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Andrea Nahles mit Mindestlohn-Anträgen zufrieden

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat sich zufrieden mit den Anträgen von mindestens sieben weiteren Branchen für die Aufnahme ins Entsendegesetz geäußert. Nahles sagte, es sei ein großer Erfolg, wenn nun für 1,4 Millionen Menschen ein Mindestlohn komme. Zu den Widerständen aus der Union gegen die Aufnahme der Zeitarbeit in das Entsendegesetz sagte die SPD-Politikerin, es gehe allein darum, ob die objektiven Kriterien für eine Aufnahme erfüllt seien.

    Schütte: Der erhoffte Ansturm auf den Mindestlohn ist ausgeblieben. Weniger Branchen als gedacht haben zum Stichtag gestern die Aufnahme ins Entsendegesetz beantragt. Gemeldet haben sich unter anderem die Zeitarbeit, die Forstwirtschaft, Pflegedienste und Großwäschereien. Weitaus weniger Interesse als die SPD erhofft hatte und das, obwohl sich die Sozialdemokraten mit dem Mindestlohn profilieren wollten. - Am Telefon ist Andrea Nahles, die stellvertretende SPD-Vorsitzende. Guten Morgen Frau Nahles!

    Nahles: Guten Morgen!

    Schütte: Frau Nahles, Ihrer Partei ist ein Wahlkampfthema ein bisschen weggebrochen. Wie enttäuscht sind Sie über diese Schlappe?

    Nahles: Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Ich bin äußerst zufrieden. 1,4 Millionen Menschen werden, wenn die Branchen, die es jetzt beantragt haben, das auch tatsächlich dann beibehalten und wir die Prüfung abgeschlossen haben, einen Mindestlohn bekommen und das halte ich für einen großen Erfolg.

    Schütte: 1,4 Millionen, aber eigentlich waren 4,4 Millionen Beschäftigte angepeilt. Seit wann ist es ein Erfolg, wenn man die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht?

    Nahles: Das ist richtig, dass wir 4,6 Millionen Menschen haben, die weniger als 7,50 Euro verdienen und damit nach meiner Auffassung arm trotz Arbeit sind. Aber das Entsendegesetz war immer nur als erster Schritt gedacht. Wir - also Olaf Scholz, der Arbeitsminister - haben deswegen zwei Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht, nämlich einmal das Entsendegesetz. Das ist jetzt der erste Schritt gewesen, aber der zweite war das Mindestarbeitsbedingungsgesetz und der folgt sogleich. Das heißt, wir sind jetzt auf einem guten Weg.

    Schütte: Trotzdem gibt es da eigentlich kaum etwas zu beschönigen, denn im Sinne einer Profilierung der SPD war dies ein Flop.

    Nahles: Ich kann leider überhaupt nicht Ihre Meinung teilen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Entsendegesetz eine Möglichkeit ist, und zwar eine branchenbezogene Mindestlohnregelung zu machen. Das heißt jede Branche kann in einem gewissen Rahmen auch einen eigenen Mindestlohn festsetzen. Diese Chance haben jetzt immerhin sieben Branchen in Anspruch genommen und wenn wir zum Beispiel den Pflegebereich sehen, dann sind das über 500.000 Beschäftigte. Aber auf der anderen Seite war uns von Vornherein klar, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer beim Entsendegesetz zustimmen müssen, dass es nicht alle Branchen tun werden, dass sich nicht alle einigen können. Deswegen brauchen wir eine gesetzliche Mindestlohnregelung und das bereiten wir gerade vor über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz.

    Schütte: Dennoch, Frau Nahles, man hat den Eindruck die SPD redet sich das ein bisschen schön. Zehn Branchen hätten es eigentlich sein sollen und vor allen Dingen größere, gewichtige Branchen, die dann ins Entsendegesetz hätten aufgenommen werden sollen - eigentlich eben. Nun ist diese Signalwirkung erst mal dahin.

