Heinemann: Frau Däubler-Gmelin, wie halten Sie es mit einem Amnestie-Gesetz für DDR-Hoheitsträger?
Däubler-Gmelin: Ich glaube, das ist völlig klar: Das kommt überhaupt nicht in Betracht, und zwar weder ein Amnestie-Gesetz noch eines, das ja nun zum Teil auch aus den Reihen der PDS wieder dementiert wurde, eines mit irgendeiner Haftentschädigung für Hoheitsträger.
Heinemann: Wie ist es denn mit den Opfern des SED-Regimes? Vera Lengsfeld hat es ja heuchlerisch genannt, daß man einerseits die Täter sozusagen entlasten will, aber nichts für die Opfer tut.
Däubler-Gmelin: Genau dort hat sie den richtigen Punkt getroffen. Übrigens alle die, ob das nun Wolfgang Thierse war, der das sehr deutlich gesagt hat, oder andere, auch Sozialdemokratinnen oder Sozialdemokraten oder Christdemokraten, freie Demokraten oder Grüne, haben dort auch ganz Recht. Dieser Vorschlag zeigt doch, daß diejenigen, die ihn gemacht haben, noch nicht so ganz verstehen, was Rechtstaat eigentlich bedeutet. Das heißt nämlich zum einen, daß man die Grenze zwischen Recht und Unrecht nicht verwischen darf, und das heißt zum anderen, daß der Rechtstaat die Aufgabe hat, den Opfern zu helfen und gleichzeitig die Täter zu verfolgen. Das bedeutet ja in bezug auf die Hoheitsträger oder die Machtausübenden in der damaligen DDR, daß die sich ja auch nach ihren eigenen Gesetzen damals schuldig gemacht haben müssen. Dafür jetzt eine Amnestie zu verlangen oder gar auch eine Haftentschädigung, das ist schon eine ganz deutliche Verkennung der Grundlagen unseres Rechtstaates und schon ziemlich dreist.
Heinemann: Richard Schröder, ehemaliger SPD-Fraktionschef in der DDR-Volkskammer und alles andere als ein Freund der PDS, hat gesagt, er könne sich eine Amnestie für Rechtsstrafen ohne die Aufhebung der Urteile vorstellen. Wie beurteilen Sie das?
Däubler-Gmelin: Nun, Amnestie bedeutet immer, wenn man den technischen Ausdruck benutzt, daß hier Verurteilungen vorausgegangen sein müssen. Deswegen würden die Urteile immer bestehen bleiben. Mir ist bei dieser ganzen Forderung extrem unwohl, und gerade Richard Schröder hat natürlich noch, so sehr er auch dafür wirbt, daß man hier in unserem Land, das ja nun 50 Jahre lang eine ganz geteilte Geschichte hatte, zusammenkommt, vieles andere dazu gesagt. Deswegen kann man eine solche Äußerung von ihm, glaube ich, nicht alleine zitieren. Er weiß ganz genau, daß man natürlich bei Tätern, die unter schweren Problemen verurteilt werden konnten, weil ja die Nachweissituation und die Beweissituation nicht immer ganz einfach ist, nicht anfangen kann und daß die Schlußstrich-Überlegung genauso falsch ist wie die vermeintlich von der PDS gewollte Geste, daß man den Tätern irgend etwas Gutes tut. Ich darf Ihnen einen ganz aktuellen Fall nennen, wo das nun ganz besonders schwierig wäre. Wenn wir über Doping reden wissen wir, daß Doping überall verwerflich ist, daß es auch als Selbstausbeutung oder als Verführung von Sportlerinnen und Sportlern, die ehrgeizig sind, verwerflich ist. Wenn man es aber ohne deren Kenntnisse oder ohne Kenntnisse der Eltern bei Kindern anordnet, was dort bei Machthabern im Bereich des Sports zum Teil der Fall war, dann kann man nicht sagen, wir verurteilen die Täter jetzt erst und dann hinterher sagen wir, jetzt war es aber gar nicht so schlimm. Und wenn man hier, wenn es überhaupt zu einer Haftstrafe käme, gleich von einer Haftentschädigung reden würde, dann zeigt das im Grunde genommen die ganze Verkennung der Probleme und auch der Werte, die damit zusammenhängen.
Heinemann: Wobei die Haftentschädigung ja auch in der PDS umstritten ist. Aber mal anders gefragt: Welche Motive vermuten Sie hinter dem Vorschlag der PDS? Ist das reine Klientel-Politik der SED-Nachfolgepartei oder mehr?
Däubler-Gmelin: Ich weiß nicht, ob ich dort irgend etwas vermuten kann, aber Klientelpolitik ist sicherlich dabei. Dann meint man halt, dem Oportunismus nachgeben zu sollen. Auch das gehört bestimmt in einige Bereiche der Wählerinnen und Wähler der PDS. Möglicherweise ist es aber auch eine schlichte Unkenntnis des Umgangs mit dem Rechtstaat, und hier muß, glaube ich, auch eine rechtspolitische Sprecherin einer Fraktion schnell nacharbeiten. Ich denke, das hat sich ganz deutlich gezeigt.
Heinemann: Frau Däubler-Gmelin, die PDS wittert offensichtlich Morgenluft. Das kann sie auch deshalb, weil sie einen Partner gefunden hat, der sie salonfähig macht. Wird die SPD nicht unglaubwürdig, wenn sie solchen Forderungen nach Amnestie jetzt eine Abfuhr erteilt und gleichzeitig mit der Partei, in der sich ja nach wie vor sehr viel SED befindet, zusammenarbeitet. Sie haben eben die Einstellung der PDS zum Rechtstaat in Frage gestellt. Kann man mit solchen Leuten Koalitionen schmieden?
Däubler-Gmelin: Wenn Sie den Begriff salonfähig in einer Demokratie schon wählen wollen, so ist die PDS dies in Ländern geworden, wo sie ziemlich viel Stimmen bekommen hat. Deswegen geht es zunächst einmal auch gar nicht um die PDS, sondern um die Wählerinnen und Wähler und um den Grundgedanken, den auch Richard Schröder sagte: Es geht darum, daß wir alle in dieser wiedervereinigten Bundesrepublik ankommen müssen und ankommen können, wohl wissend, daß wir eine unterschiedliche Geschichte haben. Mir ist übrigens auch gar nicht irgendwie Angst darum, daß jetzt die Menschen vielleicht Unterschiede zwischen PDS und SPD nicht sehen könnten - und das ist ja die Befürchtung, die Sie gerade formulieren -, weil da ist die Grundüberlegung und die Ideologie davor. Wir waren immer der Meinung, daß der Weg der Kommunisten der falsche ist, weil auch eine soziale Demokratie ohne Demokratie nicht geht. Es ist bekannt, daß Sozialdemokraten in der SED-Zeit verurteilt wurden. Es ist bekannt, daß die SPD zu den neuen Parteien im Osten gehörte. - Nein, es geht darum, daß die Wählerinnen und Wähler und so weit es auch geht die Mitglieder der PDS hier dazu veranlaßt werden, in der Bundesrepublik Deutschland anzukommen, auf dem Boden unserer Verfassung Politik zu machen. Das heißt, daß man es nicht über einen Leisten schlagen muß. Das heißt aber gleichzeitig, daß Forderungen, und zwar unsinnige, falsche, grundlegend falsche Forderungen wie die nach Amnestie oder Haftentschädigung, ganz deutlich kritisiert und zurückgewiesen werden.
Heinemann: Die Frage ist doch, ob die Leute in der Demokratie direkt als Minister ankommen müssen, wenn es, wie Sie sagen, Zweifel an dem Verhältnis der PDS zum Rechtstaat gibt. Es gibt Zweifel an der Verfassungstreue. Führende PDS-Politiker sprechen von Systemopposition, und zwar Opposition gegen das System, dem Sie als Ministerin dienen. Kann man mit solchen Leuten zusammenarbeiten?
Däubler-Gmelin: Herr Heinemann, Zweifel gibt es immer an Personen und an deren Einstellung. Und direkt ankommen als Ministeramt tut auch niemand. Die Wahl in einer Demokratie geht über die Bevölkerung. Und ob uns das nun paßt oder nicht, die PDS hat ihre Wählerinnen und Wähler. Natürlich gibt es um die eine Konkurrenz.
Heinemann: Die PDS ist doch nicht in die Regierung gewählt worden. Das war eine Entscheidung von Herrn Ringsdorff.
Däubler-Gmelin: Nein, das sagt ja auch niemand, sondern ich bin nur dagegen, Herr Heinemann, daß Sie hergehen und alles in einen Topf werfen. Wissen Sie, Zweifel an der Verfassungstreue gibt es an Personen. Und wenn die bestehen, muß man das sehr deutlich sagen. Es ist aber in einer Demokratie so, daß Parteien gewählt werden, und wenn Herr Ringsdorff, was er ganz ohne Zweifel getan hat, sagt, wir arbeiten jetzt zusammen, dann gibt es eine lange Koalitionsvereinbarung. Das wissen Sie auch. Dann ist die Motivation nicht die, einzelne Strömungen in der PDS, die man kritisieren muß und die ich ja auch sehr deutlich kritisiere - das tun auch andere -, jetzt einzuplanieren, sondern sehr deutlich zu sagen, was geht und was nicht geht, und das tut er auch.
Heinemann: Zweifel an der Verfassungstreue bestehen nur bei Personen, haben Sie gesagt, zum Beispiel bei Daniela Dahn. Die soll heute in das Verfassungsgericht von Brandenburg gewählt werden, und wiederum Manfred Stolpe, SPD, und Regine Hildebrandt, SPD, sind dafür.
Däubler-Gmelin: Entschuldigen Sie, Sie können ja auch nicht über den Rundfunk hier Zweifel an einer Person mehr als artikulieren. Ich bin weder dazu berufen noch gebe ich mich dazu her, mich zu Personen jetzt in dieser Form zu äußern, sondern da wo Sie sagen und wo wir beide gemeinsam sagen können, daß die Rechtsgrundlagen und auch die Verfassungsgrundlagen unseres Rechtstaates nicht erkannt oder überschritten worden sind, dort haben wir das zu rügen. Das ist aber nicht bei Frau Dahn der Fall, sondern das ist bei dem Vorschlag der Fall, Hoheitsträgern der DDR eine Amnestie zukommen zu lassen oder ihnen gar Haftentschädigung auszuzahlen. Und es ist dort der Fall, wo die Grenzen zwischen Recht- und Unrechtstaat verwischt werden, wo man sich nicht um die Opfer kümmert, wie Sie vorher zurecht gesagt haben, sondern um die Täter. Um die Opfer kümmern wir uns, und das muß man auch wieder zurechtrücken.
Heinemann: Frau Däubler-Gmelin, in Ostdeutschland treten SPD-Mitglieder zuhauf aus der Partei aus. Mitte Januar wollen die SPD-Politiker Richard Schröder und Markus Meckel einen Arbeitskreis der sozialdemokratischen Gegner einer Zusammenarbeit mit der PDS gründen. Heute gibt es Äußerungen von Herrn Hilzberg und von Herrn Kunkel. Die Ost-SPD ist gespalten. Ist das der sozialdemokratische Beitrag zur Einheit Deutschlands?
Däubler-Gmelin: Nein, gespalten ist sie auf keinen Fall. Die Grundlagen der Sozialdemokraten, Herr Heinemann, über die ich vorher geredet habe, die sind auch allen, übrigens allen Sozialdemokraten und auch den PDSlern, über die wir uns im Moment gerade ärgern und über deren Forderung wir reden, sehr wohl bekannt. Daß es hier Sozialdemokraten gibt, die ihrerseits noch einmal eine besondere Betonung darauf legen, daß man hier Grundlagen nicht verwischt, das verstehe ich sehr gut. Man sollte aber jetzt nicht so tun zu sagen, die SPD sei gespalten oder die SPD in den Mittelpunkt der Kritik rücken. Das ist nun wirklich politisches Tagesgeschäft. Es geht darum, daß die Forderung nach Amnestie mit unseren Grundlagen, und zwar den Grundlagen unserer Regierungsform und mit den Grundlagen unserer Verfassung, nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Das sollten wir, glaube ich, nicht ganz vergessen.
Heinemann: Egon Bahr, einer der Praktiker des sogenannten deutsch-deutschen Wandels durch Annäherung, hat einmal sinngemäß vom Glücksfall Glopke gesprochen. Das heißt er hat die Beschäftigung eines ehemaligen NS-Funktionärs im späteren Bundeskanzleramt als Vorbild für den Umgang mit DDR-Eliten beschrieben. Ist der Fall Glopke vorbildlich?
Däubler-Gmelin: Egon Bahrs Äußerung war natürlich auch in einem Kontext zu sehen, der sehr viel mit Versöhnung zu tun hatte, aber noch viel mehr, Herr Heinemann, damit, daß in der historischen Situation der 50er Jahre in Westdeutschland damals eine neue rechtstaatliche Demokratie aufgebaut werden sollte. Vorbildlich wofür? - Sie sprechen jetzt den Bereich des Umgangs mit der Vergangenheit an, wo wir ja nun mittlerweile - ich will nur einige andere Beispiele anbringen: in Südafrika oder auch in den Ländern in Mittelost - gesehen haben, daß es ganz unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gibt. Wir Deutschen müssen unseren spezifisch deutschen Weg finden. Ich denke, daß Diskussionen wie solche, wie wir sie jetzt gerade führen, dazu auch hilfreich sein können. Nur lassen Sie uns nicht ganz vergessen: Unser Staat, unsere soziale Demokratie und unser Rechtstaat haben den Vorzug, daß wir alle übereinstimmen, nämlich die Tatsache, daß es Amnestie für Täter nicht geben darf und daß man sich um die Opfer kümmern muß. Ich denke, daß diese Forderung der PDS - sie ist ja nun auch zumindest zum Teil wieder zurückgezogen worden - ein guter Anlaß ist, darüber nochmals nachzudenken und auch darüber zu reden.
Heinemann: Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, SPD, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank und auf Wiederhören.