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Amt des Bundespräsidenten
"Man wollte gerade keine direkte Volkswahl haben"

Immer wieder werden in Deutschland Forderungen laut, den Bundespräsidenten vom Volk wählen zu lassen. Der Politikwissenschaftler Christoph Möllers hält davon wenig. Das Staatsoberhaupt wäre dann direkter legitimiert als die Bundeskanzlerin, hätte aber viel weniger Kompetenzen, sagte Möllers im DLF.

Christoph Möllers im Gespräch mit Birgid Becker | 12.02.2017
    Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers spricht am 04.12.2013 in Osnabrück auf einer Pressekonferenz zum NPD-Verbotsverfahren
    Der Politikwissenschaftler Christoph Möllers bezweifelt, dass eine Direktwahl des Bundespräsidenten ein "Mehr an Demokratie" sei, sagte er im DLF. (picture-alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Birgid Becker: Heute wird der Bundespräsident gewählt. Oder sollte man vielleicht nur sagen: bestätigt? Denn eigentlich weiß man ja, dass am Ende des Tages Frank-Walter Steinmeier der Auserwählte sein wird. Wie die Mehrheitsverhältnisse unter den Wahlleuten in der Bundesversammlung sind, das ist bekannt. Zu bekannt, zu berechenbar? Ob er sich nicht mehr Spannung wünscht bei der Wahl des Bundespräsidenten? Das habe ich den Verfassungsrechtler Christoph Möllers gefragt.
    Christoph Möllers: Ach, ich glaube, das Amt des Bundespräsidenten ist ja erst mal ein Amt, das irgendwie auch auf Konsens gegründet sein sollte, und ich glaube, dass es eigentlich nicht wirklich gut zu so einem Amt passt, dass man in eine Wahl reingeht und dann irgendwie eine große Überraschung erlebt.
    Das ist ein Amt, das ganz bewusst so angelegt wurde, dass es aus einem repräsentativen Wahlprozess entsteht. Wir haben Bundestags- und Gesandte der Landtage, die hier wählen in Form der Bundesversammlung. Man wollte gerade keine direkte Volkswahl haben. Man hatte schlechte Erfahrungen mit der Weimarer Republik gemacht. Damit hat man in gewisser Weise aber auch schon den Überraschungseffekt ausgeschlossen. Denn es ist klar: Die Bundesversammlung kann sich eigentlich nicht unvorbereitet treffen, um dann irgendwen zu wählen, sondern vorher wird abgesprochen, vorher muss man Mehrheiten organisieren und finden, um dann jemand zum Bundespräsident zu machen. Mir kommt das eigentlich ziemlich normal, aber deswegen nicht unbedingt undemokratisch vor.
    Es wäre "im Grunde so eine Art Nebenregierung"
    Becker: Trotzdem wünschen sich ja 70 Prozent der Bundesbürger, dass sie den Bundespräsidenten selber wählen können, dass er vom Volk gewählt wird. Das ist doch eigentlich eine nette demokratische Geste, sich auf diese Weise mehr Mitsprache zu wünschen.
    Möllers: Die Frage ist aber dann, was passiert, wenn man das gemacht hat. Das Problem erscheint dann ja so: Wenn jemand mit einem Direktmandat ausgestattet Bundespräsident wird und dann die Kompetenzen hat, die der Bundespräsident hat, die ja überwiegend repräsentativer Natur sind, dann läuft im Grunde dieser Legitimationsvorschuss ein bisschen ins Leere. In gewisser Weise wäre der Bundespräsident/die Bundespräsidentin direkter legitimiert als die Bundeskanzlerin, aber sie hätte viel weniger oder er hätte viel weniger Kompetenzen. Das klappt eigentlich nicht, das geht eigentlich nicht auf, sondern dann würde der Bundespräsident mit seinem Mandat im Grunde anfangen, so eine Art Nebenregierung aufzubauen, eigene Akzente zu setzen, sich selber im Grunde deutlicher zu politisieren, und das wäre dann, glaube ich, schon ein Problem, weil ein solches Amt dann im Grunde, wenn ich das noch sagen darf, so ein bisschen ein populistisches Amt werden müsste, das immer sagt, na ja, ich sehe es aber ganz anders, wir machen es aber so, ohne dass der Bundespräsident eigentlich irgendwas tun könnte, für das er auch wieder zur Verantwortung gezogen werden könnte.
    Becker: Fakt ist aber doch, dass die Personalie Bundespräsident eher intransparent ausgekungelt wird. Ist das nicht eine Hypothek für das Amt?
    Möllers: Ja, ich muss sagen. Je mehr ich sehe, wie sich populistische Entwicklungen auf der Welt entwickeln, desto mehr ist das, was man so als intransparentes Auskungeln bezeichnet, aber was man ja vielleicht auch einfach mal als eine Form von demokratischem Willensbildungsprozess unter Repräsentanten verstehen könnte, mir lieb. Denn ich glaube, es ist sehr klar, dass in einer modernen Demokratie Politik irgendwie auch sich professionalisieren muss und dass es Leute geben muss, die im Prinzip den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu gucken, was ist mehrheitsfähig, wie ist die Stimmung im Lande, wie machen wir hier Politik, die irgendwann für Mehrheiten akzeptabel ist. Und dieser Prozess, den man nicht immer komplett durchschaut, aber doch trotzdem einer ist, der irgendwie so was wie eine Mehrheitsherrschaft ermöglicht, während Momentaufnahmen durch Volksabstimmungen, auch Direktwahl im Grunde sehr oft letztlich mobilisierte Extreme dazu führen, Entscheidungen dazu treffen, die dann vielleicht doch für alle oder für Mehrheiten auch wieder zum Problem werden.