    Nahles: Ich möchte noch mal sagen, dass wir uns nie auf eine Zahl festgelegt haben - der Arbeitsminister nicht, ich nicht.

    Schütte: Aber Herr Struck beispielsweise!

    Nahles: Das ist ja nun auch nicht weit verfehlt mit sieben, acht oder so. Es wird ja auch in Zukunft die Möglichkeit für Branchen geben, dass sie sich melden. Ich sage noch mal: Wir bewegen uns im Rahmen dessen, was wir erwartet haben. Es ist völlig im Bereich dessen, was alle Experten für richtig und erwartungsgemäß auch gedacht haben was kommt.

    Wir werden nicht nachlassen, weil das Problem geht ja nicht weg. Wir haben jetzt erst mal eine ganze Reihe von Branchen; die werden wir ins Entsendegesetz reinbringen. Wir haben gleichzeitig ein zweites Gesetz, was mit der Union vereinbart wurde, und das werden wir auch einbringen. Dann werden wir sehen, dass es hoffe ich schon in diesem Jahr für mehrere Millionen Menschen Mindestlöhne gibt. Das sehe ich als Erfolg. Ich kann überhaupt nicht die Einschätzung teilen, dass nun diese sieben Branchen, die es vorher nicht gab, die einen Mindestlohn wollten, plötzlich ein Flop sein sollen. Im Gegenteil: Ich sehe uns auf einem guten Weg.

    Schütte: Alle Branchen ins Entsendegesetz aufnehmen, die sich gemeldet haben, das wird schwierig, denn der größte Posten ist die Zeitarbeit. Sie beschäftigt knapp 800.000 Mitarbeiter. Aber hier steht die Union auf der Bremse.

    Nahles: Wir werden uns schon an objektive Kriterien halten müssen. Die Union hat ja mit uns im letzten Sommer eine Vereinbarung getroffen. Diese ist für uns ein Kompromiss, dieser Weg über Entsendegesetz und Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Das hätten wir uns auch etwas leichter und einfacher vorstellen können. Aber wir stehen da zu unserer Vereinbarung und das heißt wir wollen das an Kriterien festmachen. Zum Beispiel: Sind die Organisationen, die jetzt einen Antrag stellen, repräsentativ für ihre Branche? Gibt es eine Tarifbindung, die ausreichend ist? Das sind ganz objektive Kriterien. Danach wird auch die Zeitarbeit geprüft und wenn sie diese Kriterien erfüllt, dann sehe ich überhaupt keinen Grund, warum sie nicht in die Entsendegesetzregelung aufgenommen werden soll.

    Schütte: Der Vorteil der Zeitarbeitsbranche ist ja ihre Flexibilität und die Union sagt, wenn die nicht mehr gewährleistet ist, dann gehen Arbeitsplätze durch den Mindestlohn dort verloren. Wie wollen Sie das verhindern?

    Nahles: Die Zeitarbeit boomt und die Arbeitgeber - ich betone - und die Arbeitnehmer haben ja den Antrag gestellt, ins Entsendegesetz aufgenommen zu werden. Das heißt es ist nicht nur eine Meinung, die wir vertreten.

    Schütte: Aber die Union muss da ja zustimmen!

    Nahles: Ja, gut. Aber es ist zunächst mal verwunderlich, dass die Union sich hier sperrt, weil eben beide ja - und das ist doch die Voraussetzung für die Aufnahme ins Entsendegesetz -, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer die Aufnahme beantragt haben. Insoweit kann ich nur allen raten, ruhig Blut zu bewahren, die Kriterien zu prüfen - das werden wir selbstverständlich tun -, ob die Zeitarbeit diesen entspricht. Und wenn ja, dann muss ich allerdings sagen, dann wüsste ich nicht, warum die Union sich dort sperrt.

    Schütte: Sie bleiben, Frau Nahles, beim Mindestlohn als Profilierungsthema der SPD. Wohin soll das führen, zu flächendeckenden Lohnuntergrenzen?

