische Ergebnisse vorzuzeigen, ins Hintertreffen geraten. Da ist natürlich ein solcher Mord eine tragische Entwicklung, wobei ich sagen will, daß uns seit Wochen auch das gezielte Vorgehen gegen jüngere und ältere Serben im Kosovo erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. Hier wird wirklich versucht, das Faß zum Überlaufen zu bringen und in einen erneuten großen Konflikt einzusteigen.
Koczian: Sind Sie aber mit der bisherigen Rolle der OSZE dort zufrieden? Ich sagte ja schon, sie wird von beiden Seiten dort in Anspruch genommen.
Wimmer: Zufrieden kann man deshalb nicht sein, weil es in dieser Situation keine zufriedene Entwicklungen gibt, jedenfalls bisher nicht. Ich bin deshalb angetan von der Leistungskraft der OSZE, weil wir eigentlich bisher immer unter Beweis gestellt haben, daß wir etwas fertigbringen können, wenn man uns denn läßt. Das vergangene Jahr ist eigentlich davon gekennzeichnet gewesen, daß die Vereinigten Staaten alle anderen auch internationalen Organisationen, auch die Kontaktgruppe, völlig an die Wand gespielt haben, und das Bild von Holbrooke mit den UCK-Kämpfern hat ja auch eine neue Entwicklung eingeleitet. Wenn die Vereinigten Staaten auch einen Beitrag dazu leisten, daß die OSZE, auch die Europäische Union und andere, auch die Kontaktgruppe eine Rolle spielen dürfen, dann können die das offensichtlich auch.
Koczian: Aber ist diese Einschätzung denn einhellig? Man hat ja den Eindruck, daß man sich vor Ort nützlicher sah als an der Spitze. Der letzte Amtsinhaber, der polnische Außenminister Geremek, sah es doch etwas kritischer. Gibt es Meinungsverschiedenheiten in der OSZE?
Wimmer: Das ist ja nun eine Veranstaltung von 54 Staaten, und es wäre schon völlig unverständlich, wenn dort eine einmütige Meinung herrschen würde. Die Bedenken von Herrn Geremek konnte man aber teilen. Ich habe die auch geteilt. Das ist immer die Frage, ob man in einer internationalen Struktur überhaupt Erfolge vorweisen kann, und im vergangenen Jahr mußte man dort erhebliche Zweifel haben. Wenn sich das in Anbetracht der Ereignisse verändert haben sollte, wäre ich selber auch damit zufrieden; andere sind dann auch damit zufrieden. Wir wissen aber, daß die Dinge im Zusammenhang mit dem Kosovo noch längst nicht vorbei sind. Das hängt auch damit zusammen, daß das Nachbarland Albanien eine in so hohem Maße unrühmische Rolle spielt, daß man sich wirklich fragen muß, ob man dieses Land in der heutigen Situation und auch mit seiner aktiven Unterstützung für die Entwicklung im Kosovo noch in der NATO-Partnerschaft für den Frieden und in ähnlichen Organisationsformen halten kann. Das ist ein Nest des Terrorismus geworden, und ich glaube, daß dieses Land auch als OSZE-Mitgliedstaat Probleme aufwirft, die wirklich schwierig sind.
Koczian: Das führt natürlich zu einer Sicht, daß man sagen könnte, in Bosnien war Täter- und Opferrolle ziemlich klar, im Kosovo gibt es eben mehrere Täter. Die UCK zündelt ja kräftig mit. Sie haben ja von dem Vorgehen gegen ältere und jüngere Serben gesprochen. Wie will man denn Frieden schaffen, wo kein Friedenswille ist?