    "Das ist die Tragik der Demokratie"
    Becker: Sie sagten, es sei doch klar, dass auf diese Weise Mehrheiten geschaffen werden müssen. Das ist Teil für Sie eines funktionierenden politischen Systems. Sind Sie mit dieser Einschätzung so mehrheitsfähig, wenn man an den großen Kreis doch eher politikverdrossener Bürger denkt?
    Möllers: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, natürlich, wie man überhaupt nicht so richtig weiß, was jetzt die Mehrheit ist und was das Volk ist, weil das natürlich immer erst mal Konstruktionen sind, die man irgendwie nur abrufen kann, indem man bestimmte Verfahren anlegt, seien es Wahlverfahren, seien es demoskopische Verfahren.
    Aber ich würde schon sagen, was eine Demokratie ist auf der einen Seite, oder wie eine Demokratie funktioniert, und was die Leute mehrheitlich wollen, können ja auch zwei verschiedene Dinge sein. Das ist natürlich in gewisser Weise die Tragik der Demokratie, dass es vielleicht Mehrheiten gibt, die demokratische Repräsentationsverfahren ablehnen. Ich beobachte einfach nur, dass Direktverfahren von der Brexit-Volksabstimmung bis zur Direktwahl von Präsidenten ganz oft dazu führen, dass mobilisierte Minderheiten für diesen Moment eine Mehrheit bekommen, die aber vielleicht gar nicht im Interesse von nachhaltigeren Mehrheiten sind. Dann gibt es Probleme und dann kann man, glaube ich, auch noch mal fragen, wie demokratisch ist das eigentlich, wenn so ein gewisses Ergebnis dazu führt, dass im Prinzip man mit etwas konfrontiert ist, was auf die Dauer nicht mehrheitsfähig ist.
    Becker: Dann sagen Sie, ein Mehr an Demokratie gefährde die Demokratie?
    Möllers: Ja ich bin immer sehr vorsichtig, was eigentlich ein Mehr an Demokratie ist. Ich würde dezidiert nicht sagen, dass eine Volksabstimmung zum Beispiel ein Mehr als eine Parlamentswahl an Demokratie ist, sondern ich würde sagen, dass wir die repräsentative Demokratie entwickelt haben, weil wir sie für besonders demokratisch halten, weil wir glauben, dass Leute, die zur Verantwortung gezogen werden, die sich aber auch den ganzen Tag mit demokratischer Repräsentation beschäftigen, im Grunde besser geeignet sind, das was Mehrheiten wollen zu realisieren, als direkte Verfahren. Insofern müsste man sich mal darüber unterhalten, was eigentlich demokratischer ist, denn letztlich heißt Demokratie Volksherrschaft und letztlich ist der Begriff des Volkes selbst ja ein schwieriger Begriff, weil wir im Grunde natürlich Mehrheiten immer nur dadurch bekommen, dass wir bestimmte Verfahren überhaupt erst mal entwickeln, Fragen stellen oder Listen für Parteien aufstellen. Wir haben immer irgendwie eine Form von Vermittlung, bei jedem Prozess, und da ist es, glaube ich, schwierig zu sagen, dass die Direktwahl die demokratischere ist.
    "Demokratische Politiker fangen an, Angst vor dem Publikum zu haben"
    Becker: Müsste aber dann die andere Form, die, die wir haben, diese Form, die jetzt so ein bisschen unter Verdrussverdacht geraten ist, müsste die nicht Mittel und Wege finden, mehr für sich zu werben oder zu überzeugen?
    Möllers: Klar! Klar: Wir haben natürlich ein Problem. Das ist auch nicht die Frage. Und ich denke auch, was ich beobachte ist einfach auch, dass demokratische Politiker eigentlich anfangen, Angst vor dem Publikum zu haben und irgendwie Angst haben davor, dem Wahlvolk auch vorzuhalten, dass man bestimmte Dinge vielleicht gar nicht lösen kann, dass Politik nicht für alles zuständig sein kann und so weiter und so fort.
    Ich glaube, wir haben eine relativ verdruckste Form von Politik im Moment, die sich in gewisser Weise vor der Öffentlichkeit fürchtet, und die Öffentlichkeit nimmt das zur Kenntnis und verachtet dann die Politik für diese Furcht. Da ist so eine gewisse Form von negativer Spirale, in der das Publikum die Politik nicht mag, weil die Politik Angst vor dem Publikum hat. Das ist ein massives Problem. Ob das aber dadurch gelöst werden kann, dass man Ämter popularisiert und einer Direktwahl zuführt, das würde ich bezweifeln.
