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Amtsantritt von Javier Solana als Hoher Repräsentant für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Kößler: Europa hat jetzt eine Telefonnummer. Javier Solana wird europäischer Hochkommissar für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. - Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. Einen schönen guten Morgen!

    Scharping: Guten Morgen.

    Kößler: Herr Scharping, bekommen Sie und vielleicht auch Joschka Fischer mit Solana jetzt einen neuen Vorgesetzten?

    Scharping: Nein, aber einen sehr guten Kooperationspartner.

    Kößler: Der ehemalige Bundeskanzler und Parteifreund Helmut Schmidt spricht von einem totalen Kompetenzwirrwar in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Läuft Solana Gefahr, sich ins Dickicht der Zuständigkeiten zu verrennen? Kann sich Solana einfügen in dieses Dickicht?

    Scharping: Wenn es ein Dickicht geben sollte, dann wird er helfen, es zu lichten. Mit der gleichzeitigen Rolle in der Europäischen Union und in der Westeuropäischen Union wird Javier Solana in der Lage sein, die europäische Politik besser zu koordinieren. Im übrigen: es ist ja das erklärte Ziel der deutschen Bundesregierung, die Westeuropäische Union schrittweise mit der Europäischen Union zu verschmelzen, um genau diese Vielzahl der Institutionen zu reduzieren und dafür mehr politische Substanz aufzubauen. Wir brauchen diese gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wie die Erfahrung der letzten Jahre, insbesondere der letzten Monate gelehrt hat.

    Kößler: Was werden denn seine Kompetenzen sein? Laut Amsterdamer Vertrag unterstützt der Generalsekretär den Rat, indem er zu politischen Entscheidungen beiträgt. Ist Solana mehr Sekretär als General der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik?

    Scharping: Das ist mir zu plakativ. Sie sagen richtig, dass der Amsterdamer Vertrag bestimmte Vorschriften enthält bei der Entwicklung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer. Um das einfach für Ihre Hörerinnen und Hörer etwas verständlicher zu machen: die Grundlinien müssen von den Staats- und Regierungschefs gelegt werden. Man kann das an einem Beispiel erläutern. In Köln wurde festgelegt, eine gemeinsame sicherheitspolitische Fähigkeit zu entwickeln. Der deutsch-französische Gipfel hat dann beschlossen, auf militärischem Gebiet die Reaktionsfähigkeit der Europäer zu erhöhen, auch um ihre Stellung innerhalb der NATO zu stärken. Dem haben sich dann bestimmte Länder, mit denen wir im Eurokorps zusammenarbeiten, wie Spanien, Belgien, Luxemburg, angeschlossen. An diesen kleinen Beispielen kann man erkennen, dass die Grundlinien der Politik von den Staats- und Regierungschefs festgelegt werden. Die alltägliche Koordination der Arbeit der Außenminister und auch der Verteidigungsminister wird in den Händen von Javier Solana liegen.

    Scharping: Damit haben Sie gesagt, dass die Außen- und Sicherheitspolitik die klassische Domäne nationaler Souveränität ist. Trauen Sie Solana zu, sich im Interessengeflecht der nationalen Egoismen und vielbeschworenen Eigenheiten durchzusetzen?

    Scharping: Die Europäer sind da schon weiter, als manches traditionelle Vorurteil vermuten lässt. Es kommt hinzu, dass die Rolle von Javier Solana ja auch diejenige sein wird auf der Grundlage seiner sehr großen persönlichen Erfahrung, seiner sehr guten persönlichen Kontakte, nicht nur zu warten, sondern auch Initiativen zu ergreifen. Eine ist schon ergriffen. Er wird die ständige Verbindung zwischen den Europäern und der NATO darstellen.

    Kößler: Lassen sich, Herr Scharping, Frankreich und Großbritannien wirklich in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einbinden? Beide betreiben ja bis heute Außenpolitik im Stile einer ehemaligen Großmacht.

    Scharping: Mag sein. Dazu will ich mich jetzt nicht äußern. Es ist aber jedenfalls ganz klar, dass auch Frankreich und Großbritannien sich einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik anschließen, ja sogar vernünftige Vorschläge dazu machen.

    Kößler: Herr Scharping, Solana - Sie haben es gesagt - soll das Sicherheitsbündnis der Westeuropäischen Union in die EU überführen bis Ende des Jahres 2000. Ist das ein Versuch, in Europa einen militärischen Gegenpol zu schaffen zu den Vereinigten Staaten?

    Scharping: Nein, aber wir haben in der NATO ja nicht zu viel Amerika, sondern wir haben zu wenig Europa. Es fehlt uns an manchen Fähigkeiten, und die sollten wir gemeinsam entwickeln. Wiederum ein praktisches Beispiel: Die Bundeswehr fliegt ein Transportflugzeug, das über 30 Jahre alt ist. Die Ausschreibungen für seine Nachfolge sind europäisch ergangen, von mehreren Staaten gemeinsam, zum Beispiel von Deutschland und Frankreich. Folglich sollten wir auch die Entscheidungen gemeinsam treffen. Das ist dann ein Element ganz praktischer europäischer Kooperation. Dasselbe gilt für Osttimor, denn was in der öffentlichen Debatte oft vergessen wird ist die ganz einfache Tatsache, dass Australien so wie andere außereuropäische Länder uns hier in Europa helfen, Australien den Vereinten Nationen gesagt hat, es sei bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, aber dann müssten auch die großen europäischen Staaten, dann müssten auch die Amerikaner mithelfen. Das ist der eigentliche Grund neben dem humanitären Engagement und bestimmten außenpolitischen oder außenwirtschaftlichen Interessen Deutschlands in dieser Region, dass wir uns gemeinsam mit anderen europäischen Partnern beteiligen. Würde sich Deutschland entziehen, dann würden wir selber den ersten Pflock einschlagen, an dem das Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zerschellt.