    Nahles: Wieso soll das ein Profilierungsthema der SPD sein? Es ist schön, wenn wir uns profilieren können, aber es geht jetzt erst mal darum, dass wir die Menschen, die von ihrer Arbeit, obwohl sie voll arbeiten, nicht leben können, mit einem Mindestlohn tatsächlich dieses existenzsicherndes Auskommen organisieren können.

    Schütte: Frau Nahles, Entschuldigung! Die SPD hat sich das doch auf die Fahnen geschrieben, nicht die Union.

    Nahles: Ja. Ich möchte aber trotzdem da widersprechen. Sie haben das jetzt mehrfach gesagt: Profilierungsthema der SPD. Darum geht es nicht! Es geht darum, dass Leute einen Mindestlohn bekommen, und wir haben zu wenige, die das bekommen. Sonst hätten wir nicht so viele Leute, die noch zusätzliches Arbeitslosengeld II bekommen. Und ich sage Ihnen klipp und klar: Ja, ich möchte flächendeckend da wo es nötig ist Mindestlöhne haben.

    Schütte: Sprechen Sie dabei für die gesamte Partei?

    Nahles: Ja sicher! Das ist überhaupt gar keine Diskussion.

    Schütte: Da sind Sie aber eigentlich eher an der Linkspartei dran als beim rechten Flügel Ihrer eigenen Partei?

    Nahles: Das ist ein Konsensthema - und zwar eindeutig in der SPD. Das hat mit anderen Parteien in dem Zusammenhang gar nichts zu tun.

    Schütte: Sigmar Gabriel hat gestern angemahnt, bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik dürfe die SPD nicht ihre Kompetenzen verspielen. Das klingt aber nicht so richtig nach flächendeckendem Mindestlohn in Deutschland.

    Nahles: Ich bin mir ganz gewiss, dass Sigmar Gabriel meine Positionen in dieser Frage absolut teilt. Im Übrigen hat er ja Recht: Wir sollten als Volkspartei breit aufgestellt sein.

    Schütte: Mit wem wollen Sie nach der Bundestagswahl den flächendeckenden Mindestlohn denn durchsetzen - mit der FDP?

    Nahles: Das werden wir dann sehen!

    Schütte: Dazu bräuchten Sie zunächst auch noch ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl 2009. Ist das mit Kurt Beck zu erreichen?

    Nahles: Auf jeden Fall!

    Schütte: Frau Nahles, aber Ihre Partei ist derzeit ein bisschen zerstritten über den Umgang mit der Linken und Ihr Parteivorsitzender ist umstritten. Wie lange ist Kurt Beck denn tatsächlich noch zu halten?

    Nahles: Wir hatten gestern Parteigremien. Die Unterstützung für ihn war sehr breit. Es ist sinnvoll, wenn die öffentliche Debatte jetzt sich beruhigt, und genau dazu will ich auch beitragen.

    Schütte: Die öffentliche Debatte sagen Sie. Da sprechen Studien eine andere Sprache. Emnid beispielsweise sagt, 54 Prozent aller SPD-Anhänger wünschen sich einen anderen Vorsitzenden als Kurt Beck. Das ist mehr als die Hälfte. Können Sie das einfach so ignorieren?

    Nahles: Das hat mit ignorieren nichts zu tun. Man muss auch jetzt in eine Dialog-Offensive gehen, weil es hat eine sehr schwierige Entscheidung gegeben. Das ist ja unbestritten; das weiß auch Kurt Beck. Aber ich sehe da absolut die besten Voraussetzungen auch für ihn und uns, dass wir dieses Vertrauenskapital da aufbauen können. Wir haben noch eine ganze Weile bis zur nächsten Bundestagswahl. Die Zeit werden wir positiv nutzen.

    Schütte: Andrea Nahles, stellvertretende SPD-Vorsitzende. Ich danke für das Gespräch.