    Becker: Aber jemand, der Verdruckstheit lösen könnte, das wäre doch im gegenwärtigen System gerade der Bundespräsident mit seiner Macht des Wortes, seiner Kraft des Wortes.
    Möllers: Ja, natürlich! Wenn er das gut macht, kann er das. Aber das hängt dann, glaube ich, nicht davon ab, wie er gewählt wurde. Ich glaube umgekehrt, wir könnten das Amt des Bundespräsidenten überhaupt nur - - Wenn wir die Direktwahl des Bundespräsidenten einführen, dann müssen wir das Ganze Amt auch umstellen. Dann müssen wir sagen, wir haben im Grunde eine Präsidialdemokratie, in der ein Politiker auch direkte Macht hat. Denn der Verdruss, der entsteht, wenn jemand direkt gewählt wird und keine Kompetenzen hat, der ist ja in gewisser Weise auch berechtigt.
    "Die Mühe der repräsentativ-demokratischen Ebene hat seinen eigenen Wert"
    Becker: Nun haben Sie ja zu Beginn des Gespräches darauf hingewiesen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich bewusst gegen ein Präsidenten-Regierungssystem entschieden haben. Und wenn wir gucken auf die Türkei, auf Polen, auf andere Staaten Osteuropas und erst recht auf den neuen Mann an der Spitze der USA, dann müssen wir uns auch nicht unbedingt wünschen, dass das anders wäre. Hätten Sie die Hoffnung, gerade wenn die politisch interessierte Öffentlichkeit auf diese Beispiele guckt, auf Systeme mit starken, zu starken Präsidenten, wie ich sie gerade aufgezählt habe, dass daraus eine neue Form der Wertschätzung für unser System erwächst?
    Möllers: Generell habe ich natürlich schon die Hoffnung, vielleicht nicht gerade Grund zur Hoffnung, aber doch trotzdem die Hoffnung, dass das, was wir im Moment in sehr vielen Ländern beobachten, auch noch mal allgemein dazu führt, dass wir so ein bisschen über die Qualitäten unseres Lebens nachdenken und sehen, dass die Mühe der repräsentativ-demokratischen Ebene, diese Langeweile, dieses zähe Kompromisse finden, dieses teilweise auch Intransparente auch seinen eigenen Wert hat.
    Auf der anderen Seite sehen wir, glaube ich, auch, dass gerade in einer Welt, die so stark medialisiert ist und so auf Personalisierung aus ist, Präsidialämter immer irgendwie im Grunde groß gemacht werden und dieses Großgemachte dann dazu führt, dass die Leute entweder autoritär werden, oder aber enttäuschen. Ich denke, Frankreich ist ein schönes Beispiel dafür, dass das Amt sehr, sehr groß ist. Der französische Staatspräsident ist in gewisser Weise viel mächtiger als der amerikanische Präsident innerhalb Frankreichs. Aber zugleich findet man niemanden mehr, der das Amt ausfüllen kann. Im Grunde alle sind immer enttäuscht über den nächsten Präsidenten. Chirac war schon zu klein, Hollande war zu klein, Sarkozy war ein Problem und da würde man doch vielleicht denken, wenn man niemanden mehr findet, dann müsste man vielleicht doch eher über die Ämterverfassung nachdenken, als immer zu hoffen, jetzt kommt noch mal der, der es jetzt wirklich lösen würde.
    "Das Amt scheint mir nicht schlecht gestrickt zu sein"
    Becker: Dann könnte man die Sache auch anders denken. Warum verzichten wir nicht auf einen Bundespräsidenten?
    Möllers: Na ja, warum verzichten wir nicht auf einen Bundespräsidenten? So wie er jetzt ist, scheint mir das Amt ja nicht unbedingt schlecht gestrickt zu sein. Wenn wir jemanden finden, der uns was zu sagen hat, der Substanz hat, der gut reden kann, der sich Themen sucht, die politisch, staatspolitisch relevant, aber parteipolitisch nicht umstritten sind, dann kann man damit ja was machen. Und warum sollten wir auf Leute wie Gauck zum Beispiel verzichten, die das doch irgendwie auch interessant gelöst haben. Ich denke, es ist erst mal gut, eine Vielfalt von Ämtern zu haben. Nur müssen nicht alle Ämter, können nicht alle Ämter mit Machtpositionen ausgefüllt werden. Manche repräsentieren halt auch einfach und Repräsentation ist ja nichts Schlechtes.
    Becker: Und kann Frank-Walter Steinmeier so einer programmierten Enttäuschung entgehen?
    Möllers: Das ist eine schwierige Frage. Aber ich glaube, was man wirklich sagen muss ist, dass Steinmeier gerade jetzt in der zweiten Amtszeit als Außenminister doch sehr, sehr viele auch sehr substanzielle Beiträge eigentlich gemacht hat. Ich fand die Rede, die ich mir so angeguckt habe, immer sehr, sehr gehaltvoll und auf einem sehr hohen reflektierten Niveau, und ich denke, das ist erst mal jedenfalls eine Voraussetzung, die einen hoffen lässt, dass er das gut machen wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.