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Amerikanischer Militärschlag gegen den Irak

Meurer: Am letzten Sonntag beim TV-Duell zwischen Gerhard Schröder, dem Kanzler, und seinem Herausforderer Edmund Stoiber war natürlich ein möglicher Krieg der USA gegen den Irak auch ein Thema. Dieser Krieg ist mit der Rede von US-Vizepräsident Dick Cheney jetzt wieder wahrscheinlicher geworden. Cheney hält einen Präventivschlag gegen Bagdad nämlich für zwingend notwendig. Sonntag Abend im TV-Duell sprach der Kanzlerkandidat der Union, Stoiber, noch davon, man dürfe jetzt ohne Not nicht irgendwelche theoretischen Aktionen ausschließen. Gestern schränkte Stoiber etwas ein. Er sagte, das Entscheidungs- und Handlungsmonopol liege bei den Vereinten Nationen, und Alleingänge eines Landes ohne Konsultationen, Abstimmungen und ohne Mandate in der internationalen Staatengemeinschaft seien damit nicht vereinbar. Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen Außenminister Klaus Kinkel. Herr Kinkel, haben Sie den Eindruck, dass Stoiber jetzt doch etwas vorsichtig auf Distanz zu den Amerikanern geht?

    Kinkel: Er hat natürlich auch das Problem, dass Schröder und Fischer, die Koalition, kategorisch ausschließen, dass in irgendeiner Form eine Teilnahme Deutschlands stattfinden könnte, wenn die Amerikaner einen Militärschlag machen. Und da will er natürlich aus wahltaktischen Gründen nicht beiseite stehen, das ist mein Gefühl. Er hat also das Problem, dass natürlich die überwiegende Mehrzahl der Deutschen eine solche kriegerische Auseinandersetzung nicht will - Sie auch nicht, ich auch nicht -, aber ich glaube, dass die Amerikaner entschlossen sind, das zu tun. Sie wollen ja konsultieren, und natürlich werden sie auch - davon gehe ich aus - sich zunächst um ein neues Sicherheitsratsmandat bemühen. Sie werden das nach meiner Meinung eher nicht kriegen, weil die Russen, die Franzosen und sicher auch die Chinesen dagegen sein werden. Ob sich die Amerikaner davon abhalten lassen, einen Militärschlag zu machen, habe ich meine Zweifel. Es wird jedenfalls sicher noch eine Weile dauern, und es herrscht ein bisschen Hysterie, in der jetzt in Deutschland diskutiert wird. Das hat leider der Bundeskanzler mit seinen unglückseligen Äußerungen veranlasst.

    Meurer: Hat diese Hysterie aber jetzt, wenn es denn eine Hysterie ist, nicht der amerikanische Vizepräsident geschürt, wenn er jetzt wirklich sagt: Ein Krieg ist zwingend notwendig, und das Risiko, nichts zu tun, ist größer als das Risiko, nicht zu handeln?

    Kinkel: Nein. Ich meine unter Hysterie natürlich nicht, dass ich jetzt als hysterisch empfinde, dass man über eine kriegerische Handlung redet, sondern ich meine, dass es eine Hysterie zur Unzeit ist. Ich meine, was Herr Cheney gesagt hat, ist ja auch Reaktion unter anderem auf die Diskussion in einem Land eines nicht ganz unwichtigen Bündnispartners, nämlich der Bundesrepublik Deutschland. Und in Amerika ist es eben so, dass eine andere Denke da ist. Das amerikanische Volk sagt dem amerikanischen Präsidenten: Du hast wohl nicht bemerkt, was da vor dem 11. September geschehen ist. Bitte sorge dafür, dass das nicht mehr geschieht. Und da hat er Versprechungen und Zusagen gemacht, die er jetzt gerne einhalten möchte. Da wird in Amerika anders gedacht als bei uns. Und das wird er deshalb für meine Begriffe tun. Er wird sich natürlich um Solidarität bemühen müssen, und es wäre natürlich schlimm, wenn es zu einer solchen unabgestimmten und womöglich Einzelaktion der Amerikaner käme. Das hoffe ich nicht.

    Meurer: Werden denn im Fall der Fälle die Deutschen letzten Endes doch mitmachen müssen?

    Kinkel: Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich sage nochmals: Es wäre wünschenswert, dass es zu keiner kriegerischen Option kommt, das heißt, meine Auffassung und die der FDP ist es, alles zu tun, um politisch und diplomatisch den Versuch zu machen, Saddam zur Inspektion zu zwingen, und wenn es denn alles politisch und diplomatisch nicht erreichbar ist, kann es sein, dass es letztlich zu einer kriegerischen Handlung kommt. Diese kann nach unserer Meinung nur über ein neues UNO-Mandat geschehen, und wenn dann sozusagen Hilfe der Verbündeten notwendig ist, könnte ich mir - wenn überhaupt - nur ein europäisches Gesamtvorgehen vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass heute darüber endgültig diskutiert werden kann, ohne dass die Situation daliegt, ob Deutschland teilnimmt oder nicht.