    Kößler: Wie weit reichen denn die europäischen Sicherheitsinteressen geographisch gesehen, Herr Scharping?

    Scharping: Ich glaube nicht, dass man sie geographisch wirklich eingrenzen kann. Es kommt eher auf Fall-zu-Fall-Entscheidungen an. Zunächst einmal haben wir mit der NATO ein euro-atlantisches Sicherheitsbündnis, also eines, das nicht weltweit agiert, sondern sich auf den euro-atlantischen Raum konzentriert, und das wird auch so bleiben. Das andere ist, dass die Europäer schon wegen ihrer ganz unterschiedlichen Tradition, wegen ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen Beziehungen weltweite Verbindungen haben. Das haben wir übrigens auch immer so gewollt. Wir können doch nicht von der europäischen Idee der Humanität, der Menschenrechte, der Demokratie, der Freiheit, der Rechtstaatlichkeit reden und dann so tun als gelte das gewissermaßen nur für den eigenen Vorgarten. Das wollen wir doch weltweit fördern, allerdings mit friedlichen, mit zivilen, mit politischen, mit diplomatischen Mitteln.

    Kößler: Sie haben die Kriterien eines möglichen Eingreifens ja damit eigentlich gerade schon umrissen. Gebietet das nicht die Gefahr eines zweierlei Maßes im moralischen Standard? Wie lässt sich rechtfertigen: Eingreifen in Kosovo ja, in Tschetschenien aber vornehme Zurückhaltung zum Beispiel?

    Scharping: Man kann hier nun wirklich nicht von vornehmer Zurückhaltung sprechen. Der Bundesaußenminister hat sich in Moskau außerordentlich klar geäußert, und das unterstütze ich nachdrücklich. Allerdings ist es tatsächlich so, dass wir mit einem Dilemma zu tun haben. Die Reichweite, wenn ich das einmal so nennen darf, unserer Ideale, unserer Überzeugungen zum Beispiel von der weltweiten Geltung der Menschenrechte, diese Reichweite unserer Überzeugungen ist eindeutig größer als unsere Möglichkeiten. Man darf aber in Deutschland nicht ständig der Verwechslung erliegen zwischen Prinzip oder Grundsatz auf der einen Seite, Priorität auf der anderen Seite. Man kann nicht alles zu gleicher Zeit tun. Das ist leider so.

    Kößler: Ist Russland ein zweifelhafter Partner in der Partnerschaft für Frieden geworden?

    Scharping: Russland ist ein völlig unverzichtbarer Partner geworden, selbst wenn es Rückschläge gibt.

    Kößler: Wird Russland das Hauptaugenmerk Solanas gelten müssen, um Kriege wie in Tschetschenien künftig vielleicht noch präventiv verhindern zu können?

    Scharping: Das ist ein Feld von Tätigkeit der Europäer. Ein anderes Feld wird sein, Russland als starken, kooperativen Partner für eine europäische Sicherheitsarchitektur zu gewinnen. Ohne Russland geht das nicht. Also müssen wir auch an dessen innerer Stabilität, an seiner demokratischen Weiterentwicklung interessiert sein.

    Kößler: Bisher hat die WEU, Herr Scharping, nur Polizeiaufgaben wahrgenommen, in Albanien, in Bosnien zum Beispiel. Wie weit ist die Europäische Union von der Fähigkeit für Militäreinsätze realistischerweise entfernt?

    Scharping: Wir sprachen eben über den Amsterdamer Vertrag. Nach dem WEU-Vertrag könnte die Westeuropäische Union viel mehr. Freilich es fehlen ihr die Fähigkeiten dazu. Wir halten es für sinnvoll, diese Fähigkeiten im Rahmen der Europäischen Union zu entwickeln, ohne Länder auszugrenzen, die der Westeuropäischen Union angehören und wahrscheinlich zu einem gewissen Teil jedenfalls in Zukunft auch der Europäischen Union angehören werden. Typisches Beispiel ist Polen, das der Westeuropäischen Union assoziiert ist und das der Europäischen Union bald angehören wird, hoffe ich jedenfalls. Vor diesem Hintergrund soll die Mitwirkung solcher europäischer Staaten, die nicht zur Union gehören, nicht verschlechtert werden. Die Koordination, die Zusammenarbeit der Staaten, die zur Europäischen Union gehören, soll verbessert werden.

    Kößler: Wenn die Wehretats in Europa weiter gekürzt werden, wie Ihrer ja auch, Herr Scharping, ist das der Knockout für die europäische Einsatzfähigkeit?

    Scharping: Das hängt sehr davon ab, wie weit solche Kürzungen gehen. Es ist ganz sicher: wenn alle Europäer auf das Niveau der Bundesrepublik Deutschland finanziell betrachtet heruntergingen, dann könnten wir unsere Defizite nicht überwinden. Im übrigen: jeder weiß, dass wir über die auswärtige Politik, nicht nur über die Sicherheitspolitik, über die auswärtige Politik und ihre finanzielle Ausstattung noch gründlich werden nachdenken müssen.

    Kößler: In den "Informationen am Morgen" war das Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. - Ich bedanke mich für das Gespräch!