Wimmer: Das ist mit Sicherheit eine komplexe Aufgabe. Vielleicht fängt das für uns alle auch damit an, daß wir verstehen, daß im Kosovo die Dinge nicht 1989 angefangen haben, sondern eine lange Vorgeschichte haben. Diese schwierige Wort von Milosevic, 1989 auf dem Kosovo gesprochen nach dem Motto, euch Serben wird keiner mehr aufs Haupt hauen, hat ja auch eine Vorgeschichte. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hat einmal sehr messerscharf herausgearbeitet, daß in den 80er Jahren eine massive Vertreibung von Serben durch Albaner auf dem Kosovo stattgefunden hat, und auch das hat wiederum Vorgeschichten bis 1945 und weiter zurückgehend. Das sind also alles Dinge, die man bisher nicht wahrhaben wollte, jedenfalls hier nicht in Westeuropa. Wenn man die Situation des Zweiten Weltkrieges noch einbezieht, dann muß man heute sagen, die UCK will eigentlich eine Lösung auf dem Balkan über den Kosovo hinaus, wie sie die Wehrmacht und die italienischen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg ja schon einmal hatten. Das sind alles Dinge, die bei uns weitestgehend verdrängt worden sind, und man hat hier die Serben vielfach schwer in die Ecke gedrängt. Ob das richtig ist? - Die Wirklichkeit sieht oft anders aus.
Koczian: Nun verhandelt Geremeks norwegischer Nachfolger derzeit in Belgrad. Man hatte ja so seine Erfahrungen mit Verhandlungen mit Slobodan Milosevic, aber in diesem Fall hat er eine neue Rolle inne, nicht unbedingt der böse Bube wie zuvor. Was erwarten Sie sich von diesen Verhandlungen?
Wimmer: Wir haben mit Böse-Buben-Rollen sowieso keine guten Erfahrungen gemacht. Wir haben in den zurückliegenden Monaten, vielleicht in den letzten anderthalb Jahren gesehen, daß die Europäische Union mit ihrer Politik der autonomen Maßnahmen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgreicher war, als befreundete Staaten das eigentlich haben wollten. Wir wären im März des vergangenen Jahres wesentlich weiter gekommen, auch in Zusammenhang mit einer Lösung, die den Albanern im Kosovo entgegenkommt, wenn man die Europäische Union einfach nur gelassen hätte. Aber hier durften bestimmte Ergebnisse offensichtlich nicht erzielt werden, und deswegen ist das auch nichts geworden. Das hängt nicht mit Herrn Milosevic zusammen. Das ist natürlich der böse Bube, auf den man mit Fingern zeigen kann. Das ersetzt nur keine Politik, und ich glaube, daß es wenig Sinn macht - das zeigen alle Aktionen in Zusammenhang mit der Bundesrepublik Jugoslawien -, daß man hier ein Feindbild aufbaut, das jedenfalls in der Wirklichkeit so nicht gerechtfertigt ist, jedenfalls wenn man die komplexe Situation auf dem Balken in Rechnung stellt. Hier muß man auf verschiedene mit Fingern zeigen; das bringt alles nichts; man muß Ergebnisse haben.
Koczian: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war dies eine doch sehr deutliche Kritik an den amerikanischen Partnern, die natürlich den Standpunkt haben, wir haben in Bosnien einmal vorgeführt, wie das zu regeln ist, und das wiederholen wir. Sie sind offenkundig der Auffassung, die Komplexität dieser Lage dort ist in Washington nicht ganz genau erkannt?
Wimmer: Ja, möglicherweise - und dafür gibt es hinreichende Nachweise auf dem Balkan - verfolgt man mit der Balkan-Politik ganz andere Ziele. Das haben wir ja auch sehen können in Zusammenhang mit der Reisetätigkeit von Herrn Holbrooke im vergangenen Jahr. Er hat ja auch in Bulgarien Kriegsziele für Maccedonien aufgestellt. Jedenfalls ist dies dort so empfunden worden. Das sind alles keine hilfreichen Dinge. Man sagt immer wieder in Europa, die Europäer bringen nichts zustande, und deswegen müssen die Vereinigten Staaten einspringen. Man muß oft den Eindruck haben, daß die Europäer deshalb nichts zustandebringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten hier eingreifen können. Der Balkan ist ein wunderbares Nachweismittel für diese Dinge. Wir müssen zu einer koordinierteren Politik kommen, die wirklich den Frieden bringt, und das heißt, man muß all denjenigen, die unrechtmäßig Waffen in den Händen halten, diese Waffen aus den Händen schlagen, weil es sonst überhaupt keinen Weg weiter gibt. Man muß auch im Kosovo diejenigen in Gespräche einbeziehen, die den Willen und die Bereitschaft haben, zu friedlichen Überlegungen zurückzukehren. Mein erster Besuch in Pristina war 1995, und damals gab es bereits intensive Gespräche zwischen albanischen und serbischen Kreisen darüber, wie man weiterkommen konnte. Das waren alles perspektivreiche Überlegungen in Zusammenhang mit diesem tragischen Kosovo, und ich glaube, daß es Anknüpfungspunkte genug gibt, hier zu Überlegungen zurückzukommen, wenn man Machtspiele von vornherein von der Hand weist.
Koczian: Kommen wir noch einmal auf die aktuelle Lage. Man spricht von Geiselnahmen. Acht Serben sind in Hand der UCK. Bei Kompatanten handelt es sich eigentlich nach dem Völkerrecht aber um Kriegsgefangene. Wie sehen Sie die völkerrechtliche Einschätzung?
Wimmer: Hier versucht die UCK natürlich, über diese Aktivitäten einen internationalen Status zu bekommen, den sie bisher nicht hat. Ich kann natürlich vor dem Hintergrund zum Beispiel eindeutiger und einschlägiger NATO-Dokumente in Zusammenhang mit der Türkei und den Kurden nur sagen, wenn ich die Kriterien, die die NATO in der Türkei gegenüber der PKK anlegt, in Zusammenhang mit dem Kosovo an die UCK anlegen würde, käme ich zu ganz phänomenalen Überlegungen, die jedenfalls in der NATO den einen oder anderen Schwerpunkt schon setzen würden. Die UCK versucht über diese Geiselnahme einen internationalen Status zu bekommen, den sie jedenfalls nach den Kriterien, die die NATO normalerweise anlegt, nie bekommen würde. Hier wird über Geiselnahmen hinaus natürlich Politik betrieben, und auf dem Balkan geschieht das, wie wir wissen, seit Jahrhunderten in hohem Maße trickreich.
Koczian: Das führt uns natürlich in ein Dilemma, denn wenn die UCK so einzuschätzen ist, wer soll denn gegen sie kämpfen, wenn nicht die serbische Polizei, also die Polizei des Bundesstaates Jugoslawien?
Wimmer: Wenn ich die reine Rechtslage zugrundelege, muß ich natürlich sagen, wenn die internationale Staatengemeinschaft anerkennt, daß die Bundesrepublik Jugoslawien ein Anrecht darauf hat, ihre territoriale Integrität zu schützen, dann ergeben sich daraus Konsequenzen, was auch das Niederhalten von Aufstandsbewegungen in diesem Territorium anbetrifft. Auf der anderen Seite weis ich natürlich auch, daß den Albanern im Kosovo Rechte zustehen, die jedenfalls in der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien nicht verwirklicht werden. Die Frage ist: Gibt es dort Möglichkeiten, Rechte, die in eine Richtung gehen, daß man sich mit Waffen entsprechend einsetzen kann. Wenn ich einmal die Geschichte Deutschlands in der Zeit der Weimarer Republik zugrundelege, dann weis ich auch, wie die Reichsregierung gegenüber Sachsen und Thüringen vorgegangen ist. Das liegt natürlich auch 60, 70 Jahre zurück. Von daher hat die Bundesrepublik Jugoslawien natürlich ein Recht, auf ihrem Territorium Ruhe und Ordnung herzustellen. Jetzt wissen wir aber, daß die Situation komplex ist. Dann darf man unter keinen Umständen Öl ins Feuer gießen, auch nicht der Gestalt, daß man Waffen dort hineinliefert oder daß man der UCK erlaubt, hier bei uns Geld zu sammeln, mit dem diese Waffen dann bezahlt werden. Hier haben so viele Dreck am Stecken, daß es wirklich schwierig ist festzustellen, wer hat hier noch eine reine Weste.
Koczian: Herr Wimmer, kurz zum Schluß: Dem Vernehmen nach spielen die ehemaligen DDR-Diplomaten eine hervorragende Rolle im OSZE-Auftrag. Warum geschieht das so im Schatten, außerhalb des Lichtes der Öffentlichkeit?
Wimmer: Das ist vielleicht bedauerlich, daß das außerhalb des öffentlichen Lichts geschieht, aber ich kann nur sagen, es ist gut, daß es überhaupt läuft. Man hat in Zusammenhang mit den ganzen OSZE-Aktivitäten, sei es im Kaukasus oder sei es in Tadschikistan, gesehen, daß wir hier wirklich klasse Leute im Feld haben, die ihre Aufgabe verstehen und die hoch qualifiziert sind, wo ich nur sagen kann, derer müssen wir uns auch nicht schämen, was ihren internationalen Einsatz anbetrifft. Hier hat das deutsche auswärtige Amt eine gute Möglichkeit, auch dazu beizutragen, daß hoher Sachverstand in die internationale Arbeit eingebracht werden kann, und wenn es durch ehemalige Diplomaten aus dem ehemaligen Außenministerium der DDR geschieht, dann holt man vielleicht hier etwas nach, was jedenfalls die Bundeswehr im Zusammenhang mit ihrer Integrationsaufgabe in Deutschland viel früher gemacht hat.
Koczian: Willi Wimmer war das, der Vizepräsident der OSZE-Versammlung. Vielen Dank!
Koczian: Herr Wimmer, Sie haben den aktuellen Bericht des Kollegen Jarczyk gehört. Dieser Mordanschlag trifft diese Friedensbemühungen doch tief?
Wimmer: Das muß man alleine schon deshalb sagen, weil wir seit geraumer Zeit den Eindruck haben, daß die gemäßigten Kräfte im Kosovo, gleich auf welcher Seite, schwer unter Druck gekommen sind und daß die Leute, die sich darum bemühen, nichtkriegerische Ergebnisse vorzuzeigen, ins Hintertreffen geraten. Da ist natürlich ein solcher Mord eine tragische Entwicklung, wobei ich sagen will, daß uns seit Wochen auch das gezielte Vorgehen gegen jüngere und ältere Serben im Kosovo erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. Hier wird wirklich versucht, das Faß zum Überlaufen zu bringen und in einen erneuten großen Konflikt einzusteigen.
Koczian: Sind Sie aber mit der bisherigen Rolle der OSZE dort zufrieden? Ich sagte ja schon, sie wird von beiden Seiten dort in Anspruch genommen.
Wimmer: Zufrieden kann man deshalb nicht sein, weil es in dieser Situation keine zufriedene Entwicklungen gibt, jedenfalls bisher nicht. Ich bin deshalb angetan von der Leistungskraft der OSZE, weil wir eigentlich bisher immer unter Beweis gestellt haben, daß wir etwas fertigbringen können, wenn man uns denn läßt. Das vergangene Jahr ist eigentlich davon gekennzeichnet gewesen, daß die Vereinigten Staaten alle anderen auch internationalen Organisationen, auch die Kontaktgruppe, völlig an die Wand gespielt haben, und das Bild von Holbrooke mit den UCK-Kämpfern hat ja auch eine neue Entwicklung eingeleitet. Wenn die Vereinigten Staaten auch einen Beitrag dazu leisten, daß die OSZE, auch die Europäische Union und andere, auch die Kontaktgruppe eine Rolle spielen dürfen, dann können die das offensichtlich auch.
Koczian: Aber ist diese Einschätzung denn einhellig? Man hat ja den Eindruck, daß man sich vor Ort nützlicher sah als an der Spitze. Der letzte Amtsinhaber, der polnische Außenminister Geremek, sah es doch etwas kritischer. Gibt es Meinungsverschiedenheiten in der OSZE?
Wimmer: Das ist ja nun eine Veranstaltung von 54 Staaten, und es wäre schon völlig unverständlich, wenn dort eine einmütige Meinung herrschen würde. Die Bedenken von Herrn Geremek konnte man aber teilen. Ich habe die auch geteilt. Das ist immer die Frage, ob man in einer internationalen Struktur überhaupt Erfolge vorweisen kann, und im vergangenen Jahr mußte man dort erhebliche Zweifel haben. Wenn sich das in Anbetracht der Ereignisse verändert haben sollte, wäre ich selber auch damit zufrieden; andere sind dann auch damit zufrieden. Wir wissen aber, daß die Dinge im Zusammenhang mit dem Kosovo noch längst nicht vorbei sind. Das hängt auch damit zusammen, daß das Nachbarland Albanien eine in so hohem Maße unrühmische Rolle spielt, daß man sich wirklich fragen muß, ob man dieses Land in der heutigen Situation und auch mit seiner aktiven Unterstützung für die Entwicklung im Kosovo noch in der NATO-Partnerschaft für den Frieden und in ähnlichen Organisationsformen halten kann. Das ist ein Nest des Terrorismus geworden, und ich glaube, daß dieses Land auch als OSZE-Mitgliedstaat Probleme aufwirft, die wirklich schwierig sind.
Koczian: Das führt natürlich zu einer Sicht, daß man sagen könnte, in Bosnien war Täter- und Opferrolle ziemlich klar, im Kosovo gibt es eben mehrere Täter. Die UCK zündelt ja kräftig mit. Sie haben ja von dem Vorgehen gegen ältere und jüngere Serben gesprochen. Wie will man denn Frieden schaffen, wo kein Friedenswille ist?
Wimmer: Das ist mit Sicherheit eine komplexe Aufgabe. Vielleicht fängt das für uns alle auch damit an, daß wir verstehen, daß im Kosovo die Dinge nicht 1989 angefangen haben, sondern eine lange Vorgeschichte haben. Diese schwierige Wort von Milosevic, 1989 auf dem Kosovo gesprochen nach dem Motto, euch Serben wird keiner mehr aufs Haupt hauen, hat ja auch eine Vorgeschichte. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hat einmal sehr messerscharf herausgearbeitet, daß in den 80er Jahren eine massive Vertreibung von Serben durch Albaner auf dem Kosovo stattgefunden hat, und auch das hat wiederum Vorgeschichten bis 1945 und weiter zurückgehend. Das sind also alles Dinge, die man bisher nicht wahrhaben wollte, jedenfalls hier nicht in Westeuropa. Wenn man die Situation des Zweiten Weltkrieges noch einbezieht, dann muß man heute sagen, die UCK will eigentlich eine Lösung auf dem Balkan über den Kosovo hinaus, wie sie die Wehrmacht und die italienischen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg ja schon einmal hatten. Das sind alles Dinge, die bei uns weitestgehend verdrängt worden sind, und man hat hier die Serben vielfach schwer in die Ecke gedrängt. Ob das richtig ist? - Die Wirklichkeit sieht oft anders aus.
Koczian: Nun verhandelt Geremeks norwegischer Nachfolger derzeit in Belgrad. Man hatte ja so seine Erfahrungen mit Verhandlungen mit Slobodan Milosevic, aber in diesem Fall hat er eine neue Rolle inne, nicht unbedingt der böse Bube wie zuvor. Was erwarten Sie sich von diesen Verhandlungen?
Wimmer: Wir haben mit Böse-Buben-Rollen sowieso keine guten Erfahrungen gemacht. Wir haben in den zurückliegenden Monaten, vielleicht in den letzten anderthalb Jahren gesehen, daß die Europäische Union mit ihrer Politik der autonomen Maßnahmen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgreicher war, als befreundete Staaten das eigentlich haben wollten. Wir wären im März des vergangenen Jahres wesentlich weiter gekommen, auch in Zusammenhang mit einer Lösung, die den Albanern im Kosovo entgegenkommt, wenn man die Europäische Union einfach nur gelassen hätte. Aber hier durften bestimmte Ergebnisse offensichtlich nicht erzielt werden, und deswegen ist das auch nichts geworden. Das hängt nicht mit Herrn Milosevic zusammen. Das ist natürlich der böse Bube, auf den man mit Fingern zeigen kann. Das ersetzt nur keine Politik, und ich glaube, daß es wenig Sinn macht - das zeigen alle Aktionen in Zusammenhang mit der Bundesrepublik Jugoslawien -, daß man hier ein Feindbild aufbaut, das jedenfalls in der Wirklichkeit so nicht gerechtfertigt ist, jedenfalls wenn man die komplexe Situation auf dem Balken in Rechnung stellt. Hier muß man auf verschiedene mit Fingern zeigen; das bringt alles nichts; man muß Ergebnisse haben.
Koczian: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war dies eine doch sehr deutliche Kritik an den amerikanischen Partnern, die natürlich den Standpunkt haben, wir haben in Bosnien einmal vorgeführt, wie das zu regeln ist, und das wiederholen wir. Sie sind offenkundig der Auffassung, die Komplexität dieser Lage dort ist in Washington nicht ganz genau erkannt?
Wimmer: Ja, möglicherweise - und dafür gibt es hinreichende Nachweise auf dem Balkan - verfolgt man mit der Balkan-Politik ganz andere Ziele. Das haben wir ja auch sehen können in Zusammenhang mit der Reisetätigkeit von Herrn Holbrooke im vergangenen Jahr. Er hat ja auch in Bulgarien Kriegsziele für Maccedonien aufgestellt. Jedenfalls ist dies dort so empfunden worden. Das sind alles keine hilfreichen Dinge. Man sagt immer wieder in Europa, die Europäer bringen nichts zustande, und deswegen müssen die Vereinigten Staaten einspringen. Man muß oft den Eindruck haben, daß die Europäer deshalb nichts zustandebringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten hier eingreifen können. Der Balkan ist ein wunderbares Nachweismittel für diese Dinge. Wir müssen zu einer koordinierteren Politik kommen, die wirklich den Frieden bringt, und das heißt, man muß all denjenigen, die unrechtmäßig Waffen in den Händen halten, diese Waffen aus den Händen schlagen, weil es sonst überhaupt keinen Weg weiter gibt. Man muß auch im Kosovo diejenigen in Gespräche einbeziehen, die den Willen und die Bereitschaft haben, zu friedlichen Überlegungen zurückzukehren. Mein erster Besuch in Pristina war 1995, und damals gab es bereits intensive Gespräche zwischen albanischen und serbischen Kreisen darüber, wie man weiterkommen konnte. Das waren alles perspektivreiche Überlegungen in Zusammenhang mit diesem tragischen Kosovo, und ich glaube, daß es Anknüpfungspunkte genug gibt, hier zu Überlegungen zurückzukommen, wenn man Machtspiele von vornherein von der Hand weist.
Koczian: Kommen wir noch einmal auf die aktuelle Lage. Man spricht von Geiselnahmen. Acht Serben sind in Hand der UCK. Bei Kompatanten handelt es sich eigentlich nach dem Völkerrecht aber um Kriegsgefangene. Wie sehen Sie die völkerrechtliche Einschätzung?
