Dienstag, 16. April 2024

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Angela Merkel im Wahlkampf
Zwischen Zustimmung und blankem Hass

Nie zuvor ist wohl ein Bundeskanzler so wenig kämpferisch in die Wiederwahl gestartet. Weltweit wird Angela Merkel als letzte Gralshüterin humanitärer Werte gefeiert, im eigenen Land hat das Bild der vertrauenswürdigen Krisenmanagerin tiefe Risse erhalten - die ihr im Wahlkampf als Wut, Zorn und niedere Emotionen entgegenschlagen.

Von Stephan Detjen | 18.09.2017
    Die aus Damaskus geflohene Ghalia Badr macht ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in deren Wahlkreis in Stralsund
    Die aus Damaskus geflohene Ghalia Badr macht ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in deren Wahlkreis in Stralsund (dpa / picture-alliance / Jens Büttner)
    Im Garten des Kanzleramts am Berliner Spreebogen hebt der Super-Puma-Hubschrauber der Bundespolizei ab – und Angela Merkel verwandelt sich. Aus der Bundeskanzlerin wird die Wahlkämpferin. Merkel durchmisst das Land auf Marktplätzen, in Fußgängerzonen, Festhallen und Bierzelten. Gestern in Binz an der Ostsee, am Freitag in Trier und Dillingen an der Saar, davor in Lingen an der Ems, in Bad Fallingbostel und Augsburg.
    "Meine Damen und Herren, der große Moment ist gekommen. Bitte begrüßen Sie mit uns die Vorsitzende der CDU Deutschland, unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel."
    Die Kanzlerin zauderte
    Noch vor zwölf Monaten hatte Merkel mit sich selbst gerungen, ob sich noch einmal auf dieses Wagnis einlassen solle. Die Kanzlerin zauderte. Selbst engste Weggefährten waren in ihr inneres Ringen nicht eingebunden und zunehmend verunsichert, je länger sie die Entscheidung hinauszögerte. Rückblickend gestehen auch Vertraute zu, dass sie ernsthaft mit Gedanken gespielt habe, nicht noch einmal anzutreten.
    "Ich habe sprichwörtlich unendlich viel darüber nachgedacht: Die Entscheidung für eine vierte Kandidatur ist nach elf Amtsjahren alles andere als trivial."
    Offenbarte Merkel, als sie am 20. November letzten Jahres schließlich ihre vierte Kanzlerkandidatur erklärte. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Kanzler so wenig kämpferisch und mit so geradezu demonstrativ zur Schau gestellten Selbstzweifeln in das Rennen um das höchste Regierungsamt in Deutschland gestartet.
    "Die Bundestagswahl 2017 wird schwierig. Sie wird wahrlich kein Zuckerschlecken - mit einer starken Polarisierung unserer Gesellschaft und mit Anfechtungen von allen Seiten."
    Extremer Gegenwind
    "Angela Merkel musste im Herbst des vergangenen Jahres diese Perspektive auch sehen: 'Es gibt hier extremen Gegenwind für eine ganz zentrale Entscheidung meiner Regierungspolitik'", sagt Roberto Heinrich, Projektleiter für Wahlforschung beim Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap.
    Der Sommer 2015 und ihre Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik waren zu einem Wendepunkt in der Wahrnehmung Merkels geworden. Weltweit wurde die deutsche Regierungschefin als letzte Gralshüterin humanitärer Werte in der Politik gefeiert. Im eigenen Land aber hatte das in der Finanz- und Eurokrise gefestigte Bild der vertrauenswürdigen Krisenmanagerin tiefe Risse erhalten.
    "Unionsinterner Streit eingefriedet"
    Umso erstaunter registrierten Parteistrategen in CDU und CSU, wie rasant Merkel im Laufe der ersten Hälfte des Wahljahres selbst die in den Himmel geschossen Popularitätswerte ihres sozialdemokratischen Herausforderers wieder überflügelte.
    "Das Merkel Bild ist positiv, bundesweit betrachtet; allerdings erreicht sie auch nicht ihre Popularitätswerte von 2013", erklärt Meinungsforscher Heinrich. "Was sich hier - glaube ich - gezeigt hat, ist, dass sich im Frühjahr dieses positive Bild durchsetzte: 'Uns Deutschen geht es doch eigentlich gut'. Wir haben eine positive wirtschaftliche Situation. Sie hat auch profitiert, glaube ich, von einer Repositionierung in der Flüchtlingspolitik. Es gab doch Signale, dass man wieder restriktiver auftritt. Abschiebung war ein Thema. Sie hat auch davon profitiert, dass der unionsinterne Streit zwischen CDU und CSU gerade in der Flüchtlingspolitik, dass der eingefriedet war, so dass ihre persönlichen Werte und auch die Werte der Union im Frühjahr wieder nach oben gingen."
    Demonstranten protestieren in Finsterwalde gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ein Mann trägt dabei einen Aufkleber "Merkel muss weg" auf der Stirn.
    Demonstranten protestieren in Finsterwalde gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ein Mann trägt dabei einen Aufkleber "Merkel muss weg" auf der Stirn. (dpa / picture-alliance / Ralf Hirschberger)
    Die Kanzlerin rolle im Wahlkampf-Schlafwagen einem vorprogrammierten Sieg entgegen, glaubten Beobachter noch vor wenigen Tagen. Angela Merkel selbst aber dürfte in diesem Spätsommer schon früher als vielen Beobachtern deutlich geworden sein, dass dieser Wahlkampf tatsächlich ganz anders werden würde als alle früheren.
    "Über Finsterwalde muss man wissen, dass wir die einzige Sängerstadt in Deutschland, abgeleitet von dem Sänger-Lied 'Wir sind die Sänger von Finsterwalde'", sagt Rainer Genilke, Abgeordneter im brandenburgischen Landtag und Vorsitzender des CDU Ortsverbandes in Finsterwalde.
    "Eine kleine Stadt mit 16.000 Einwohnern, natürlich durch den Strukturwandel in besonderer Weise geprägt. Aber nichtdestotrotz eine Stadt, die Industrie hat, die Handwerk hat, die lebenswert ist, auch liebenswert ist."
    Am 6. September machte Angela Merkel auf ihrer Wahlkampftour Halt in Finsterwalde. Zwei Mal war sie in früheren Wahlkämpfen schon hier gewesen. In diesem Wahlkampf aber war alles anders.
    (Pfiffe) "Merkel muss weg! Merkel muss weg! Merkel muss weg!"
    Wütender Protest und offener Hass
    Auch bei anderen Auftritten im Osten Deutschlands war Merkel in den vorangegangenen Wochen wütender Protest und offener Hass entgegengeschlagen. In Finsterwalde aber war die Stimmung noch aggressiver als zuvor. Der CDU Ortsvorsitzende Genilke erinnert sich:
    "Die Polizei sprach von etwa zwei-, zweieinhalbtausend Menschen, die auf dem Marktplatz versammelt haben. Die Kanzlerin wurde wie immer von der Südseite des Marktplatzes zur Bühne geleitet vom Fraktionsvorsitzenden der CDU und Landesvorsitzenden. Und sie wurde schon in diesem hinteren Bereich des Marktplatzes mit 'Heil Hitler'-Grüßen begrüßt von NPD und AfD-Leuten und von diesen identitären Reichsbürgern, was auch immer für eine Suppe sich dort zusammen gebraut hatte. Das ist schon ein Phänomen, das erstaunt einerseits, diese Aggressivität bis hin zu Volksverhetzung und 'hau ab' und all diese Geschichten."
    Merkels Strategie: ignorieren
    (Pfiffe) "Merkel muss weg! Merkel muss weg! Merkel muss weg!"
    Trillerpfeifen und hasserfüllte Sprechchöre gehören in diesem Sommer zum denkwürdigen Sound von Angela Merkels Wahlkampfauftritten im Osten. Die CDU-Chefin hat sich eine Strategie dafür ausgedacht: ignorieren.
    "Liebe Einwohner von Finsterwalde, liebe Gäste aus der Umgebung. Ich freue mich, heute hier zum dritten Mal in Finsterwalde zu sein."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel redet während einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Finsterwalde
    Bundeskanzlerin Angela Merkel redet während einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Finsterwalde (dpa / picture-alliance / Ralf Hirschberger)
    Für Helmut Kohl war Protest bei seinen Auftritten einstmals ein geradezu willkommener Stimmungsmacher: Kohl spielte Katz und Maus mit seinen Gegner, verhöhnte sie im Wissen, dass seine Lautsprecher die stärkeren waren und der Spott des Kanzlers über die "linken Schreihälse" wie Aufputschmittel für seine CDU-Leute wirkte.
    Merkel dagegen spult mit grimmiger Miene ihre knapp 40-minütige Standard-Wahlkampfrede ab. Mit zusammengekniffenen Augen blickt sie hier und da in die Menge, als versuche sie, Quelle und Ausmaß des Getöses auf dem Marktplatz auszumachen. Nur einmal gibt sie zu erkennen, dass sie tatsächlich wahrnimmt, was sich vor ihr abspielt:
    "Denn es geht ja um ihr Leben. Um ihr Leben in den nächsten vier Jahren und jeder und jede auf dem Platz, sofern sie zu hören und nicht nur schreien, hat eine Vorstellung davon, hat ja Vorstellungen, hat Träume, hat Sorgen: wie geht mein Leben weiter? Und wie wollen wir uns die nächsten vier Jahre erarbeiten und erfolgreich gestalten? Und wir von der Christlich-Demokratischen Union, wir bieten Ihnen ein Programm an …"
    "Abgeordneter der AfD stand im Kreise der NPD"
    Während die Kanzlerin über dezentrale Verwaltungsstrukturen und die Zukunft Europas doziert, erleben die Wahlkampfhelfer aus Rainer Genilkes CDU-Ortsverband im hinteren Teil des Marktplatzes Szenen roher Gewalt:
    "Naja, der Abgeordnete der AfD, der für den Bundestag antritt, stand im Kreise der NPD. Und die NPD waren im Übrigen die, die kleinen Kindern die Schilder aus der Hand gerissen haben, aus der Hand geschlagen haben, ganz aggressiv auch gegen unsere eigenen Mitglieder vorgegangen ist, bis hin zur Androhung: wenn wir die Macht haben, werden wir euch aufschlitzen, ist wörtlich so gefallen."
    Projektionsfläche von Wut, Zorn und niederen Emotionen
    Wie nie zuvor wird Angela Merkel in diesem Wahlkampf zur Projektionsfläche von Wut, Zorn und niederen Emotionen. Die Aggression richtet sich nur gegen die Person der Bundeskanzlerin, sagen Wahlforscher. Das Wahlergebnis am kommenden Sonntag werde eine vertiefte Kluft im Demokratie- und Gesellschaftsverständnis in Ost und West offenbaren.
    Ist aber der Hass auf Merkel, der sich hier Bahn bricht, tatsächlich nur ein rein ostdeutsches Phänomen? Eine Stichprobe im tiefen Süden weckt Zweifel an dieser These. Eine Woche nach dem Auftritt von Finsterwalde reist Merkel ins bayerische Rosenheim. Die Stadt nahe der deutsch-österreichischen Grenze war vor zwei Jahren einer der Brennpunkte der Flüchtlingskrise. Hunderte, manchmal tausende von Flüchtlingen kamen täglich im Spätsommer 2015 mit Zügen aus dem Süden auf dem Bahnhof von Rosenheim an.
    "Der Regionalzug aus Kufstein. Alles voll, alles voll, hoffentlich geht da ich jetzt keine Tür auf. Aber dann läuft alles ganz ruhig. Name, Alter, Herkunftsland – das versuchen die Bundespolizisten jetzt herauszubekommen. 'Which country are you coming? All Eritrea?' Wie sie geflüchtet sind, wer ihre Schleuser waren – für diese Fragen und für eine ordentliche Registrierung fehlt den Beamten schlicht die Zeit. Frustrierend."
    Bundesinnenminister de Maizière und EU-Kommissar Avramopoulos sprechen mit Flüchtlingen in Rosenheim.
    Bundesinnenminister de Maizière und EU-Kommissar Avramopoulos sprechen am 17. September 2015 mit Flüchtlingen in Rosenheim. (picture-alliance / dpa / Günter Schiffmann)
    Zwei Jahre danach sitzt Klaus Stöttner in einem Café in der Innenstadt von Rosenheim. Stöttner ist seit 15 Jahren Vorsitzender des CSU-Kreisverbandes Rosenheim-Land und bayerischer Landtagsabgeordneter. Er ist stolz darauf, wie man die Herausforderungen des Jahres 2015 in seiner Heimat gemeistert habe.
    "Die Menschen hatten schon Angst, Unsicherheit. Aber der Landkreis Rosenheim hat das natürlich elegant durch dezentrale Unterkünfte gut gemanagt. Dadurch ist ein enormer Helferkreis entstanden, der wiederum unheimlich viele Ängste weggenommen hat, dass es nicht so tragisch ist, diesen Menschen auch Hilfe zu geben. Deswegen ist die Stimmung bei uns in vielen Punkten sehr positiv gewesen."
    Für die CSU eine mehrfache Herausforderung
    Wohncontainer und Fertighäuser für Flüchtlinge inmitten adretter Dörfer, dunkelhäutige Radfahrer auf gepflegten Radwegen am Rande des Bundesstraßen, Frauen mit Kopftüchern gehören mittlerweile zum Bild Oberbayerns im Rosenheimer Umland. Für die CSU ist das eine mehrfache Herausforderung.
    Ihre Anhänger begegnen der Situation nicht nur mit Kritik an der Kanzlerin und dem Ruf nach einer Obergrenze. Viele christsoziale Parteigänger engagieren sich zugleich in den örtlichen Helferkreisen, die sich landauf landab in Bayern gebildet haben.
    "Es ist ein Phänomen, dass die ganzen Konservativen bei den Helferkreisen zu finden sind, nicht links oder nicht nur grün. Sondern eine ganze gemischte Palette. Und die fühlen sich jetzt dadurch auch ernster genommen bei ihrer Tätigkeit."
    Der Spuk von Rechtsaußen
    Die wirtschaftliche Lage in Rosenheim, das Angela Merkel an diesem Nachmittag besuchen wird, ist auf den ersten Blick eine ganz andere, als die in Finsterwalde, wo sie eine Woche zuvor so wütend empfangen wurde. Stadt und Umland blühen im weiteren Speckgürtel Münchens. Arbeitslosigkeit ist seit Jahren kein Thema mehr. Die Kassen der Kommunen sind prall gefüllt. Ende der 80er-Jahre aber war das auch hier noch anders.
    "Wir hatten in Kolbermoor - Kolbermoor war eine Spinnerei-Stadt mit viel Arbeiterbewegung - wir hatten damals 27 % Republikaner-Anteil mit Schönhuber damals. War phänomenal. War einmalig in ganz Bayern damals."
    Bei der Europawahl im Juni 1989 hatten die Republikaner in Bayern 14,6 Prozent der Stimmen erhalten. Rosenheim und das damals strukturschwache Umland war eine der Hochburgen der Rechtsextremisten um den ehemaligen Waffen-SS-Mann und Fernsehjournalisten Franz Schönhuber. Der Spuk war nach einigen Jahren weitgehend vorbei. Doch in diesem Jahr stehen Klaus Stöttner und die Rosenheimer CSU erneut vor einer handfesten Konkurrenz von Rechtsaußen.
    "Der Herr Winhart war früher ein Mitglied der Jungen Union und hatte damals schon Zeichen der Respektlosigkeit gegenüber jemandem, der ein Amt hat, das er gerne haben würde."
