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Amtseinführung auf Amerikanisch

Am 20. Januar wird Barack Obama sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten antreten. Mit Spannung wird bereits seine erste Ansprache erwartet, denn diese sogenannte "Inaugural Address" kann das Gesamtbild des Präsidenten entscheidend prägen. Unvergessen bleiben beispielweise Franklin D. Roosevelts Ausspruch "Das Einzige was wir zu fürchten haben, ist die Furcht" und Kennedys Appell "Frag nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frag, was Du für Dein Land tun kannst".

Von Klaus Jürgen Haller |
    Die denkwürdige Reise des Barack Obama, am 20. Januar erreicht sie ihr Ziel. Sie begann vor knapp zwei Jahren, am 10. Februar 2007, an einem bitterkalten Wintertag in Springfield, Illinois.

    "I stand before you today to announce my candidacy for President of the United States of America."

    Der Jungsenator von Illinois, 45 Jahre alt, gerade erst zwei Jahre in diesem Amt, zuvor acht Jahre Staatssenator in Illinois, meist in der Minderheitenrolle, ohne jede Regierungserfahrung, schickte er sich an, eine Supermacht führen zu wollen. Er selbst räumte eine gewisse Vermessenheit und Verwegenheit ein.

    Im monatelangen Karambolagerennen rang er seine demokratischen Mitbewerber nieder, zuletzt Hillary Clinton, die Senatorin von New York und vormalige First Lady, die der Meinung war - wie viele andere auch -, dass sie die Nominierung ihrer Partei bereits in der Tasche habe. Nichts davon!

    Am 4. November vergangenen Jahres wurde Senator Barack Obama zum künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Wieder einmal hatten sich die Wähler für einen vergleichsweise unerfahrenen Mann entschieden.
    Barack Obama:

    "Sollte immer noch jemand zweifeln, dass in Amerika alles möglich ist, wer sich fragt, ob der Traum unserer Gründer noch lebt, wer immer noch die Macht unserer Demokratie in Zweifel zieht, dieser Abend ist eure Antwort."

    Der Sieger am Tag der Wahl kurz vor Mitternacht in Chicago, vor 240.000 Menschen. Viele weinten, Farbige vor allem, als ob sich das Land schlagartig verändert hätte. Die Endstation der langen Reise war dies noch nicht, sie wird am kommenden Dienstag erreicht, mittags um zwölf amerikanischer Ostküstenzeit, um 18 Uhr in Deutschland. Vor der gewaltigen Kulisse des Kapitols, dem Sitz des Kongresses in Washington, wird Barack Obama die Rechte heben und mit der Linken dieselbe Bibel berühren wie Abraham Lincoln 148 Jahre zuvor und dann wird er - wie alle Präsidenten von George Washington bis George W. Bush - die alte Eidesformel sprechen und mit einem 'So wahr mir Gott helfe' bekräftigen. Wie hier Franklin D. Roosevelt 1933, der 32. Präsident der Vereinigten Staaten.

    "Ich schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten pflichtgetreu ausüben und die Verfassung nach besten Kräften bewahren, schützen und verteidigen werde."

    Bei all dem Trubel, dieser Eid ist die geheime Mitte, der Augenblick der Übertragung der Macht vom scheidenden Präsidenten auf den neuen. Er steht für die Kontinuität im Wechsel, seit nunmehr 220 Jahren.
    Diese Melodie - "Hail to the Chief” - wird nun vier Jahre lang die offiziellen Auftritte Präsident Obamas begleiten. Und am Dienstag wird er zum ersten Mal angesprochen sein, wenn es heißt:

    "Ladies and Gentlemen, the President of the United States!"

    Die Vorbereitungen laufen seit Monaten. Wo können 10.000 Busse parken? So viele werden erwartet. Kommen zwei oder drei Millionen Besucher? Reichen die Sicherheitsvorkehrungen? Wie verhindert man den Zusammenbruch der Telefonsysteme, wenn Hunderttausende gleichzeitig anrufen und Fotos in alle Welt verschicken?

