Er war Postbote, Kellner, Koch, hat eine zeitlang einen Konzeptbuchladen in Berlin-Neukölln betrieben und arbeitet nun als Personal-Trainer. Das prädestiniert nicht unbedingt zu einer Schriftstellerkarriere, aber Amir Naaman, 1984 in Israel geboren, hat auch schon in Zeitschriften Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlicht. „Die Nektarvögel“ ist sein Prosadebüt. Übersetzt ins Deutsche von Gundula Schiffer, die in ihrem „Geleit“ – so nennt sie ihr Nachwort - sichtbar bemüht ist, einen Kontext zu schaffen, aus dem heraus dieser selbstgefällige und erratische Text bedeutsam erscheinen soll: „Das Prosastück „Die Nektarvögel“ ist eine Huldigung an das Buch als Objekt und Ausdruck der Liebe, die – wie schon das biblische Hohelied weiß – stark ist wie der Tod.“
Hoher Anspruch, mangelndes Vermögen
Der Ton ist damit gesetzt: Hohelied, Liebe, Tod. Auch Shakespeares Titus Andronicus zitiert Amir Naaman, auch Edgar Allan Poe, auf Luthers Bibelübersetzung verweist seine Übersetzerin, auf Hubert Fichte und Ovid. Kabbala ist auch mit drin. Leider wird dadurch nichts besser oder übersichtlicher. Stringenz der Handlung fehlt ebenso wie verantwortungsvoller Umgang mit Sprache oder Interesse für die Figuren. Stattdessen purzelnde Phrasen, Abziehbilder, Verschmocktes...
Immerhin, es gibt eine Hauptfigur. Einen namenlosen israelischen Ich-Erzähler. Er lebt mit Hund Toni in Berlin. Agiert als Pornodarsteller, schluckt viele Tabletten und hin und wieder einen lebenden Goldfisch. Mal lässt er sich in Clubs von einem Riesen über die Schmerzgrenze hinaus fisten, morgens und abends zeigt er sich via Zoom seiner üppigen Fangemeinde - für die er, gegen Bezahlung, masturbiert. Danach trinkt er Cafe, führt seinen Hund Gassi und arbeitet an einem Buch: „Die Geschichte, die ich gerade schreibe – verstehe ich selbst nicht, und auch ihr Ende weiß ich nicht. Aber das ist mir einerlei, denn wie eine Geschichte endet, finde ich nicht so wichtig.“
Mordende Buchfetischisten
Ein postmodernes Schelmenstück liegt hier also vor, der Autor ist die Romanfigur, die das Buch sucht, das der Autor schreibt. „Die Nektarvögel“ nämlich, das bereits verfasst ist von der fiktiven Schriftstellerin Dvora de-Shalit. Alles klar? Wie ein Fetisch geistert dieses Buch durch Amir Naamans Geschichte, ein magisches Objekt der Begierde, sagenumwoben und schicksalhaft. Es verbindet den Protagonisten mit seinen Jugendfreunden Micha und Avner. Zu dritt haben sie quasi im Vorübergehen einen arabischen Jungen ermordet, und sich danach gemeinsam einen Nektarvogel auf die Haut tätowiert.
„Micha genoss den Schmerz, ich biss mir auf die Lippen, denn obwohl ich mich zu Avner hingezogen fühlte, ließ ich mir das Tattoo in Wahrheit für Micha stechen, und den spitzen Schmerz weihte ich dem geschlachteten Jungen, den wir zurückgelassen hatten. Der glasige Blick, mit dem Micha Avner anblickte, während dieser ihm den Nektarvogel eingravierte und färbte, weckte mein Begehren.“
Viele Jahre später erhält der Ich-Erzähler postalisch erst abgeschnittene Fingernägel, dann Zähne und schließlich Fußzehen, nebst einem Foto seiner alten Flamme Micha. Um ihn wiederzutreffen, reist er nach London, findet an der angegebenen Adresse jedoch nur den vergreisten Ehemann der Schriftstellerin Dvora de-Shalit. Der Alte, ein ehemaliger Mossadagent, führt ihn schließlich zur Verfasserin des Buches „Die Nektarvögel“, welche in einem Kellerverließ haust. Der Ich-Erzähler muss erkennen, dass Dvora de-Shalit eine sabbernde Orang-Utan Primatin ist.
Der Schock sitzt tief. Am Ende ist der Ich-Erzähler wieder zuhause und sinniert über dem Foto von Micha, ob er selbst nicht Micha sei. Und dann geht er mit Toni Gassi.
„Wir erfahren nichts über die Empfindungen oder Gedanken der Figuren, es folgt Tat auf Tat. Amir Naaman lässt Kapitel unvermittelt abbrechen, erzählt Szenen nicht aus und lädt so die Leserin oder den Leser ein, Leerstellen mit Spekulationen zu füllen“, so die Übersetzerin Gundula Schiffer.
Mangelndes literarisches Gestaltungsvermögen wird hier als Sonderangebot für Leser und Leserinnen ausgegeben. Lesen Sie noch, oder spekulieren Sie schon?
Krude Metaphern
Dabei ist dieses Prosadebüt sprachlich so aufgeblasen wie unbeholfen, dass es fast schon wieder unterhaltsam wird. Einige Beispiele für befremdliche Wortkonstruktionen:
„Mein Körper wickelte sich wie ein Lavastrom um die Stange.“
„Die Nacht strahlte weiß in der Finsternis.“
„Ich fühlte die Erregung der Masse wie Radiowellen.“
„Eine wie Glühkohle sengende Fülle“
„Ich klingelte an der Glocke.“
Schritte klackern, Totenstille trifft wie Peitschenhiebe, das Raunen wird zur Raunung, Sehnsucht wogt wie heiße Kräuselwellen, undsoweiter. Obendrein sachliche Fehler: Da ist die Rede von zwei Hexenmeistern, die im 19.Jahrhundert am Hofe Königin Elisabeths Seefahrer berieten. Doch Königin Elisabeth regierte im 16. Jahrhundert.
Auch die Verwendung des Wortes Jishuv, das nicht übersetzt wird, ist falsch. Da streift der Protagonist durch den Jishuv – das vorstaatliche jüdische Gemeinwesen in Palästina? Nein. Gemeint ist der Moshav, das Dorf, in dem er aufwuchs.
Zum Schluß noch einmal der Protagonist. Was er sagt, gilt auch für den Autor Amir Naaman und sein Buch: „Die Sprache, die ich in mir zelebriere, entschlüpft unwillkürlich meinem Mund, auf eben dieselbe Weise, wie Kot dem Körper entschlüpft.“ Und auch das hätte man mit einem Wort sagen können.
Amir Naaman: „Die Nektarvögel“
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer
Elif Verlag, Nettetal
165 Seiten, 20 Euro.
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer
Elif Verlag, Nettetal
165 Seiten, 20 Euro.