    Meurer: Und wenn das UNO-Mandat nun nicht zustande kommt - davon gehen Sie ja selbst aus -, was denn dann?

    Kinkel: Dann es für meine Begriffe keine Beteiligung geben. Das sage ich auch glasklar. Das ist auch die Haltung der FDP. Wenn ein UNO-Mandat nicht zustande kommt, kann es keine Beteiligung der Deutschen geben, denn wir können, glaube ich, nicht akzeptieren, dass die Altmandate eventuell auf- oder umgebohrt werden, die aus der Kuwait-Krise zweifellos noch vorhanden sind. Ich könnte mir vorstellen, dass die Amerikaner in einem Fall, wo sie kein neues Sicherheitsratsmandat kriegen, die alten Mandate als ausreichend erklären.

    Meurer: Und die Amerikaner könnten eben auch sagen: Ein Präventivschlag ist eben nach Völkerrecht gerechtfertigt?

    Kinkel: Sie würden es jedenfalls versuchen, so zu rechtfertigen. Wir hätten uns einem solchen Fall zu überlegen, ob wir uns einer solchen Auffassung anschließen. Ich hätte allergrößte Schwierigkeiten, das zu tun. Ich sage sogar für mich: Ich schließe das aus, dass wir das tun können. Aber diese Diskussion zur Unzeit ist so furchtbar. Die Amerikaner haben gesagt, sie möchten gerne, dass das geschieht, und jetzt wird es bei uns auf eine Art und Weise im Bundestagswahlkampf thematisiert. Sie können ja nirgendwo mehr hinkommen. Ich mache im Augenblick Wahlversammlungen von morgens bis abends. Das Thema ist wirklich - ich muss es nochmals sagen - künstlich und unverantwortlich hochgeputscht, weil auf diese Art und Weise ausgerechnet von der Bundesregierung der Druck von Saddam Hussein genommen wird. Wird sind ja sozusagen Kronzeuge geworden dafür, dass man diesen Druck gar nicht ausüben muss.

    Meurer: Aber geht es überhaupt noch um diesen Druck, wenn Cheney sagt: Wir wollen überhaupt keine Waffeninspektion mehr, wir wollen den Präventivkrieg?

    Kinkel: Es geht selbstverständlich darum. Natürlich wollen sie, dass Saddam Hussein wegkommt. Aber das ändert nichts daran, dass zunächst das erste Ziel sein muss, die Inspekteure reinzulassen. Ich weiß nicht, ob da der Vizepräsident nicht vielleicht ein bisschen überzogen hat.

    Meurer: Aus welchem Grund halten Sie das, was der Vizepräsident gesagt hat, für überzogen?

    Kinkel: Die Amerikaner brauchen, ob sie es wollen oder nicht, Freunde und Partner in der Welt. Bei einer überhitzten Diskussion, wie sie jetzt durch diese Äußerungen gekommen ist, wird es eine weitere Diskussion in anderen Ländern geben, auch in der Bundesrepublik, in Amerika selber übrigens auch. Außerdem habe ich das Gefühl, dass nicht genügend differenziert worden ist zwischen dem dringenden Wunsch, ja der Forderung, dass der Irak UNO-Beobachter reinlässt, und der Erklärung, dass Saddam Hussein durch einen Präventivkrieg weg muss. Das muss deutlich und klar differenziert werden. Das ist nicht geschehen, denn das ist schon ein gewaltiger Unterschied, obwohl man natürlich, wenn man will, auch beides miteinander verbinden könnte.

    Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass die Amerikaner die Situation im Nahen Osten und die möglichen Folgen eines Krieges gegen den Irak für den gesamten nahöstlichen Raum unterschätzen?

    Kinkel: Das weiß ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass die Amerikaner natürlich auch andere, weitere Ziele im Hinterkopf haben. Wir haben ja eine sehr unangenehme Entwicklung in Saudi-Arabien, und Amerika versucht ja da auch, sein Verhältnis zu Saudi-Arabien zu ordnen. Natürlich denken die Amerikaner, dass bei einem Schlag gegen Saddam Hussein oder bei einer Beseitigung Saddam Husseins aus seiner Funktion im Iran die Reformkräfte mehr Unterstützung bekommen, dass in der Umgebung die Dinge sich etwas anders entwickeln, dass beispielsweise in Saudi-Arabien die Weiterentwicklung demokratischer Strukturen sich auf eine Art und Weise gestaltet, wie es wünschenswert wäre, was für die Amerikaner auch nicht ganz unwichtig ist. Das bedeutet, dass sie natürlich schon eine strategische Position aufgebaut haben, die ja nicht nur und allein auf den Irak abzielt.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio