Wagener: Herr Geißler, wie neu ist Ihre Entscheidung? Wann haben Sie diese getroffen?
Geißler: Die ist nicht sehr neu.
Wagener: Wie neu?
Geißler: Das ist auch keine Überraschung. Ich bleibe ja in der Politik. Ich kandidiere nicht mehr für den Bundesvorstand, aber ich konzentriere mich jetzt auf die parlamentarische Arbeit, auf den deutschen Bundestag und meine Arbeit im Wahlkreis. Ich habe jetzt meinen Dienst für den Neuanfang der Partei geleistet.
Wagener: Wie würden Sie diesen definieren? Genau mit diesem Satz werden Sie nämlich zitiert.
Geißler: Ich glaube, dass ich mit dafür gesorgt habe, dass wir die schlimmste Krise, die die CDU erlebt hat, gut bewältigen konnten durch eine klare Arbeit der Aufklärung, der Verantwortung der Partei gegenüber, einer Beendigung des Personenkultes, dem wirklichen Krebsübel der Partei in den letzten Jahren, weil die innerparteiliche Demokratie ja doch sehr gelitten hat. Ich konzentriere mich jetzt auf die inhaltliche Arbeit und erwarte das auch von der neuen Parteivorsitzenden, die ich immer als den richtigen Vorschlag angesehen habe.
Wagener: Irgendwie scheint sich ja diese verhängnisvolle Entwicklung der letzten Monate in der CDU durchaus positiv auszuwirken. Die Partei wird nun umstrukturiert, sie wird modernisiert und auch ein Stück Willensbildung von unten ist zu registrieren. Ist der Neuanfang durch diese unglaubliche Krise jetzt sehr viel schneller umgesetzt worden als auch Sie das erwartet haben?
Geißler: Die personelle Erneuerung an der Spitze sicher, aber ob es eine wirkliche Erneuerung wird, das wird sich ja noch herausstellen. Es geht ja nicht nur darum, dass nun eine neue Parteivorsitzende kommt, sondern wir brauchen auch eine Erneuerung in den Köpfen. Angela Merkel ist deswegen auch zu unterstützen. Alle Dokumente, die Sie in ihrer Verantwortung vorgelegt hat, berufen sich zur Begründung der Politik auf unser Fundament, das christliche Menschenbild. Das machen nicht mehr alle. Viele reden von der CDU als einer konservativen Partei, was ein völliges Missverständnis dessen ist, was wir sind. Wir sind christliche Demokraten. Daraus müssen aber auch die Konsequenzen gezogen werden. Es verbietet sich zum Beispiel, wenn man sich auf das christliche Menschenbild beruft, dass Computerspezialisten aufgerechnet werden gegen politisch verfolgte. Das ist mit dem Grundsatzprogramm der CDU nicht zu vereinbaren. Das Asylrecht ist und muss auch in der Zukunft gerade für christliche Demokraten ein heiliges Recht sein, das man nicht antasten darf.
Wagener: Dort wird es innerhalb des Unionslagers keine neuen Konfrontationen geben?
Geißler: Das weiß nicht. Es gehört auch ein ganz klares Bekenntnis zur Verteidigung der Menschenrechte dazu. Es ist auch ein ganz wichtiger Punkt, dass wir unsere Außenpolitik weiter an der Europäischen Union orientieren, dass wir eine politische Union wollen. Darin müssen wir uns von anderen unterscheiden. Deswegen wird die Frage, ob es in der CDU eine Erneuerung gibt, vor allem auch von den Inhalten abhängen. Da muss noch einiges getan werden.
Wagener: Im Kampf um die Spitze oder um die Führung der Partei sind ja die Kontrahenten Frau Merkels im Laufe der Auseinandersetzung irgendwie verlustig gegangen. Ist das gut so? Vor dem Parteitag ist ja de facto eigentlich schon die Entscheidung gefallen.
Geißler: Zur Demokratie gehört auch die Freiheit, nicht zu kandidieren. Ich gebe ja selber ein Beispiel dafür. Die personelle Auseinandersetzung, wenn man sie vermeiden kann, kann auch etwas Negatives haben. Das hätte nicht sein müssen, das ist richtig, aber es ist ja ein demokratischer Prozess von unten, von der Basis her gewesen. Deswegen glaube ich, dass es nicht nur ein richtiges Ergebnis war, sondern es war auch der richtige Stil, der endlich eingeführt worden ist, dass man aufgehört hat, die Leute von oben zu bevormunden.
