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Über den Philosophen Hans Blumenberg
Die Gestaltbarkeit der Welt

Der Verlust der religiösen Ordnung und die Idee einer durch den Menschen gestaltbaren Welt hingen für den Philosophen Hans Blumenberg eng miteinander zusammen. In seinem Buch über den Philosophen wirft Andreas Steffens die Frage auf, was dieser Zusammengang für uns heute bedeutet.

Von Leander Scholz |
Andreas Steffens: "Auf Umwegen" und "Aufgehoben"
Andreas Steffens: "Auf Umwegen" und "Aufgehoben" (Foto: © Claudia Scheer van Erp, Buchcover mitte: Arco Verlag, Buchcover rechts: Verlag Königshausen & Neumann)
Sein eigenes Leben hat Hans Blumenberg kaum thematisiert. Wenn er sich öffentlich zu Wort meldete, hat er stets als Philosoph gesprochen. Seine biografischen Erfahrungen sind daher meistens im Hintergrund geblieben, auch die prägenden.
Geboren 1920 in Lübeck, studierte er zunächst katholische Theologie, was er aber aufgrund der jüdischen Abstammung seiner Mutter bald aufgeben musste. In der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft war er gezwungen, sich bei der Familie seiner Frau zu verstecken, um einer drohenden Internierung zu entgehen. Unmittelbar nach Kriegsende setzte er sein Studium fort, nun mit philosophischem Schwerpunkt, wurde promoviert, habilitierte sich und machte eine universitäre Karriere.

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Obwohl ihm die geistige Neubestimmung seiner Zeit ein zentrales Anliegen war, bilden die vorausliegenden Katastrophen keinen Schwerpunkt seines Werks. Dieses scheinbare Missverhältnis nimmt Andreas Steffens nun in seinem Buch „Auf Umwegen. Nach Hans Blumenberg denken“ zum Anlass einer Auseinandersetzung mit dem Philosophen, die die persönlichen und existenziellen Dimensionen seines Denkens hervorhebt. Dabei geht es nicht nur um die Würdigung einer philosophischen Leistung, sondern um ein intellektuelles Vermächtnis, das auch für unsere Zeit und ihre Krisen eine besondere Bedeutung hat. Steffens schreibt aus der Perspektive eines Bewunderers. Bereits im Vorwort berichtet er, wie viel er dem Philosophen Blumenberg zu verdanken hat:
„Daß Philosophie bei so viel Unerträglichem auch ein Werk wie seines hervorbringen konnte, hat dazu beigetragen, daß ich dabeiblieb, trotz vielfacher Desertionen in andere Regionen, trotz oft lange währender mehr als nur widriger Umstände, die es mit sich bringt, sich dem Nachdenken als einer Lebensaufgabe zu widmen.“

Die Geschichte der Selbstbehauptung

Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung ist das Thema der Selbstbehauptung. Hans Blumenberg stellte es 1966 ins Zentrum seines Buchs „Die Legitimität der Neuzeit“. In dieser ersten großen Studie widersprach er der These, dass sich die moderne Welt einer Säkularisierung theologischer Vorstellungen zu verdanken habe. Wo andere eine allmähliche Übersetzung des Jenseits ins Diesseits gegeben sahen, diagnostizierte Blumenberg einen tiefen Bruch, der die Neuzeit vom Mittelalter trennte. Ausgelöst wurde dieser Bruch durch den Zerfall der theologischen Ordnung, der sich in grausamen Religionskriegen äußerte, bis sich eine politische Ordnung herausbildete, die auf der Trennung von Staat und Kirche basierte. Am Anfang dieser Neuordnung aber stand ein Vertrauensverlust. Erst die Einsicht, in einer dauerhaft fremden Welt leben zu müssen, machte das neuzeitliche Programm der Selbstbehauptung möglich. Der Verlust der Welt und ihre Gestaltbarkeit gingen Hand in Hand, wie Steffens formuliert:
„Der Abbau an Weltverbindlichkeit ist der Preis für die Zunahme von Menschenmöglichkeit. Darin liegt der unbereinigte Widerspruch der Neuzeit, die Neueinrichtung der Welt um des Menschen willen als Gleichgültigkeit gegen sie zu betreiben.“

Die Wiederkehr der Fremdheit

In den Debatten der Nachkriegszeit über den notwendigen Neuanfang sahen nicht wenige genau in dieser Gleichgültigkeit den Ursprung der faschistischen Politik. Als Antwort auf den totalitären Staat der Nationalsozialisten setzte sich eine christlich-konservative Wertelehre durch, die ihre Orientierung nicht mehr in erster Linie aus dem Vertrauen in die menschliche Selbstbehauptung bezog. Aber nicht nur mit diesen Positionen stand Blumenberg in Konflikt, sondern auch mit den Vertretern der Frankfurter Schule, die sich angesichts des Holocausts kritisch gegen jede neue Normalität wandten. Vor dem Hintergrund dieser Debatten rekonstruiert Steffens die Auseinandersetzung mit der Neuzeit als eine Reaktion auf Blumenbergs eigene Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Terror. Denn auch das notgedrungene Leben im Versteck war demnach ein Weltverlust, auf den Blumenberg mit einer persönlichen Selbstbehauptung antwortet. Aus diesen existenziellen Spuren im Werk des Philosophen versucht Steffens, eine grundsätzliche Anthropologie zu gewinnen:
„Die Zuspitzung der Weltfremdheit zur Weltlosigkeit ist das Bewußtsein, daß die ursprüngliche Kulturhandlung einer Überwindung der ursprünglichen Fremdheit der Welt zum Menschen nicht ein für alle Male geleistet ist, sondern von jedem Einzelnen wiederholt werden muß und immer wieder scheitern kann.“
Das Thema der Selbstbehauptung gehört weder allein einer bestimmten Epoche an, noch kann es jemals als abgeschlossen gelten. Die junge Bundesrepublik musste ihre Existenz auf eine andere Weise sichern als alle anderen deutschen Staaten zuvor. Und auch wir heute müssen das angesichts eines umfassenden Weltverlusts durch die ökologische Krise tun. In einer Zeit, in der sich manche Umweltaktivisten das Glück der Erde nur noch in einem menschenleeren Planeten vorstellen können, ist es umso wichtiger, eine Idee davon zu entwickeln, wie der Mensch den Planeten bewohnen kann, ohne ihn zu zerstören. In der Erfahrung der Gestaltbarkeit sieht Steffens einen diesseitigen Trost, der uns gegen die Verzweiflung immunisieren kann. Seine Essays über deren Verteidigung bei Hans Blumenberg sind nicht nur äußerst lesenswert, sondern bringen auch eine Einstellung in Erinnerung, die unsere Gegenwart so dringend braucht. Dazu passt auch der Titel eines Bandes mit Aphorismen, den Steffens ebenfalls jüngst vorgelegt hat. Unter der Überschrift „Aufgehoben“ wird dort eine skeptische Haltung vorgeführt, die sich nur selbst davon überzeugen kann, nicht den Mut zu verlieren. Einer der zentralen Aphorismen lautet: „Der Mensch ist eine Idee, die jeder verkörpert, und niemand verwirklicht.“
Andreas Steffens: „Auf Umwegen. Nach Hans Blumenberg denken“
Arco Verlag, Wuppertal. 339 Seiten, 26 Euro.
Andreas Steffens: „Aufgehoben. Aphorismen“
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg. 121 Seiten, 12,80 Euro.