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Amerikanische Intervention im Irak

    Heinlein: Es ist eine Reise mit ungewissem Ausgang: Iraks Außenminister Najib Sabri wird morgen in New York mit UN-Generalsekretär Kofi Annan verhandeln. Es geht um die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren. Vor seiner Abreise hieß es in Bagdad, man sei bereit, begrenzte Kontrollen zu gestatten, falls im Gegenzug das UN-Embargo aufgehoben würde. Dabei im Hintergrund natürlich die handfeste US-amerikanische Drohung, den Anti-Terror-Krieg auf den Irak auszudehnen. Trotz der europäischen Kritik bekräftigte Präsident Busch zuletzt seinen Willen, Saddam Hussein entgültig zu stürzen. Das Weiße Haus unterstützt den Iraqui National Congress (INC), den Dachverband der irakischen Opposition mit Millionenbeträgen. Sie sollen den Regimewechsel in Bagdad möglich machen. Darüber wollen wir jetzt mit dem Irakexperten Hans Branscheidt von der Hilfsorganisation Medico International sprechen. Guten Morgen.

    Branscheidt: Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Branscheidt, sind die Verhandlungen bei der UN in New York eine letzte Chance, den Krieg um Bagdad doch noch zu verhindern?

    Branscheidt: Ich fürchte tatsächlich, dass das nicht nur eine der letzten Chancen, sondern vermutlich die letzte Chance sein, denn die US-Administration, besonders der Verteidigungsminister, hat ja schon durch vielfältige Äußerungen im Vorfeld dieser Reise klar gemacht, dass man langwierige Verhandlungen wie in der Vergangenheit nicht mehr will, und man hat vor allem von US-amerikanischer Seite aus gesagt, dass es klare Erwartungen und klare Konditionen gibt, dass man die Inspekteure selber bestimmen will, also die Auswahl treffen will, wer dorthin geschickt wird. Man wolle alles im Irak sehen und nicht nur ausgewählte Objekte und dies müsse jederzeit für die Inspekteure möglich sein. Und das ist genau das, was Saddam Hussein seinerzeit in den letzten Monaten immer gesagt hat, nämlich, dass dies für ihn absolut inakzeptabel sei. Das heißt, vermutlich ist diese Reise nicht von einem Erfolg gekrönt.

    Heinlein: Nun hieß es ja in Bagdad, man sei bereit, zeitlich begrenzte Inspektionen zu akzeptieren, falls das Embargo beendet wird. Ist dieses Angebot dann nur reine Rhetorik oder mehr?

    Branscheidt: Nein, ich glaube, es geht der irakischen Demokratie zunächst einmal darum, international zu demonstrieren, dass sie weitläufig bereit ist, über alles und jedes zu reden und die Aufmerksamkeit auf das Verfahren zu ziehen, um natürlich auch Zustimmung gegen eine drohende Intervention der Amerikaner zu wecken, um in jedem Fall etwas wie ein positives verhandlungsbereites Gesicht zu zeigen. Aber wie gesagt: Das ist von der Seite der Amerikaner im Vorfeld bereits kurz abgeschnitten worden. Die Rede ist sozusagen gar nicht erst in Empfang genommen worden, die auf Verhandlungen und Gespräche und einen Dialog in der UN geht. Man hat gesagt: Wir haben unsere Bedingungen und diese Bedingungen sind zu erfüllen, nichts andere gilt, und wenn diese Bedingungen nicht so erfüllt werden wie wir sie buchstabieren, dann wird gehandelt und darauf - das kann man sagen - haben sich Präsident Busch und auch sein Verteidigungsminister und inzwischen auch der Außenminister in der Tat festgelegt. Sie sind quasi im Wort.

    Heinlein: Ist da von amerikanischer Seite auch Taktik im Spiel, die Hürden für Verhandlungen so hoch zu legen, damit man dem angestrebten Regimewechsel in Bagdad durch einen Krieg möglicherweise näher kommt?

    Branscheidt: Es sieht ganz danach aus, denn so wie die Amerikaner die Konditionen festgelegt haben, wussten sie natürlich ihrerseits, dass das etwas ist, was der Herrscher in Bagdad auf keinen Fall akzeptieren wird. Sie wussten also damit und wollten es wahrscheinlich auch, dass eine solche Mission negativ ausgeht. Ich denke, die Amerikaner sind in der Tat davon überzeugt, dass sie neue Verhältnisse im Nahen Osten schaffen müssen, dass sich ein Teil der Weltneuordnung im Mittleren und Nahen Osten ereignet und im Brennpunkt dieser Veränderung soll nach ihrer Ansicht der Irak stehen.

