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"Anbieten von Glücksspiel ist eine normale Dienstleistung"

Das Festhalten am staatlichen Monopol für Glücksspiele wird nach Ansicht des FDP-Europaabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff mit scheinheiligen Argumenten begründet. Im Vordergrund stehe nicht die Bekämpfung der Spielsucht, sondern "die Sucht der Landesfinanzminister nach Einnahmen aus den Lottogesellschaften", sagte Graf Lambsdorff.

    Jochen Spengler: Lotto ist ein riesiges Geschäft: Mehr als acht Milliarden Euro haben die staatlichen Lottogesellschaften in Deutschland im letzten Jahr eingenommen von 25 Millionen Spielern. Gestern nun hat das Bundeskartellamt entschieden, das staatliche Lottomonopol muss gelockert werden. Darüber wollen wir nun mit Alexander Graf Lambsdorff, FDP Europaabgeordneter, sprechen. Auch die EU-Binnenmarktpolitiker interessieren sich für das noch bestehende aber ja bröckelnde staatliche Monopol. Warum eigentlich?

    <im_32262>Graf Lambsdorff, Alexander</im_32262> Lambsdorff: Aus europäischer Sicht ist die deutsche Diskussion manchmal etwas schwierig nachzuvollziehen. Der Europäische Gerichtshof hat bereits vor längerer Zeit festgestellt, dass das Anbieten von Glücksspiel eine ganz normale wirtschaftliche Dienstleistung sei mit bestimmten Suchtelementen, die zu kontrollieren sind. Aber grundsätzlich, weil es eine normale Dienstleistung ist, unterliegt sie dem Europäischen Vertrag und ist damit in ganz Europa frei handelbar. In dieser Sache wird es auch in wenigen Wochen, im Oktober oder November bereits, ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs geben, dass Auswirkungen, mit der Entscheidung des Bundeskartellamts verglichen, noch erheblich weiter gehen werden. Denn dort wird der Europäische Gerichtshof aller Voraussicht nach, das ist natürlich immer etwas unsicher, feststellen, dass ein Inhaber einer Lizenz zum Anbieten von Internetwetten in einem europäischen Land das dann in allen 25 Mitgliedstaaten tun darf. Und das bedeutet, dass damit das Glücksspielmonopol des Staates endgültig in seinen Grundfesten erschüttert sein wird in Deutschland.

    Spengler: Nun hat ja der Staat, haben die Bundesländer das Monopol bislang damit verteidigt, dass die Spielsucht bekämpft werden solle.

    Lambsdorff: Nun, ich glaube, das ist auch aus den Kommentaren zu der Entscheidung gestern deutlich geworden. Es handelt sich hierbei natürlich um eine relativ scheinheilige Begründung. Ein Landesfinanzminister hat ja auch ganz offen zugegeben vor kurzem erst, dass er über das Problem Spielsucht noch überhaupt nichts gehört hatte bis zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Also ich bin der Meinung, dass die Spielsucht bei Lotterie zum Beispiel, auch bei Sportwetten als geringer zu veranschlagendes Problem ist. Es gibt Teile, die die Spielsuchtgefahr eher haben. Das ist zum Beispiel das Spiel am Glücksspielautomaten oder im Kasino. Aber auch die wird ja von den Bundesländern betrieben, insofern ist diese Haltung der Bundesländer, glaube ich, eine vorgeschobene Begründung um auf Zeit zu spielen.

    Spengler: Wenn aber jetzt eine Marktöffnung erfolgt bei den Sportwetten, bei der Lotterie, das bedeutet ja automatisch eine Ausweitung des Angebotes, eine Ausweitung der Werbung. Da kann man doch nicht ausschließen, dass wir dann auch am Ende mehr Spielsüchtige haben werden, oder?
    Lambsdorff: Man kann es grundsätzlich nicht ausschließen, dass es mehr Spielsüchtige gibt. Deswegen kommt es auf eine effektive Aufsicht an. Auch der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass die Spielsucht ein Problem ist, das es zu bekämpfen gilt. Allerdings muss das in einer Form geschehen, die eben nicht durch ein Monopol abgesichert wird. Das Monopol ist eine so scharfe Waffe, dass sie hier in dem Fall, gerade bei Lotterien oder Sportwetten, wo das Suchtpotential gering ist, eben deutlich zu weit geht. Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

    Spengler: Also wir müssen zwei Dinge einmal unterscheiden: Alles ist Glücksspiel, aber wir haben einmal die Sportwetten und dann haben wir die Lotterien. Und das Kartellamt gestern hat nun, wie wir ja auch in dem Bericht eben gehört haben, über Lotterien entschieden. Entschieden, dass private Lottofirmen ohne Behinderung staatliche Lottoprodukte verkaufen dürfen, dass die Lottoscheine künftig nicht mehr nur in den offiziellen Lottoannahmestellen abgegeben werden können, sondern auch anderswo, und dass auch diese strikte Marktaufteilung, die wir in Deutschland haben zwischen den 16 Bundesländern, aufgeweicht werden soll. Reicht das aus europäischer Sicht? Oder muss auch das staatliche Monopol auf Lotto selbst, also auf die Ausspielung selbst abgeschafft werden?

    Lambsdorff: Ich glaube, zum besten Verständnis stellt man sich die Europäische Union einmal wie eine große Bundesrepublik vor, anstatt mit 16, mit 25 Ländern. Das, was das Bundeskartellamt gestern verkündet hat, ist natürlich richtig bezogen auf Deutschland. Und wie gesagt, der Europäische Gerichtshof wird voraussichtlich in wenigen Wochen genau das selbe inhaltlich, aber, wie sie sagen, auch auf den Inhalt des Glücksspiels selber für die ganze Europäische Union beschließen. Das heißt, auch der Inhalt, auch die Dienstleistung als solche, das Anbieten von Glücksspielen wird in Europa vollständig liberalisiert werden. Und der Inhaber einer Lizenz zum Beispiel in England, wo man sehr viel liberaler mit diesem Thema umgeht, kann diese Leistung dann auch in Deutschland anbieten. Genau das ist der Gegenstand der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Da geht es um Italien allerdings, anstatt um Deutschland.

    Spengler: Das heißt, Sie rechnen damit ganz konkret, dass wir in ein paar Jahren in Deutschland nicht nur eine Lottoausspielung haben, sondern dass wir unzählige Lottos haben.

    Lambsdorff: Nehmen Sie Bet and Win, das ist jetzt Sportwetten, ein anderes Segment, aber das kann man auf Lotto genau so anwenden, Bet and Win hat eine österreichische Lizenz und hat sehr lange in Deutschland operiert bis zur Reaktion der Länder auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Stanleybet ist eine britische Firma, die wird ihr Produkt in Deutschland anbieten. Französische, österreichische, spanische Firmen können das selbe tun. Genau das wird passieren. Ich bin der Meinung, dass die deutschen Bundesländer sich so schnell wie möglich überlegen sollten, wie sie sich auf diese neue Lage einstellen sollten, wie sie unter den wahrscheinlich kommenden Rahmenbedingungen im liberalisierten europäischen Glücksspielmarkt reagieren und wie sie in diesem Rahmen eine effektive Suchtbekämpfung und eine effektive Sportförderung sicherstellen. Denn man darf ja eines nicht vergessen, ein Teil der Einnahmen aus dem staatlichen Lottobetrieb gehen ja in die Förderung des Breitensports. Das sollte erhalten werden, denn das ist natürlich ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel, an dem auch niemand rütteln will, wo auch die privaten Anbieter sich bereits bereit erklärt haben zu helfen.

    Spengler: Wobei eben halt gerade in den Breitensport doch Gelder aus der staatlichen Sportförderung gehen, nicht so sehr aus der kommerziellen Sportförderung, die setzt ja doch mehr auf Profivereine. Das heißt, muss man nicht auch sehen, dass dieses staatliche Monopol positive Wirkungen zeitigt?

    Lambsdorff: Die staatlichen Anbieter, das darf man nicht vergessen, sollen ja keineswegs aus dem Markt gedrängt werden, sondern sie müssen den Markt - eben anders als in einem Monopol - teilen mit anderen Wettbewerbern. Sie können Ihre Einnahmen weiterhin so verwenden, wie sie das für richtig halten. Man kann aber auch die privaten Anbieter verpflichten, wenn man das eben rechtzeitig tut und sich nicht immer von den Gerichten treiben lässt, sich an dieser Förderung des Sports zu beteiligen. Im übrigen gibt es Erklärungen der privaten Anbieter, dass sie sich auch an der Förderung des Breitensports beteiligen wollen, also über die Profivereine hinaus gehen wollen.

    Spengler: Sie haben die Bundesländer eben aufgefordert, sich auf die neue Situation, die kommen wird, einzustellen. Bislang haben die Bundesländer sich ja auf eine andere Situation eingestellt. Sie haben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel in Sachsen bwin die Lizenz entzogen. Illegale Wettbuden in Bayern werden geschlossen. Ist das die richtige Konsequenz?

    Lambsdorff: Nein, das ist natürlich eine Vogel-Strauß-Politik, bei der der Kopf in den Sand gesteckt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch ganz deutlich die zweite Alternative aufgezeigt, nämlich das kontrollierte Zulassen von Wettbewerbern im Markt für Glücksspiel unter Berücksichtigung der Suchtgefahr, um sicherzustellen, dass wir europarechtskonforme Regeln in Deutschland haben. Ich bedaure sehr, dass die Länder hier auf Zeit spielen. Ich halte das für ärgerlich. Ich glaube, dass die Sucht, um die es hier geht, die Sucht der Landesfinanzminister nach Einnahmen aus den Lottogesellschaften ist. Die scheint mir hier wirklich im Vordergrund zu stehen.

    Spengler: Dankeschön für das Gespräch. Das war Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Europaabgeordneter.