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Amnesty International ruft Internationale Gemeinschaft zu Druck auf China auf

Die Asienexpertin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Verena Harpe, plädiert trotz der Vorfälle in Tibet nicht für einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking. Harpe sagte, wichtiger sei internationaler Druck auf die chinesische Regierung. Auch Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees sollten sich für die Bürgerrechte stark machen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Die Nachrichtensperre in Tibet macht es schwer, verlässliche Informationen über die Entwicklungen dort zu erhalten. Die kompromisslosen Stimmen aus der chinesischen Führung lassen allerdings ein hartes Durchgreifen befürchten. Aus seinem indischen Exil ließ mittlerweile der geistige Führer der Tibeter (der Dalai Lama) verlauten, falls die Situation weiter eskaliere, werde er von der weltlichen Führung zurücktreten. Er reagierte damit auf die harten Töne aus Peking. Am Telefon ist nun Verena Harpe. Sie ist die Asien-Expertin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Deutschland. Guten Tag Frau Harpe!

    Verena Harpe: Guten Tag Frau Engels.

    Engels: Haben Sie derzeit noch irgendwelche Möglichkeiten, eigene Informationen aus Tibet zu bekommen?

    Harpe: Es ist im Moment sehr schwierig, Informationen aus Tibet zu erhalten, weil die chinesische Regierung das Gebiet ja abgeriegelt hat, keine unabhängigen Beobachter zulässt und auch ausländische Journalisten nicht hinein gelassen werden. Wir bekommen Berichte, in denen immer wieder von neuen Verhaftungen die Rede ist. Es gibt ja nach wie vor Razzien. Menschen werden aus ihren Häusern verhaftet. Es erreichen uns auch immer wieder Berichte von Misshandlungen von Personen und man muss auch davon ausgehen, dass die sehr massive Militär- und Polizeipräsenz im Moment in Lhasa, aber auch anderswo in Tibet zu neuen und weiteren Menschenrechtsverletzungen führen wird.

    Engels: Wie ist es da einzuordnen, dass der Dalai Lama nun offenbar auch seinen Rückzug als weltlicher Führer der Tibeter in Aussicht stellt? Kann das zur Deeskalation beitragen?

    Harpe: Ich denke dem ganzen liegt ja in erster Linie die Unterdrückung der tibetischen Religion und Kultur und die massive Diskriminierung zu Grunde, dadurch resultierend die Unzufriedenheit der Tibeter. Die Chinesen werden diese Situation auch nicht deeskalieren können, indem sie nun in alle Richtungen dort Druck ausüben, sondern müssen sich ihre bisherige Politik da einfach noch mal durch den Kopf gehen lassen und erkennen, dass das so nicht weitergehen kann.

    Engels: Stichwort Diskriminierung und chinesische Politik. China ist ja ein Vielvölkerstaat. Haben Sie Informationen darüber, wie nun möglicherweise auch andere ethnische Minderheiten nun auf diese Unruhen in Tibet reagieren?

    Harpe: Es ist ja generell so: Es gibt viele ethnische und religiöse Minderheiten. Neben Tibet gibt es ja auch die Region Xingjiang im Nordwesten. Dort lebt die muslimische Minderheit der Uiguren, die auch sehr starker Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Dann gibt es Christen, die in Untergrundkirchen engagiert sind, die Falun-Gong-Bewegung. Also es gibt eine Vielzahl von Minderheiten, die ganz klar diskriminiert werden, auch der Verfolgung ausgesetzt sind. Das ist sowieso ein andauerndes Problem. Es ist jetzt also nicht so, dass sich das nur im Vorfeld der Spiele zum Beispiel verschärft hat, sondern etwa die Verfolgung der Uiguren hat besonders nach dem 11. September enorm zugenommen, weil China da nämlich die Gelegenheit ergriffen hat, das so in den globalen "war on terror" mit einzugliedern und zu sagen, dass es sich dort um internationale Terroristen handelt, die es zu bekämpfen gilt, was für die Leute dort sehr schreckliche Folgen gehabt hat.

    Engels: Ist das möglicherweise auch ein Hintergrund der jetzigen Härte der chinesischen Führung, dass man in Tibet ein Exempel statuiert, um bei den anderen Minderheiten Ruhe zu behalten?