    Heinlein: Und um diesen Regimewechsel in Bagdad zu erreichen will Washington ja nicht nur auf Bomben, möglicherweise auf eine Intervention setzten, sondern sie unterstützen auch seit Jahren den Iraqui National Congress mit Millionenbeträgen. Wer verbirgt sich denn hinter diesem Dachverband der irakischen Exil-Opposition?

    Branscheidt: Der INC ist sicherlich alles andere als ein homogenes Gremium oder eine festgefügte Fraktion der Opposition gegen Saddam Hussein. Der Sitz ist übrigens in London. Unterstützt wird der INC in der Tat von den USA, aber auch von Großbritannien, und man darf auch nicht übersehen, dass auch die Saudis Geld in die Tätigkeit dieser Einrichtung stecken. Auch Teheran ist mit geringeren Beträgen beteiligt, und auch die Kuweitis, die ja ihren Konflikt mit Saddam Hussein seinerzeit hatten, sind am INC beteiligt. Das sagt schon aus, dass es sich dabei um eine Fraktion handelt, die aus vielen Einzelteilen besteht und unterschiedlich angebunden und verpflichtet ist. Ich glaube, dass die Amerikaner nicht so viel von der Gesamtheit des INC halten, sondern dass sie sich darauf konzentrieren werden, Teile, sozusagen die tragfähigen Säulen dieser irakischen Opposition auf ihre Seite zu ziehen und sie auch einzusetzen und zu mobilisieren, wenn es darum geht, Saddam Hussein zu stürzen. Und das sind im Norden die Kurden und im Süden die Schiiten, die schiitische Mehrheitsbevölkerung, vor allen Dingen unter ihrem religiösen Führer Ayatollah Al Hakim. Das sind sozusagen die festen Posten innerhalb der irakischen Bevölkerung, von denen die USA glauben, dass sie auf ihrer Seite seien.

    Heinlein: Sie haben, Herr Branscheidt, die amerikanischen Bedenken gegenüber der irakischen Opposition geschildert. Wie glaubwürdig sind denn umgekehrt die Amerikaner in den Augen der irakischen Opposition?

    Branscheidt: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Von den Schiiten im Süden, die, wie gesagt, die Mehrheitsbevölkerung vertreten, die auch nicht nur im Süden in den ehemaligen jetzt von Saddam Hussein trocken gelegten Sumpfgebieten leben, sondern auch Saddam City, sozusagen die Armenvorstadt von Bagdad, ist von 2 Millionen Einwohnern bewohnt, die wesentlich aus der schiitischen Population kommen, eine große Gefahr für das Regime, weil hier durchaus der Funke für einen Volksaufstand sicherlich auf große Erwartungen trifft. Man weiß auch, und auch durch meine eigenen Gespräche mit Vertretern der Schiiten weiß ich, dass die sich in der Tat schon seit Wochen rüsten für einen bewaffneten Konflikt, dass sie im Falle einer US-Intervention einen Volksaufstand ausrufen werden. Das wird auf der anderen Seite auch bestätigt durch die Truppenbewegungen Saddam Husseins, der seit mindestens acht Wochen einen Großteil seiner kampftauglichen und vor allem auch zuverlässigen Regimente in die Südgebiete des Landes verlegt. Das heißt, er ahnt längst, dass hier ein Szenarium von den Amerikanern aufgebaut wird, das möglicherweise - einige, die sich in der Washingtoner Politik gut auskennen, sagen das -, mit der Besetzung der Hafenstadt Basra im Südirak beginnen wird, und da fände eben eine solche Intervention der Amerikaner - einem solch heiklen Punkt - sofort die Unterstützung der dort lebenden Bevölkerung. Das ist die schiitische Seite, die Seite des Südens. Im kurdischen Nordirak sieht es etwas anders aus: Beide dort dominierenden kurdischen Parteien, die PUK, die Patriotische Union und auch die KDP unter ihrem Führer Barzanic verhalten sich im Moment noch neutral. Warum sie sich neutral verhalten, das hat folgenden Hintergrund: Sie wollten eigentlich im Falle einer US-Intervention hören, dass sie ihre föderale Autonomie im Norden garantiert bekommen. Damit sind die Türken nicht einverstanden und die Türkei wird von den Amerikaner auch gebraucht im Falle einer militärischen Handlung.

    Heinlein: Abschließend bitte ganz kurz, Herr Branscheidt: Wann rechnen Sie mit einem militärischen Eingreifen der Amerikaner im Irak?

    Branscheidt: Ich glaube, wenn man wirklich alle Vorbereitungen auswertet, also die Dinge, die bereits im Gange sind und vorgenommen werden, und auch was die irakische Opposition selber erklärt, dann bin ich wirklich ziemlich sicher, dass Ende April, Anfang Mai mit der heißen Phase im Irak zu rechnen ist.

    Heinlein: Der Irak-Experte der Hilfsorganisation Medico International, Hand Branscheidt war das heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio