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"Andi Europäer" von Philipp Löhle am Staatstheater Nürnberg
"Völkerschau" mit versteckten Bösartigkeiten

Was ist hier Satire, und was ist Wirklichkeit? Afrikaner sollen davor abgehalten werden, nach Deutschland zu fliehen. Tatsächlich gab es 2015 Informationsveranstaltungen dazu vom Auswärtigen Amt. In seinem neuen Theaterstück dreht der Nürnberger Hausautor Philipp Löhle das Projekt ins Satirische.

Von Sven Ricklefs | 01.02.2020
Eine Szene aus "Andi Europäer" von Philipp Löhle am Staatstheater Nürnberg. Im Bild: Nicolas Frederick Djuren (Andi), Amadeus Köhli (Tony), Raphael Rubino (Ansgar Bickel) und Stephanie Leue (Heike Landsberg).
"Andi Europäer" von Philipp Löhle am Staatstheater Nürnberg (Konrad Fersterer, Staatstheater Nürnberg)
Einst waren Völkerschauen anthropologische Zurschaustellungen der kolonial unterworfenen Völker, von denen dann Einzelne oder ganze Gruppen in Zoos, im Zirkus oder auf dem Jahrmarkt im wahrsten Sinne des Wortes zur Schau gestellt und begafft wurden. Doch wenn Philipp Löhle nun sein neuestes Stück im Untertitel "Eine Völkerschau" nennt, bezieht sich dieser Begriff ganz sicherlich nicht mehr auf diese Form des kolonialen und menschenverachtenden Größenwahns. Nein: Löhle, der professionelle Satiriker unter den deutschsprachigen Autoren, dreht den Spieß um: Nicht mehr der Afrikaner soll vorgeführt werden, sondern der Deutsche. Philipp Löhle hat die Tatsache, dass das Auswärtige Amt versucht, in Afrika mit Veranstaltungen von der Flucht nach Europa abzuhalten, ins Groteske verdreht: Am Gängelband einer betont verbindlichen Moderatorin präsentiert das Stück vier Prototypen des Deutschseins, an denen vor allem immer wieder das Abschreckende herausgearbeitet werden soll.
Am Schluss der Veranstaltung gibt es einen Kugelschreiber oder ein Stück Seife
Zu Beginn hat Heike, die Moderatorin, die "früher sehr viel mit Kindern gearbeitet hat" alles noch im Griff: Sie will ihr Publikum davon abbringen, nach Deutschland zu kommen. Und am Schluss wird das mit einem Kugelschreiber oder einem Stück Seife belohnt. Auch sich selbst sowie ihre vier Prototypen, die in den vier rollbaren Plexiglaskästen zur Schau gestellt werden, hat sie unter Kontrolle: Die gleich im Triple alleinerziehende ostdeutsche Friseuse, den bayerischen Beamten mit Knick in der Biographie, den Afrodeutschen mit Vorzeigebiographie und auch Andi, den titelgebenden Europäer mit transsexuellen Neigungen.
Dass man seinen Namen im Titel gleich dreifach interpretieren kann, ist nur die erste Pointe in Philipp Löhles hochtourigem Stück. Denn "Andi Europäer" lässt sich zum einen als Name lesen, zum anderen aber auch als Ansprache "An die Europäer" und dann noch als fränkische Variante des "Anti-Europäer". Wie auch immer, die Anti-Europäer-Veranstaltung läuft bald schon aus dem Ruder, was zum einen daran liegt, dass sie sichtbar dilettantisch eingeübt wurde, zum anderen vor allem daran, dass sich zwischen den Protagonisten während ihrer Gastspielreise durch Afrika immer mehr Konflikte aufgestaut haben. Deutsche Konflikte. Innerdeutsche Konflikte: Zwischen Ost und West, zwischen männlich und weiblich oder zwischen denen, die noch nach Worten suchen und denen, die sich schon wieder alles zu sagen trauen.
Gut geöltes Pointenfeuerwerk
Mit "Andi Europäer" erzählt Philipp Löhle nicht etwa über Flucht und Vertreibung sondern über Deutschland, das Deutschsein und wie sich dies vor den Augen eines vermeintlich afrikanischen Publikums selbst entlarvt. Dabei funktioniert das Stück zumindest beim Lesen - wie so oft bei diesem Autor - als gut geöltes Pointenfeuerwerk, das sich zum Schluss in die Groteske steigert. Leider kann Regisseurin Tina Lanik diese Verheißung bei ihrer Uraufführungsinszenierung am Nürnberger Staatsschauspiel nicht wirklich einlösen. Weder hat sie ihr Ensemble zu jener szenischen Dynamik animiert, die Löhle mit seinem Stück vorgibt, noch zündet sie auch nur eine der versteckten Bösartigkeiten der Erkenntnis, mit denen der Autor seinen Text vermint hat. Da herrscht viel Anstrengung, wo eine Leichtigkeit erst in die Tiefe weisen würde, da sieht man förmlich die Herstellung, wo eine gekonnte Mischung aus Nonchalance und Timing gefordert wäre. Und so wartet dieser "Andi Europäer" sicherlich noch auf eine zweite Chance.