Wagener: Frau Merkel wird nun eine Parteivorsitzende der besonderen Art werden, wenn man mal die letzten Jahrzehnte innerhalb der CDU Revue passieren lässt. Sie wird eine Vorsitzende ohne Kanzleramt sein, sie wird kein Ministerpräsidentenamt inne haben und sie wird keinen Fraktionsvorsitz haben. Es fehlt ihr aber offensichtlich noch eine Struktur innerhalb der Partei. Wie bewerten Sie diese Ausgangsposition?
Geißler: Das birgt bestimmte Risiken.
Wagener: Mehr Risiken als Chancen?
Geißler: Nein, es hat auch große Chancen, denn die CDU-Führung hat ja auch in der Vergangenheit immer darunter gelitten, dass gleichzeitig Rücksicht genommen werden musste auf Koalitionspartner. Dadurch ist die Gefahr entstanden - und dies ist ja dann auch Wirklichkeit geworden -, dass die Programmatik der CDU verwischt wurde, nicht mehr deutlich geworden ist. Das hat sich am besten gezeigt in der letzten Legislaturperiode durch die Rücksichtnahme auf die Neoliberalen in der FDP, mit ein Grund für das Scheitern des Bündnisses für Arbeit und der Tatsache, dass wir die Auseinandersetzung um den Sozialstaat verloren haben, was nachher bei der Bundestagswahl mit ein Ergebnis gewesen ist oder sich als solches niedergeschlagen hat. Als Parteivorsitzende ohne Amt ist sie freier, die Programmatik der CDU mit einem klaren Profil zu vertreten. Genau das ist es, was die CDU braucht, aber eben auch eine geistig-moralische Erneuerung. Ich habe gerade von der letzten Legislaturperiode geredet. Mit dem christlichen Menschenbild verträgt sich natürlich auch nicht eine ungehemmte shareholder-value-Mentalität, die über Leichen geht. Wir müssen als christliche Demokraten unseren Beitrag dazu leisten, dass wir eine internationale soziale Marktwirtschaft bekommen.
Wagener: Mit Frau Merkel kommen nun noch wesentlich andere Neuheiten mit ins Spiel. Sie ist eine Frau an der Spitze der Partei, sie kommt aus dem Osten, es ist eine Protestantin und darüber hinaus ist sie auch noch jung. Ist die Partei damit automatisch schon moderner als andere oder was muss noch flankierend hinzukommen?
Geißler: Auf jeden Fall ist es für andere Parteien schon eine große Herausforderung. Ich glaube nicht, dass von der Struktur viel hinzukommen muss. Es kommt immer darauf an, wer die Aufgaben wahrnimmt. Sie braucht einen guten Generalsekretär. Das ist etwas ganz entscheidendes. Da bin ich gespannt auf ihren Vorschlag.
Wagener: Dort haben Sie noch keine Idee?
Geißler: Ich hätte schon Ideen.
Wagener: Die wollen Sie uns nicht verraten?
Geißler: Die unterbreite ich jetzt nicht dem Deutschlandfunk.
Wagener: Bei aller Sympathie und bei aller wohlwollenden medialen Begleitung für Frau Merkel hin zu diesem Spitzenamt, die CSU hat offensichtlich immer noch Probleme mit ihr. Wird sie sich arrangieren oder gibt es noch eine kleine Kurskorrektur seitens Frau Merkel?
Geißler: Sie ist deswegen von Anfang an auch meine Kandidatin gewesen, weil ich sie kennen gelernt habe als eine mutige Frau, die nicht überall hin Verrenkungen macht. Das muss sie auch gar nicht tun, sondern sie kann sich wirklich an unsere Programmatik, an unsere Grundsätze, an unsere Wertvorstellungen halten und auf der Basis dieses Fundaments eine moderne Politik machen. "Mitten im Leben" war ja ein Entwurf von ihr als Aussage und das bedeutet, dass man die CDU programmatisch modern vertreten kann, so dass es den Wertvorstellungen der heutigen Menschen entspricht und nicht denen von gestern.
Wagener: Das Noch-Vorstandsmitglied der CDU war das, Heiner Geißler. - Vielen Dank für das Gespräch!
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