    Bei der Amtseinführung der Präsidenten wurden mal 400.000, mal 250.000 Zuschauer gezählt; Lyndon B. Johnson brachte es auf 1,2 Millionen. Auch dieser Rekord wird gebrochen werden. 21 Schuss Salut, die Parade zum Weißen Haus, zehn offizielle Bälle, unzählige Feiern und Konzerte, mit all dem feiert diese alte Demokratie ihre ungebrochene Tradition.

    George Washington war der erste, der in New York die von der Verfassung vorgeschriebene Eidesformel sprach, am 30. April 1789. Also noch bevor die Franzosen das Pariser Stadtgefängnis stürmten und die Monarchie beiseite fegten, um ironischerweise dann doch wieder bei einem Kaiser zu landen, wenn auch bei einem von eigenen Gnaden. Nichts davon in den Vereinigten Staaten, einmal Demokratie, immer Demokratie, seit 220 Jahren. Ronald Reagan machte bei seiner Amtseinführung 1981 darauf aufmerksam, wie einzigartig dieser reguläre Wechsel der Macht seit zwei Jahrhunderten sei.

    "In den Augen vieler in der Welt ist diese von uns als normal akzeptierte Zeremonie alle vier Jahre nichts weniger als ein Wunder."

    Dies Wunder, wenn es denn eines ist, steht für die Stabilität des Systems selbst in der Krise. Da war der Watergate-Skandal. Präsident Nixon trat zurück, um einem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen. Und wie selbstverständlich wurde der Vizepräsident als Präsident vereidigt, in diesem Falle Gerald Ford, obwohl er nicht gewählt, sondern ernannt worden war, weil auch Nixons Vizepräsident Spirow Agnew unter unwürdigen Umständen hatte zurückgetreten müssen. Bei seiner wenig aufwendigen Amtseinführung sprach Präsident Ford erlösende Worte.

    "Meine Landsleute, unser langer nationaler Albtraum ist beendet. Unsere Verfassung funktioniert, unsere große Republik ist eine Regierung der Gesetze und nicht der Menschen."
    Es ist die Verfassung, das einzigartige System der Kontrollen und Gegengewichte, das hilft, selbst schwache Präsidenten und große politische Fehler zu überdauern. Entworfen für eine Agrargesellschaft von sechs oder sieben Millionen, die Sklaven mitgezählt, ist diese Verfassung, kaum verändert, 222 Jahre später immer noch das unbestrittene Fundament einer Supermacht von nunmehr 300 Millionen.

    Amerikanische Präsidenten wurden ermordet - Abraham Lincoln 1865, James Garfield 1881, William McKinley 1901 und John F. Kennedy 1963 -, das System blieb stabil. Jedes Mal übernahm der Vizepräsident die Macht. Lyndon B. Johnson wurde an Bord der Air Force One vereidigt, die Kennedys Leichnam zurück nach Washington flog.

    Präsidenten starben eines natürlichen Todes: Franklin D. Roosevelt 1945, Warren G. Harding 1923, Zachary Taylor 1850 und William Henry Harrison 1841.

    "Er sprach eine Stunde und 40 Minuten im eiskalten Schneesturm, die längste Inaugurationsansprache der Geschichte. Einen Monat später starb er an einer Lungenentzündung."
    Der Historiker Robert Dallek.

    Eine andere, eine originelle Geschichte. Als Präsident Harding 1923 unterwegs in Kalifornien starb, war Calvin Coolidge, der Vizepräsident, nicht zu erreichen, wie der Autor Jim Bendat erläutert.

    "Coolidge besuchte seinen Vater in einem Haus in Vermont ohne fließendes Wasser, ohne Elektrizität, ohne Telefon, so dass mitten in der Nacht Boten losgeschickt wurden, Coolidge zu informieren, dass er der neue Präsident sei."