    Harpe: Es ist auf jeden Fall so, dass wir beobachten, dass sich die harte Linie der Chinesen nicht nur auf Tibet bezieht, sondern zum Beispiel erreichen uns immer wieder und in den letzten Monaten sehr verstärkt Berichte davon, dass Menschenrechtsverteidiger ganz gezielt eingeschüchtert werden und mundtot gemacht werden, und das hat natürlich eine Signalwirkung, die da eben heißt, wir lassen hier nichts durchgehen, wir fahren eine ganz harte Linie und wir werden jeden Protest und jede Form der Opposition sofort niederschlagen.

    Engels: Menschenrechtsverteidigung ist ein zentrales Stichwort. Abseits von Tibet hat heute in Peking ein Prozess gegen den prominenten Bürgerrechtler Hu Jia begonnen. Der Vorwurf lautet "Aufruf zur Untergrabung der Staatsgewalt". Die Verhandlung wurde nach wenigen Stunden vertagt. Welche Rolle spielt Hu Jia speziell für die Opposition in China?

    Harpe: Hu Jia ist einer der prominentesten Menschenrechtsverteidiger in China. Er hatte sich ja vor allen Dingen auch in Punkto Aids engagiert. Er ist jetzt auch schon vor seiner Verhaftung längere Zeit unter Hausarrest gestellt worden, zusammen mit seiner Frau. Er ist jetzt ja in Haft und die Frau ist nach wie vor weiter unter Hausarrest mit dem wenige Monate alten Baby. Man hat ihr Telefon und Internet abgeklemmt. Er hat natürlich eine sehr wichtige Funktion, weil er sehr prominent ist und sein Fall im Ausland sehr wahrgenommen wird. Man muss aber auch sagen, dass er überhaupt kein Einzelfall ist. Es gibt tatsächlich im Vorfeld der Spiele den Versuch der chinesischen Regierung, die Menschenrechtsverteidiger, die sich kritisch zur Lage der Menschenrechte in China, zu den Olympischen Spielen äußern, ganz gezielt, indem man sie einschüchtert, unter Hausarrest stellt, verhaftet, mundtot zu machen. Vor wenigen Tagen erst ist ein Menschenrechtsanwalt entführt worden und man hat ihn zwar wieder freigelassen, ihn aber ganz klar davor gewarnt, dass er nicht mit ausländischen Journalisten sprechen darf, was natürlich dann wiederum andere Lockerungen seitens der chinesischen Regierung, dass sie sagen im Vorfeld der Spiele können ausländische Journalisten frei berichten, ad absurdum führt. Wenn man nämlich die Interview-Partner so einschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen, mit diesen Journalisten zu sprechen, läuft das ja ins Leere.

    Engels: Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu der auch in Deutschland immer häufiger vorgetragenen Forderung, die Olympischen Spiele in Peking doch zu boykottieren?

    Harpe: Wir denken, dass es nicht so sehr um die Frage Boykott oder nicht Boykott geht. Amnesty ist auch nicht explizit für einen Boykott. Wir glauben, dass es im Moment wirklich wichtig ist, ganz, ganz massiven Druck und auch öffentlichen Druck auf die chinesische Regierung auszuüben - und zwar von allen Seiten. Da ist die internationale Gemeinschaft gefragt, da ist aber auch das Internationale Olympische Komitee gefragt, auch die nationalen olympischen Komitees und es muss eine ganz klare Botschaft an die Chinesen gehen. Die hatten bei der Vergabe der Spiele 2001 versprochen, dass die Spiele eine Verbesserung der Menschenrechte bringen würden. Wir haben immer gesagt, automatisch wird das nicht passieren. Das IOC hatte diese Erwartung. Es hat sich jetzt herausgestellt, dass dies nicht eingetreten ist, und das muss jetzt ganz vehement eingefordert werden.

    Engels: Nun hat EU-Parlamentspräsident Pöttering die Forderung ins Spiel gebracht, es könnten ja zumindest die Politiker in Erwägung ziehen, der Eröffnungsveranstaltung fern zu bleiben. Wäre das ein gangbarer Weg?

    Harpe: Wir können natürlich als Menschenrechtsorganisation keinem Politiker vorschreiben, was er wie oder so machen soll. Ich denke das muss jeder für sich selbst entscheiden.

    Engels: Die Expertin für Asien der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Verena Harpe. Ich bedanke mich für das Gespräch.