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Amnesty-Report
Todesfalle Libyen

Sie werden ausgeraubt, gefoltert und entführt: Die Lage der Flüchtlinge in Libyen ist verheerend. Darauf macht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem neuen Bericht aufmerksam. Die Befürchtung: Der geplante Militäreinsatz gegen Schlepper werde die Situation verschärfen statt verbessern.

11.05.2015
    Flüchtlinge sitzen in Libyen in einem Zentrum für illegale Flüchtlinge fest.
    Flüchtlinge sitzen in Libyen in einem Zentrum für illegale Flüchtlinge fest. (dpa / picture alliance / EPA)
    Amnesty verwies auch auf die gezielte Gewalt gegen Christen in dem Land, in dem seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 mit Dutzenden bewaffneten Milizen, Dschihadisten und zwei konkurrierenden Regierungen Chaos herrscht. Gewalt islamistischer Gruppen gegen Christen aus Ägypten, Äthiopien, Eritrea und Nigeria sei an der Tagesordnung, erklärte Amnesty International in einem in Berlin und London veröffentlichten Bericht. Zuletzt habe die Terrormiliz "Islamischer Staat" 49 Christen in Libyen getötet.
    Sorge vor geschlossenen Grenzen
    Von Libyen aus versuchen viele Flüchtlinge, per gefährlicher Bootsfahrt über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Amnesty warnte aber vor Überlegungen der Europäischen Union, massiv gegen die Schleuser vorzugehen. Die von der EU angestrebte Zerstörung von Schlepperbooten würde die Situation für Ausländer in Libyen noch verschlimmern. "Wenn die EU ihre Pläne umsetzt, sitzen die Flüchtlinge vollends in der Falle", sagte Selmin Caliskan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "Da auch Ägypten und Tunesien beginnen, ihre Grenzen zu schließen, bleibt ihnen der gefährliche Weg über das Mittelmeer als einzige Chance, der zunehmenden Gewalt und Grausamkeit in Libyen zu entkommen."
    Es wird erwartet, dass die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini heute die geplante Zerstörung von Schlepperbooten mit dem UNO-Sicherheitsrat diskutieren wird. Die Italienerin will erläutern, warum Schlepperboote noch vor ihrem Einsatz "identifiziert, aufgebracht und zerstört" werden sollen. Diesen Beschluss hatten die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Krisengipfel gefasst, nachdem Mitte April mehr als 750 Flüchtlinge vor der libyschen Küste ertranken. Nach dem Tod von Tausenden Bootsflüchtlingen plant die EU nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" erstmals ein Aufnahmelager im westafrikanischen Niger, um Flüchtlinge über Asylmöglichkeiten in Europa zu informieren. Anträge sollen dort aber nicht bearbeitet werden.
    Amnesty fordert sichere Fluchtwege
    Amnesty fordert von der EU, eine gemeinsame Seenotrettung auf dem Mittelmeer bis vor die libysche Küste aufzubauen und deutlich mehr Aufnahmeplätze für Flüchtlinge in der EU zu schaffen. "Ohne sichere und legale Fluchtwege bleibt Tausenden nichts anderes, als sich in die Hände skrupelloser Schlepper zu begeben", warnte Caliskan. Auch die Nachbarländer Tunesien und Ägypten müssten ihre Grenzen für Flüchtlinge offen halten. Der Amnesty-Bericht beschreibt Fälle von Entführung, Erpressung, Vergewaltigung und Folter durch Schmuggler und bewaffnete Banden auf dem Weg nach und durch Libyen ebenso wie die grausame Behandlung in den Flüchtlingslagern, in denen libysche Behörden Männer, Frauen und Kinder auf unbestimmte Zeit einsperren.
    Caliskan sieht den Westen in der Verantwortung. "Die Zustände in Libyen hat die Staatengemeinschaft durch ihre Untätigkeit mitverschuldet", erklärte sie. "Seit dem Ende des Nato-Militäreinsatzes 2011 haben westliche Staaten tatenlos zugesehen, wie Libyen in Gesetzlosigkeit versinkt und bewaffnete Gruppen das Land ins Chaos stürzen. Sie dürfen jetzt nicht einfach das Leid der Flüchtlinge und Migranten in Libyen ignorieren."
    (fwa/dk)