    Andreas Winhart, Bundestagsdirektkandidat der AfD für den Wahlkreis Rosenheim
    Andreas Winhart, Bundestagsdirektkandidat der AfD für den Wahlkreis Rosenheim (Deutschlandradio / Stephan Detjen)
    Der respektlose Herr Winhart ist heute Bundestagskandidat der AfD im Wahlkreis Rosenheim. Während sich seine einstigen Parteifreunde von der CSU auf den Besuch der Kanzlerin vorbereiten, steht der 34-Jährige in englischer Segeltuchjacke vor einem Supermarkt in Bruckmühl, einer industriell geprägten Gemeinde auf halber Strecke zwischen München und Rosenheim und verteilt Werbezettel für die AfD. Andreas Winhart hat seine Version der Entfremdung von der CSU.
    "Sympathiewelle schlägt uns gerade so richtig entgegen"
    "Auf der anderen Seite war die CSU damals und ist es auch heute noch hier vor Ort hauptsächlich ein großer Klüngelverein. Das war eine reine Farce. Und da war nicht mehr die eigene politische Meinung gefragt, da wurde nicht mehr diskutiert, sondern es war eigentlich nur noch reinsetzen, zwei Weißbier trinken, danach Gruppenfoto mit dem Staatsminister XY – und das war es dann auch."
    Das "Reichenhaller Tagblatt" titelt am 9. September: "Strauß soll für AfD werben: Sohn wehrt sich"
    Das "Reichenhaller Tagblatt" titelt am 9. September: "Strauß soll für AfD werben: Sohn wehrt sich" (Deutschlandradio / Sebastian Döring)
    Winhart ist zuversichtlich. Am Morgen hat das "Oberbayerische Volksblatt" von einer Wahlprognose berichtet, nach der die AfD im Wahlkreis Rosenheim ein Rekordergebnis erzielen und hier als zweitstärkste Kraft vor der SPD landen könnte.
    "Aktuell ist es bunt gemischt. Die Sympathiewelle schlägt uns gerade so richtig entgegen. Das macht Spaß. Das tut gut. Es kommen alle Schichten der Gesellschaft, alle Gruppen der Gesellschaft zu uns. Wir haben viel Kontakt zu Rentnern logischerweise, wir haben viel Kontakt auch zur jungen Generation. Was mich auch persönlich immer freut ist, dass auch viele Bürger mit Migrationshintergrund auch mal zu uns kommen, sich das mal anhören, wo das Problem bei uns liegt, für was wir jetzt wirklich stehen, die sich da wirklich aus erster Hand informieren. Vom politischen Spektrum hier kommt eigentlich alles - vom ehemaligen SPD-Wähler bis zum eingefleischten CSUler, - kommt eigentlich alles zur AfD mittlerweile."
    Keine Brüllerei wie im Osten
    Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt steht ein Lkw mit großem AfD-Aufdruck. Winhart und seine Wahlkampfhelfer wollen damit am Nachmittag nach Rosenheim fahren, um am Rande von Angela Merkels Wahlkampfauftritt eine Gegenveranstaltung zu organisieren. Es solle ganz sachlich zugehen, verspricht Winhart, keine Brüllerei wie im Osten. Es wird aber anders kommen. In Rosenheim ahnt das bereits Daniel Artmann, der Geschäftsführer des örtlichen CSU-Verbandes, der den Auftritt der Bundeskanzlerin vorbereitet. Artmann weiß, dass Schlagzeilen der Regionalmedien erst vor zwei Tagen wie frisches Wasser auf die Mühlen der Stimmungsmacher bei der AfD wirkten:
    "Und wir haben natürlich die Situation, dass leider jetzt zum zweiten Mal hier bei uns in Rosenheim über einen Flüchtling, einen abgelehnten Asylbewerber eine Vergewaltigung stattgefunden hat, am Simssee bei uns."
    "2015 hat auch hier seine Spuren hinterlassen"
    Für Daniel Artmanns Wahlkampfmanagement sind solche Meldungen reines Gift. Der CSU-Mann hat sich in den letzten Monaten bemüht, den labilen Burgfrieden seiner Partei mit der Bundeskanzlerin zu stabilisieren. Er hat vor allem diejenigen im Blick, die gerade hier nach wie vor mit der Politik Merkels im Sommer 2015 hadern.
