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"An der Schwelle zu einer möglichen diplomatischen Lösung"

Für den Politologen Walter Stützle ist im Syrien-Konflikt derzeit die interessante Frage, ob Russland und Amerika eine Verständigung herbeiführen können. Von der Androhung militärischer Gewalt hält Stützle nichts, da die Vergangenheit gezeigt habe, dass "solche sogenannten chirurgischen Eingriffe immer fehlgehen".

Walter Stützle im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.09.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Ob es nun eine Panne war oder nicht – feststeht: Der Vorstoß von US-Außenminister Kerry, dass ein Militärschlag vermieden werden kann, falls Syrien binnen einer Woche seine Chemiewaffen aushändigt, hat die Lage an der diplomatischen Front verändert. Moskau und Damaskus haben die Steilvorlage bekanntlich genutzt. US-Präsident Obama hat den Kongress inzwischen gebeten, die geplante Abstimmung über einen Militärschlag zu verschieben, und hat sich in der Nacht mit einer Rede an die Nation gewandt.

    Darüber möchten wir jetzt sprechen mit dem Sicherheitsexperten Walter Stützle, ehemals Chef des Friedensforschungsinstituts SIPRI. Schönen guten Tag, Herr Stützle.

    Walter Stützle: Guten Tag, Herr Heckmann!

    Heckmann: Obama hält also die Kriegsdrohung aufrecht gegen Syrien. Ist das ein richtiger Schritt?

    Stützle: Es ist richtig, den Druck aufrechtzuerhalten. Ich halte persönlich nichts von der Androhung militärischer Gewalt, weil ich diesen Zusicherungen eines sogenannten chirurgischen Eingriffs und der Möglichkeit dazu keinen Glauben schenke. Die Vergangenheit mit militärischen Interventionen hat bewiesen, dass solche sogenannten chirurgischen Eingriffe immer fehlgehen. Aber wir sind ja jetzt an der Schwelle zu einer möglichen diplomatischen Lösung, und die interessante Frage wird sein, ob es Russland und Amerika, den beiden Außenministern morgen in Genf gelingt, eine Verständigung herbeizuführen über das Programm, das jetzt aufgestellt werden muss, und dann die anderen drei ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat dafür zu gewinnen und dann auch Präsident Assad, der ja nun wirklich ein wichtiger Spieler in der Sache ist, Akteur besser gesagt als Spieler.

    Heckmann: Präsident Putin hat aber auch betont, es sei Assad nicht zuzumuten zu verhandeln, während die Waffen auf ihn gerichtet sind. Kann also daran eine diplomatische, eine politische Lösung noch scheitern, dass die Kriegsdrohung aufrechterhalten bleibt?

    Stützle: Es wäre ganz kurzsichtig, wenn sie daran scheiterte. Ich hoffe, die amerikanische Diplomatie ist klug genug, nicht wieder in eine Falle zu gehen, in die sie ja schon mal gegangen sind mit der Erklärung, es werde rote Linien geben, die nicht überschritten werden dürfen, und es hätte uns ja beinahe an den Rand eines militärischen Konflikts geführt. Jetzt gibt es die Chance, dass die syrischen chemischen Waffenbestände, die es ja offensichtlich gibt, deklariert werden können gegenüber der dafür zuständigen Chemiekonvention-Organisation in Den Haag. Jedenfalls ist das die Einlassung des syrischen Außenministers und es wäre ein Jammer, es wäre wirklich ein großes Versäumnis der Diplomatie und der Politik, insbesondere der amerikanischen und der russischen, wenn diese Chance nicht ausprobiert würde.

    Heckmann: Sie sagten es, Herr Stützle: Damaskus ist bereit, Waffeninspektoren ins Land zu holen, die eben den Bestand an Chemiewaffen aufnehmen sollen. Aber wie soll das gehen, mitten in einem Bürgerkrieg?

    Stützle: Eine extrem schwierige Situation. Es bedürfte sicherlich zunächst einmal einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Es bedürfte dann eines Auftrages an die Chemiewaffen-Organisation, die Organisation zur Verhinderung von Chemiewaffen und zur Beseitigung von Chemiewaffen, damit sie ihre Inspekteure in Marsch setzen kann. Das kann nicht geschehen, ohne dass die Inspekteure ein sicheres Geleit haben. Dazu bedürften sie einer syrischen Zusicherung. Ob es in Syrien eine Autorität gibt, die diese Zusicherung geben kann, ist eine derzeit offene Frage.