    Vereidigt wurde Calvin Coolidge um 2:47 Uhr, mitten in der Nacht, beim Schein einer alten Kerosinlampe. Der Vater des Präsidenten war als Friedensrichter und Hilfsnotar zur Beglaubigung kleiner Rechtsgeschäfte berechtigt. Und weil der Laden gegenüber bereits Telefon hatte, konnte der Wortlaut der Eidesformel aus Washington durchtelefoniert werden. Nach der regulären Wahl, alle vier Jahre, geht es geordneter zu. Aber auch dann kann es Überraschungen geben.

    20. Januar 1981, unmittelbar vor dem Wechsel der Macht von Jimmy Carter auf Ronald Reagan.

    "Eine Blitzmeldung von United Press um 11.35 Uhr: Die Geiseln sind frei. Wir kennen keine Einzelheiten oder ob es offiziell ist."

    52 amerikanische Botschaftsangehörige wurden seit über einem Jahr in Teheran als Geiseln gehalten. Ein Befreiungsversuch war kläglich gescheitert.
    Walter Cronkite, CBS 1981:

    "Offizielle des Flughafens in Teheran werden zitiert, dass die Geiseln gestartet sind. Nach 444 Tagen Gefangenschaft."
    Es gab wunderliche Dinge am Rande der Amtseinführung. Die wildeste Party aller Zeiten beispielsweise, zu der Andrew Jackson 1829 buchstäblich Hinz und Kunz ins Weiße Haus geladen hatte

    "Und sie kamen in Lumpen und dreckigen Stiefeln; sie zertrampelten das Weiße Haus. Sie zerstörten die Möbel und das Porzellan. Das Fiasko endete, als jemand auf die blendende Idee verfiel, ein paar Kübel Whisky raus auf den Rasen des Weißen Hauses zu bringen. Tatsächlich zogen alle Mann ab."

    Seither sucht man, dem würdigen Anlas gerecht zu werden. Präsident Coolidges Amtseinführung 1925 war die erste, die im Radio übertragen wurde; bei der Vereidigung Herbert Hoovers 1929 war erstmals der Tonfilm dabei.

    "Ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft unseres Landes. Die Aussichten sind glänzend."

    Das klang beruhigend, stimmte aber vorne und hinten nicht. Monate später begann mit dem Börsenkrach in New York die große Weltwirtschaftskrise. 1949 verfolgten zehn Millionen Amerikaner die Vereidigung Präsident Trumans am Schwarz-Weiß-Bildschirm, mehr als bei allen vorangegangenen Amtseinführungen zusammen.

    Die ersten Lautsprecher kamen 1921 bei der Amtseinführung Präsident Hardings zum Einsatz. Auch das war ein Meilenstein. Bis dahin konnten die erste Rede des Präsidenten nur jene verfolgen, die sich in Hörweite befanden. Das waren aber nicht viele. Ein orkanartiger Sturm sorgte 1917 dafür, dass von Woodrow Wilsons Inaugurationsansprache nur der Chefrichter und Wilsons Frau etwas mitbekamen. Der First Lady soll eine unauffällige Flasche Bourbone geholfen haben, die Unbilden der Natur zu überstehen.

    1985 musste die zweite Amtseinführung Präsident Reagans wegen eines Schneesturms im Saal stattfinden; die mit 12.000 Teilnehmern geplante Parade fiel aus.

    Es mag auch an den Durchschnittstemperaturen im Januar liegen, dass neuzeitliche Amtseinführungsansprachen selten länger dauern als 20 Minuten. Diese Inaugural Address ist keine Regierungserklärung und kein Aufgabenkatalog; sie ist - rhetorisch anspruchsvoll - der Versuch, sich der idealistischen Tradition des Landes zu bemächtigen und zugleich den Grundton der neuen Administration anzuschlagen. Witzige Inaugurationsansprachen sind deshalb ausgeschlossen, wie der Historiker Robert Dallek erläutert.