    "Aus dem Grund ist es natürlich schon auch wichtig, dass die Kanzlerin heute hier ist. Aber natürlich: 2015 hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Und deswegen sind natürlich alle ganz gespannt, was die Kanzlerin heute sagen wird."
    Wahlkampfveranstaltung der CSU in Rosenheim
    Wahlkampfveranstaltung der CSU in Rosenheim (Deutschlandradio / Stephan Detjen)
    Als Angela Merkel schließlich am frühen Abend auf dem Max-Josef-Platz in Rosenheim steht, herrscht dort eine Atmosphäre wie bei ihren Auftritten im Osten Deutschlands. Trillerpfeifen, AfD-Plakate und -Schilder mit der Aufschrift "Merkel hasst Deutschland" werden hochgehalten. Die Kanzlerin hält sich an ihre Strategie – Routinewahlkampf.
    "Und ich möchte die Gelegenheit auch heute nutzten, den hauptamtlichen Verantwortlichen, aber auch den Ehrenamtlern ein herzliches Dankeschön sagen, die damals angepackt haben, zum Teil noch bis heute anpacken, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank dafür. Sie haben vielen Menschen geholfen."
    Schrilles Pfeiffkonzert der Merkel-Hasser
    Ob die nüchtern vorgetragene Dankadresse an die Rosenheimer Flüchtlingshelfer genügt, den Erklärungsbedarf der CSU-Anhänger zu befriedigen, bleibt im schrillen Pfeiffkonzert der Merkel-Hasser und AfD-Leute offen:
    "Das sind die einzigen, die klare Kante gegen diesen Migrationswahnsinn zeigen!"
    "Ich finde es unmöglich, dass die sämtliche Kriminelle hier reingelassen hat. Ich meine, die können doch nicht alle nach Deutschland kommen, nur weil es denen nicht so gut geht in ihrem Land!"
    Zumindest diese Demonstranten in Rosenheim sind keine abgehängten Globalisierungsverlierer. Cornelia Kreutz aus Prien am Chiemsee ist Krankenschwester, ihr Mann Friedrich Kreutz Chirurg am örtlichen Krankenhaus.
    "Unter Franz Josef Strauß hätt's das alles nicht gegeben"
    "Unter Franz Josef Strauß hätte es das alles nicht gegeben. Er hätte die Grenzen dicht gemacht. Der hätte die bayerische Bundeswehr hingeschickt, der hätte Lager eingerichtet, so wie das auch geplant war.
    Anna und Mutter Cornelia sind Fans von Angela Merkel (bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rosenheim)
    Anna und Mutter Carolin sind Fans von Angela Merkel (Deutschlandradio / Stephan Detjen)
    Nur ein paar Meter weiter spielt sich auf dem Rosenheimer Marktplatz ein ganz anderes Drama ab. Am Rande der Wahlkampfbühne steht eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Beide haben zur Feier des Tages ihre Festtagsdirndl angezogen. Das Mädchen weint bitterlich. Die kleine Anna wollte unbedingt mit der Bundeskanzlerin sprechen und zeigen, wie gut sie bayerisch kann.
    "Anna, sag auf bayrisch, was du hast. Sie ist ein großer Fan von Merkel. Zu Merkel sprechen, hallo."
    Anna und ihre Mutter Carolin sind tief schwarz. Aus Kenia sei sie vor vier Jahren nach Bayern gekommen, erzählt die junge Frau strahlend:
    "Ich liebe Bayern. Habe die Ehre, Servus, grüß Gott."
    "Beste Mutti der Welt"
    Und zumindest hier hat Angela Merkel auch an diesem Abend einen Fan - ohne jedes wenn und aber gefunden.
    "Oh Merkel, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich ohne Ende. Ich mog di, auch ich mag dich, weil du bist die Kanzlerin, beste Mutti der Welt, das gibt."
    Angela Merkel ist da bereits auf dem Weg zum nächsten Wahlkampfauftritt. Vorher haben sie auf der Bühne die Bayernhymne gesunden. Auch Angela Merkel hat die Lippen dazu bewegt. Aber es war nicht zu erkennen, ob sie mehr als die Zeile singen konnte: "Gott mit Dir, Du Land der Bayern".