    Heckmann: Das ist ja genau der Punkt! Der Krieg geht ja weiter, der Bürgerkrieg zwischen den syrischen Truppen und den Rebellen. Kann man denn damit rechnen, dass die Rebellen einfach stillhalten und die Inspektionen machen lassen?

    Stützle: Sie haben ja völlig recht, Herr Heckmann. In Ihrer Frage ist ja implizit der Zweifel eingebaut, ob man sich auf solche Zusagen überhaupt verlassen kann. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass UN-Inspekteure kürzlich in Syrien gewesen sind. Sie sind gefährlichen Situationen ausgesetzt gewesen, das stimmt. Aber sie haben das Land unbeschadet wieder verlassen können und mit Ergebnissen verlassen können, über die wir noch nicht informiert sind. Ich könnte mir denken, dass man Inspektoren auch mit einem besonderen UN-Schutz, der möglicherweise von Blauhelmen garantiert werden müsste, in das Land entsenden könnte. Das müsste eigentlich alles auf diplomatischen Kanälen vereinbart werden können, wenn – und das ist die entscheidende Frage – es in Syrien eine politische Autorität gibt, die das, was der syrische Außenminister angekündigt hat, auch in der Lage ist, tatsächlich umzusetzen. Das wissen wir im Moment nicht.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, Herr Stützle, notwendige Voraussetzung wäre eine Resolution der Vereinten Nationen. Frankreich fordert ja eine UNO-Resolution nach Artikel VII. Das ist also eine Resolution, die Militäraktionen androht, falls sich Damaskus nicht an die Vereinbarungen hält. Moskau aber setzt auf eine Vereinbarung unterhalb einer solchen UNO-Resolution. Wäre das auch ein gangbarer Weg?

    Stützle: Ich denke, zur Vermeidung eines militärischen Konfliktes wäre das ein gangbarer Weg, und ich hoffe, dass insbesondere auch die deutsche Politik auf Frankreich einwirkt, hier keine neue Hürde aufzubauen. Deutschland hat große Verdienste sich erworben, gerade um die Chemiewaffenfrage. Ich darf daran erinnern, dass es ein deutscher Diplomat, Botschafter Wagner war, der 1993 unter seinem Vorsitz dieses schwierige Vertragswerk zustande gebracht hat. Deutschland hat sich mehrfach bewährt, übrigens auch zuletzt 2011 in Libyen. Als es darum ging, undeklarierte Chemiewaffenbestände zu verifizieren, hat Deutschland geholfen, auch mit Geld geholfen. Es wäre jetzt ganz wichtig, dass die deutsche Diplomatie, die ja große Erfahrungen hat bei diesem Thema, mit den französischen Partnern Kontakt aufnimmt und auf sie einwirkt, dass die französische Politik, insbesondere der Präsident hier keine neue Hürde aufbaut. Die Drohung, die er im Kopf hat, käme auch dann noch rechtzeitig, wenn alles andere versagt hat.

    Heckmann: Wenn Assad jetzt seine Chemiewaffen aushändigt, die er ja eh nicht mehr einsetzen kann, ohne einen vernichtenden Schlag zu kassieren, ist dann die Folge, dass der Einsatz des Giftgases im August ungestraft bleiben könnte, und welches Signal könnte davon ausgehen an andere Diktatoren? Hat jetzt jeder einen Schuss frei?

    Stützle: Herr Heckmann, Sie wissen so gut wie ich aus den Diskussionen: Der Begriff der Strafe ist im internationalen Recht ein sehr problematischer und ist im Grunde genommen nicht vorgesehen. Es kann eigentlich nicht darum gehen zu bestrafen, es kann nur darum gehen, Vernunft durchzusetzen. Und wenn am Ende dieses grausamen Vorgangs, den alle zurecht beklagen und verurteilen, die Beseitigung der syrischen Chemiewaffenbestände stünde, dann wäre zwar dieses Opfer nicht gerechtfertigt und der Missbrauch der Chemiewaffen wäre auch nicht gerechtfertigt, aber es wäre besser, als wenn am Ende ein zertrümmertes, durch amerikanische und westliche militärische Operationen zertrümmertes Syrien stünde.

    Heckmann: Der Sicherheitsexperte Walter Stützle live hier im Deutschlandfunk. Herr Stützle, ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.

    Stützle: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.