    "Nein, keine Witze. Unsere Präsidenten, das sind unsere Könige und Premierminister. In dem Augenblick werden sie gekrönt, und darüber macht man keine Witze. Die lange demokratische Tradition, die nationale Einheit, die Vereinigten Staaten als Arsenal der Demokratie, als Bastion der Freiheit, das sind wiederkehrende Themen. Trotz der anspruchsvollen Rhetorik ist es oft nur ein einziger Satz, der hängen bleibt; der allerdings für Generationen. Jeder verbindet Franklin D. Roosevelt mit 'Das Einzige was wir zu fürchten haben, ist die Furcht'."

    Oder John F. Kennedy mit: "Frag nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frag, was Du für Dein Land tun kannst." Dieser Satz traf 1961 den Nerv junger Leute, die später als Entwicklungshelfer ins Peace Korps eintraten. Es ist einer von sieben Sätzen aus Kennedys Inaugurationsansprache, die auf der Mauer an seinem Grab auf halber Höhe des Nationalfriedhofs von Arlington verewigt sind. Von hier fällt der Blick auf die Mall, auf Washingtons patriotische Mitte, drei Kilometer lang; an einem Ende das Capitol, am anderen der wuchtige Tempel des Lincoln Memorials. Und in seinem Innern liest man in großen Lettern den berühmten Schluss von Lincolns zweiter Inaugurationsansprache 1865, den Aufruf zur Versöhnung nach dem blutigen Bürgerkrieg.

    "Mit Hass gegen niemanden; mit Wohlwollen für alle; im festen Vertrauen auf das Recht, sofern Gott uns befähigt, es zu erkennen, lasst uns das Werk vollenden - die Wunden der Nation zu verbinden; für den zu sorgen, der den Kampf getragen hat, für seine Witwe, seine Waise - alles zu tun, was einen gerechten und dauernden Frieden unter uns und mit allen Nationen herbeiführen und nähren kann."
    Kurz nach dieser Rede wurde Präsident Lincoln ermordet.

    Worüber wird Präsident Obama sprechen? Dass wieder einmal eine weltweite Wirtschaftskrise zu bewältigen ist, verursacht vom weitgehend unregulierten Kapitalismus in den Vereinigten Staaten? Dass damit die Philosophie der Konservativen gescheitert ist, die am bündigsten Ronald Reagan in seiner ersten Inaugural Address formulierte:

    "In dieser Krise ist die Regierung nicht die Lösung unseres Problems, die Regierung ist das Problem."

    Wird sich Präsident Obama auf Franklin D. Roosevelt berufen, der mit Hilfe zahlloser staatlicher Programme den Weg aus der Krise suchte? Was immer Präsident Obama sagen wird, in die Geschichte eingehen wird dieser Tag auf jeden Fall. Er ist der erste Farbige, der ins Weiße Haus einzieht. Das hat es in den 220 Jahren noch nicht gegeben. Das hat man sich kaum vorstellen können. Zu Beginn seiner Reise diskutierten farbige Amerikaner, ob der Kandidat Obama überhaupt schwarz genug sei; sie zögerten, ihm ihre Stimme zuzusagen, weil Weiße niemals einen Farbigen zum Präsidenten wählen, damals war Obama gefragt worden, ob er denn die Rassengegensätze entschärfen könne.

    "Am Tage meiner Amtseinführung wird das Land anders aussehen; unterschätzt das nicht."

    Das große Staunen ist geblieben, vor allem natürlich im farbigen Teil der Bevölkerung.

    "Wer hätte denn gedacht, ein Schwarzer könnte Präsident sein; nicht zu unseren Lebzeiten."

    Das sagte eine einhundertjährige Frau aus Philadelphia, die in ihrer Nachbarschaft für Obama geworben hatte. Und dann zitierte sie aus dem Dankesschreiben der Obama-Kampagne:

    "Amerika ist der Ort, wo alles, was wir gemeinsam träumen, an dem wir gemeinsam arbeiten, möglich ist."

    Und das glaubst Du, fragt die Reporterin.

    "Jetzt tue ich es!"

    Nach einem langen Leben. Nach 220 Jahren Demokratie. Und kaum jemand, der es kommen sah, hat es wirklich für möglich gehalten.