Wimmer: Hier versucht die UCK natürlich, über diese Aktivitäten einen internationalen Status zu bekommen, den sie bisher nicht hat. Ich kann natürlich vor dem Hintergrund zum Beispiel eindeutiger und einschlägiger NATO-Dokumente in Zusammenhang mit der Türkei und den Kurden nur sagen, wenn ich die Kriterien, die die NATO in der Türkei gegenüber der PKK anlegt, in Zusammenhang mit dem Kosovo an die UCK anlegen würde, käme ich zu ganz phänomenalen Überlegungen, die jedenfalls in der NATO den einen oder anderen Schwerpunkt schon setzen würden. Die UCK versucht über diese Geiselnahme einen internationalen Status zu bekommen, den sie jedenfalls nach den Kriterien, die die NATO normalerweise anlegt, nie bekommen würde. Hier wird über Geiselnahmen hinaus natürlich Politik betrieben, und auf dem Balkan geschieht das, wie wir wissen, seit Jahrhunderten in hohem Maße trickreich.
Koczian: Das führt uns natürlich in ein Dilemma, denn wenn die UCK so einzuschätzen ist, wer soll denn gegen sie kämpfen, wenn nicht die serbische Polizei, also die Polizei des Bundesstaates Jugoslawien?
Wimmer: Wenn ich die reine Rechtslage zugrundelege, muß ich natürlich sagen, wenn die internationale Staatengemeinschaft anerkennt, daß die Bundesrepublik Jugoslawien ein Anrecht darauf hat, ihre territoriale Integrität zu schützen, dann ergeben sich daraus Konsequenzen, was auch das Niederhalten von Aufstandsbewegungen in diesem Territorium anbetrifft. Auf der anderen Seite weis ich natürlich auch, daß den Albanern im Kosovo Rechte zustehen, die jedenfalls in der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien nicht verwirklicht werden. Die Frage ist: Gibt es dort Möglichkeiten, Rechte, die in eine Richtung gehen, daß man sich mit Waffen entsprechend einsetzen kann. Wenn ich einmal die Geschichte Deutschlands in der Zeit der Weimarer Republik zugrundelege, dann weis ich auch, wie die Reichsregierung gegenüber Sachsen und Thüringen vorgegangen ist. Das liegt natürlich auch 60, 70 Jahre zurück. Von daher hat die Bundesrepublik Jugoslawien natürlich ein Recht, auf ihrem Territorium Ruhe und Ordnung herzustellen. Jetzt wissen wir aber, daß die Situation komplex ist. Dann darf man unter keinen Umständen Öl ins Feuer gießen, auch nicht der Gestalt, daß man Waffen dort hineinliefert oder daß man der UCK erlaubt, hier bei uns Geld zu sammeln, mit dem diese Waffen dann bezahlt werden. Hier haben so viele Dreck am Stecken, daß es wirklich schwierig ist festzustellen, wer hat hier noch eine reine Weste.
Koczian: Herr Wimmer, kurz zum Schluß: Dem Vernehmen nach spielen die ehemaligen DDR-Diplomaten eine hervorragende Rolle im OSZE-Auftrag. Warum geschieht das so im Schatten, außerhalb des Lichtes der Öffentlichkeit?
Wimmer: Das ist vielleicht bedauerlich, daß das außerhalb des öffentlichen Lichts geschieht, aber ich kann nur sagen, es ist gut, daß es überhaupt läuft. Man hat in Zusammenhang mit den ganzen OSZE-Aktivitäten, sei es im Kaukasus oder sei es in Tadschikistan, gesehen, daß wir hier wirklich klasse Leute im Feld haben, die ihre Aufgabe verstehen und die hoch qualifiziert sind, wo ich nur sagen kann, derer müssen wir uns auch nicht schämen, was ihren internationalen Einsatz anbetrifft. Hier hat das deutsche auswärtige Amt eine gute Möglichkeit, auch dazu beizutragen, daß hoher Sachverstand in die internationale Arbeit eingebracht werden kann, und wenn es durch ehemalige Diplomaten aus dem ehemaligen Außenministerium der DDR geschieht, dann holt man vielleicht hier etwas nach, was jedenfalls die Bundeswehr im Zusammenhang mit ihrer Integrationsaufgabe in Deutschland viel früher gemacht hat.
Koczian: Willi Wimmer war das, der Vizepräsident der OSZE-Versammlung. Vielen Dank!