Donnerstag, 28. März 2024

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Angela Merkel
Der lange Weg zur vierten Kanzlerschaft

Noch nie stand so viel Zögern am Beginn einer neuen Kanzlerschaft. Das lange Ringen mit sich selbst hat bei Angela Merkel System. Geprägt wurde ihr schwieriger Weg zur vierten Kanzlerschaft aber auch durch das Scheitern in den Sondierungsverhandlungen und den Hass, der ihr im Wahlkampf entgegen schlug.

Von Stephan Detjen | 14.03.2018
    Das Bild zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel am 5.3.2018 im Konrad-Adenauer-Haus.
    Etwas mehr als drei Jahre werden es nach dem langen Weg zur Regierungsbildung noch sein, die Angela Merkel bleiben, wenn sie heute zur Kanzlerin gewählt wird (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
    Oktober 2005. Wenige Tage bevor sie erstmals zur Bundeskanzlerin gewählt wird, gibt Angela Merkel eine Pressekonferenz. Die Korrespondentin der International Herald Tribune staunt damals immer noch über die wundersame Karriere der Frau aus Ostdeutschland, die kurz davor steht, erste Bundeskanzlerin des Landes zu werden.
    "Wirklich: wie geht es Ihnen? Wir sind neugierig! Sehr, sehr neugierig!"
    "Ja, also ich … erstens, mir geht es … mir geht es gut."
    Knapp zwölfeinhalb Jahre später, am vergangenen Montag in der Bundespressekonferenz:
    "Frau Bundeskanzlerin, es ist ja bekannt, dass sie nicht so gerne über Gefühle sprechen. Aber vielleicht können sie uns doch noch einmal sagen, wie es ihnen jetzt damit geht, dass sie doch noch ohne Neuwahlen es geschafft haben, eine Regierung zu zimmern?"
    "Also … ich freu mich … für … vor allem für die Menschen in Deutschland, dass wir aus dem, was sie uns mit der Wahl aufgegeben haben, auch das gemacht haben was sie, glaube ich, auch erwartet haben mit der Abgabe ihrer Stimme, nämlich, dass daraus eine Regierung gebildet wird und das ist jetzt gelungen"
    Zögern und Zaudern am Beginn
    Protestantisches Pflichtgefühl, Dienst am Land, politische Verantwortung klingen da an. Der Zauber des Anfangs aber will sich dieses - das vierte Mal - nicht mehr so recht einstellen. Doch wenn geschichtliche Größe - wie Historiker meinen - auch mit der puren Dauer von Herrschaft und höchster Autorität zusammenhängt, so wird man sie Merkel schon allein deshalb zuschreiben, weil sie heute erreicht, was vor ihr nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl gelang.
    "Natürlich bin ich angetreten - ich habe es mir ja auch damals nicht leicht gemacht - um diese wunderbare Position wieder auch ausfüllen zu können."
    Mit "damals" und "nicht leicht gemacht" meint sie im Rückblick vor einigen Tagen ihre Entscheidung aus dem Spätherbst 2016, noch einmal in den Ring zu steigen. Nie zuvor stand so viel Zögern und Zaudern am Beginn einer neuen Kanzlerschaft.
    "Ich habe sprichwörtlich unendlich viel darüber nachgedacht. Die Entscheidung für eine vierte Kandidatur ist nach elf Amtsjahren alles andere als trivial."
    Hang zu ausgedehnten Entscheidungsphasen
    Das lange Ringen mit sich selbst hat bei Merkel System.
    "Bei mir ist das so, ich brauche lange und die Entscheidungen fallen spät."
    Schon in früheren Zeiten - und vor tatsächlich trivialeren Herausforderungen - kokettiert Merkel gerne mit ihrem Hang zu ausgedehnten Entscheidungsphasen.
    "Wenn ich nicht fertig gedacht habe, kann ich nicht entscheiden."
    "Kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten"
    Im Fall ihrer vierten Kandidatur ahnt Merkel schon früh, dass ihre Entscheidung sie selbst dieses Mal vor neue und unberechenbare Herausforderungen stellen wird.
    "Diese Wahl wird wie keine zuvor - jedenfalls seit der deutschen Einheit nicht - schwierig."
    Und schwierig wurde der Weg zur vierten Kanzlerschaft in vielerlei Hinsicht: Wut und Hass schlugen ihr im Wahlkampf auf den Marktplätzen entgegen. Der Sieg wirkte mehr verstörend als aufputschend auf die Partei und ihre Chefin.
    "Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten - aber wenn ich nun auch dafür verantwortlich bin … in Gottes Namen."
    Historisch schließlich der lange Weg zur Regierungsbildung mit scheiternden Sondierungsverhandlungen an deren Ende der Bundespräsident - ebenfalls wie nie zuvor in der Bundesrepublik - als treibende Kraft im Zentrum der politischen Bühne steht.
    "Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen. Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält."
    Neugierde als politische Antriebskraft
    Was treibt Angela Merkel wirklich an, wenn ihr die Verantwortung heute noch einmal in die Hände gegeben?
    "Eine Eigenschaft habe ich irgendwie mitbekommen: Ich bin bislang jedenfalls unglaublich neugierig."
    Hatte sich Merkel vor dreieinhalb Jahren bei der Feier ihres 60. Geburtstages selbst charakterisiert. Krisen, Herausforderungen und unlösbar scheinende Probleme beschreibt sie immer wieder als Chance, lernend den eigenen Wissensdurst zu stillen. Und auch als sie im November 2016 ihre Entscheidung zur vierten Kandidatur verkündete, nannte Merkel ihre Neugierde als politische Antriebskraft.
    "Ich hab mir Gedanken gemacht, wie viel Erfahrung kannst Du einbringen, wie viel Neugierde hast Du auch auf die Gestaltung der nächsten vier Jahre."
    Etwas mehr als drei Jahre werden es nach dem langen Weg zur heutigen Regierungsbildung noch sein, die Merkel bleiben. Nach der Kanzlerwahl im Bundestag wird Frank Walter Steinmeier ihr um 11 Uhr in Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde überreichen. Für 12 Uhr ist - wieder im Bundestag - die Eidesleistung terminiert.