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Andruck kursiv
Neue Zeitschrift "Politikum"

Von Norbert Seitz | 17.08.2015
    Beutelsbach ist eine Gemeinde in Baden-Württemberg. Und der "Beutelsbacher Konsens" ein pädagogischer Grundsatz aus dem Jahre 1976, der die politische Bildung auf das Prinzip der "Kontroversität" statt Indoktrination verpflichtet. In dieser didaktischen Tradition sieht sich auch die neugegründete Vierteljahreszeitschrift "Politikum". Wie Johannes Varwick hervorhebt, Mitherausgeber und Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Luther-Uni in Halle-Wittenberg.
    "'Politikum' verstehen wir als Kontroverse. Und das ist unser zentraler Anspruch: Wir wollen kontroverse Debatten führen. Das heißt, wir haben auch als Herausgeber keine einheitliche Sicht auf die Welt, sondern wir wollen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen lassen. Und das verstehen wir durchaus als "Politikum". Und nicht im Sinne von Skandal, sondern von der Breite der politischen Debatte, und diese abdecken. Wir stellen keinen Konsens am Ende fest oder machen keine Zusammenfassung in dem Sinne, dass wir sagen: Das ist unsere Hauslinie. Das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen Kontroversität im Blatt haben, die für sich selber steht".
    Ein mutiges, ja trotziges Zeitungsprojekt, in einer ansonsten eher absterbenden als aufstrebenden Zeitschriftenwelt ein Periodikum auf den Markt zu werfen, das sich im DIN-A4-Format mit 96 Seiten der politischen Bildung verschrieben hat, ganz ohne Patchwork-Elemente und Online-Ambitionen. Es orientiert sich an sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Kernzielgruppe sind Lehrerschaft und Studierende.
    "Wir wollen aber bewusst keine Internetzeitschrift sein, sondern wir sind der Auffassung, dass es einen Markt dafür gibt, dass Dinge jenseits der Tagesaktualität auch ein bisschen Bestand haben. Und da geht im Internet halt vieles verloren. Es gibt natürlich viele gute Analysen im Internet. Wir haben den Anspruch, dass wir hier etwas Bleibendes schaffen".
    Die Einteilung ist ganz klassisch: Schwerpunkt, Interview-Teil, Pro und Contra, Forum, Termine und Literaturtipps. Und herausgegeben wird "Politikum" vom bildungsorientierten "Wochenschauverlag". Die Auflage liegt mit 3.000 Exemplaren auf dem Level vergleichbarer Zeitschriften.
    "Das Blatt ist vollkommen unabhängig, unabhängig von Verbänden, Parteien, Stiftungen. Der Verlag trägt das Risiko, und der Verlag ist überzeugt, dass er mit diesem Produkt am Markt eben einen Erfolg erzielen kann. Es gibt keinen Sponsor, keinen Gönner, der das ermöglicht".
    Im aktuellen, monothematisch gestalteten Startheft geht es um das Thema: Deutsches Europa oder europäisches Deutschland? Für "Politikum" in diesen Tagen des Griechenland-Debakels eine der zentralen Zukunftsfragen des geforderten Kontinents.
    "Das ist das Spektrum: Es fängt an mit der Aussage des ehemaligen polnischen Außenministers Sikorski, der gesagt hat: Ich fürchte heute deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit bis hin zu Positionen, die sagen: Deutschland ist zum ungeliebten Hegemon in der Europäischen Union geworden. Beide Positionen finden Sie im Blatt. Und wir haben sehr großen Wert darauf gelegt, dass die internationale Perspektive zu Wort kommt."
    Und innenpolitisch möchte das Blatt in einem der nächsten Hefte das "Demokratiemodell Deutschland" auf den Prüfstand stellen, zum Beispiel:
    "... ob wir mehr direkte Demokratie brauchen, ob es so bleiben kann, dass das Bundesverfassungsgericht im Prinzip den Ton der Politik vorgibt oder ob wir eine Rückkehr der Politik in diesen Fragen brauchen, ob die parteipolitische Konstellation, wie sie sich im Nachkriegsdeutschland ergeben hat, von Dauer ist, ob Parteien noch Identifikation stiften können, ob das politische System gewissermaßen zusammenhält".
    "Politikum" ist auf den ersten Blick ein Professorenblatt mit einem akademischen Beirat aus Politologen und Sozialkundlern aus fünf deutschen Universitäten. Von Zweifeln, doch nur den Elitendiskurs zu bedienen, wird Johannes Varwick aber nicht gequält:
    "Unser Maßstab ist, dass wir lesbar sind, aber gleichzeitig wissenschaftlich fundiert. Das ist unser Anspruch: Verdaulichkeit und Tiefe zugleich".
    An der "Verdaulichkeit" darf aber noch ein bisschen gearbeitet werden. Sind doch die Einzelbeiträge immer noch zu breit angelegt. Und Grafiken sicher kein geeignetes Stilmittel für die angestrebte buntere Gestaltung. Zweifel scheinen durchaus angebracht, ob sich solche Printmedien noch gegen Online-Trends werden behaupten können.
    "Wir sind der Überzeugung, dass Print Zukunft hat. Wir glauben an Print. Das gilt für das gedruckte Buch wie für gedruckte Zeitschriften. Und wir hoffen, dass der Verlag und wir da einen langen Atem haben. Und wir brauchen natürlich Abonnenten, aber wir müssen und wollen wachsen, das heißt: Wir müssen am Markt erfolgreich sein".
    Sich Mut machen, lautet also die Devise der hochambitionierten Redaktion von "Politikum". Doch noch ist Beutelsbach mehr eine diskursive Idylle als ein verlegerischer Marktplatz.