Samstag, 20. April 2024

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Angerer zu Protesten in den USA
"Mir geht es so nahe, was hier gerade alles passiert"

Die frühere deutsche Nationaltorhüterin Nadine Angerer lebt in Portland in den USA und bekommt die Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus hautnah mit. Es sei "schockierend", wie Schwarze in den USA benachteiligt sind, sagte die Torwarttrainerin der Portland Thorns im Dlf. Es sei wichtig, dass die Proteste nicht aufhören, denn es "müssen sich Dinge ändern", sagte sie.

Nadine Angerer im Gespräch mit Astrid Rawohl | 02.08.2020
Die frühere deutsche Nationaltorhüterin Nadine Angerer arbeitet im Trainerstab der Portland Thorns
Die deutsche Ex-Nationaltorhüterin Nadine Angerer arbeitet im Trainerstab der Portland Thorns und ist für die Torhüterinnen zuständig. (imago sportfotodienst/Brad Smith)
Die ehemalige deutsche Nationaltorhüterin Nadine Angerer hat in den USA ein überraschendes Comeback gegeben. Die 41-jährige Torwarttrainerin der Portland Thorns, musste wegen Verletzungssorgen im Klub wieder als Ersatztorhüterin ihrer Mannschaft auf der Bank Platz nehmen.
Der Frauenfußball war in den USA mit dem Challenge Cup aus der Corona-Pause gestartet. Aber Portlands eigentliche Stammtorhüterin, Adrianna Franch, fiel mit einer Knieverletzung aus. Bella Bixby sprang zu Beginn des Challenge Cups ein, verletzte sich aber am Kreuzband. Damit blieb nur noch die letzte gesunde Thorns-Torhüterin Britt Eckerstrom, die aktuell zwischen den Pfosten steht. Angerer kehrte als Ersatz zurück in den Kader, obwohl die deutsche Ex-Nationaltorhüterin 2015 ihre Karriere beendet hatte.
"Angel City? Ich finde das richtig, richtig gut"
Angerer begrüßte im Dlf auch die Überlegung, dass im kalifornischen Los Angeles ein neues Frauenfußball-Team entstehen soll, welches den Namen "Angel City" erhalten wird. Mit dieser Mannschaft soll die National Women's Soccer League (NWSL) ab 2022 erweitert werden. Eine ganze Reihe an Hollywood-Größen, ehemalige US-Fußballerinnen und andere weibliche Prominente, haben sich zusammengetan, um das Projekt zu realisieren.

US-Schauspielerin Natalie Portman, Hollywoodgröße Jessica Chastain, Tennis-Star Serena Williams und die frühere Fußball-Nationalspielerin Mia Hamm sind nur einige der prominenten Namen, die am Projekt Angel City beteiligt sind. "Ich finde das richtig, richtig gut", sagte die frühere deutsche Nationaltorhüterin Nadine Angerer im Dlf. "Endlich mal wieder ein Verein an der Westküste. Bisher gibt es ja nur Seattle und Portland", sagte die zweifache Weltmeisterin. "Das hebt den Wert der Liga enorm."
Die Schauspielerin Natalie Portman auf dem roten Teppich
Die Schauspielerin Natalie Portman will ein Frauen-Fußballteam in Los Angeles etablieren (imago stock&people)
Hollywood, Glamour, Sportstars - der Fokus sollte auf dem Sportlichen bleiben
Angerer glaubt, dass ein Team in Los Angeles einen besonderen Reiz vor allem für Spielerinnen aus dem Ausland haben könnte. Ihre Bedenken seien aber, ob aufgrund der ganzen Prominenten und Hollywoodgrößen bei "Angel City" der Fokus auch auf den sportlichen Belangen liege und ob eine junge Spielerin ausreichend Möglichkeiten zur sportlichen Weiterentwicklung finden werde.
Eine Collage der Aktionen gegen Rassismus der Bundesliga-Spieler Jadon Sancho (Borussia Dortmund), Weston McKennie (Schalke) und Marcus Thuram (Borussia Mönchengladbach).
Sportler und Polizeigewalt in den USA - “Wir sind besser als das”
Die Proteste von Sportlern in und außerhalb der USA gegen die Polizeibrutalität gegenüber Afroamerikanern haben die Züge einer Bewegung – auch mit einer Solidarität zwischen den Ausrüsterfirmen Nike und Adidas.
Angerer sprach auch über die Politisierung des Frauenfußballs in den USA, angeführt von US-Nationalmannschaftskapitänin Megan Rapinoe, die sich für die Gleichberechtigung der Frauen einsetze und offen Missstände, wie Rassismus oder Homophobie kritisiere. Fußball sei die Frauensportart Nummer 1 in den USA, sagte Angerer. Sie finde es bemerkenswert, dass die Spielerinnen so meinungsstark seien und ihre Bedeutung als Sportikonen auch politisch auf der Sportbühne nutzen würden, um auf Missstände hinzuweisen.
"Mir geht es so nahe, was hier gerade alles passiert"
Denn eigentlich wachse man im Sportsystem in dem Glauben auf, dass man sich auf seinen Sport konzentrieren solle und zu politischen Themen am besten nichts sage. Sie finde es gut, wenn auch Sportler auf Missstände hinweisen und eine politische Haltung haben. "In Deutschland wird das viel zu wenig gemacht", kritisierte Angerer. Es sei einfacher Sportler zu führen, die nicht aufmucken und sich im System unterordnen. Sie persönlich lasse sich ungern in ein System hereinzwängen, äußere gerne ihre Meinung, lasse aber auch andere Meinungen zu.
Ein Puck bei einem NHL-Spiel in den USA
NHL-Proteste gegen Rassismus – „Die weiße Liga“
Die Eishockey-Liga NHL gilt als "weiße Liga", denn nur 43 schwarze Spieler stehen derzeit auf dem Eis. Bisher hatte sich die NHL beim Thema Rassismus zurückgehalten. Doch der Tod von George Floyd scheint nun für einen Sinneswandel zu sorgen.
Sie empfinde es als "absolut richtig", dass die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA aufflammen und weiter gehen. "Es müssen sich Dinge ändern", sagte Angerer. Die ehemalige Nationaltorhüterin berichtete auch, dass man viele Dinge erst richtig verstehe, wenn man in den USA lebe. "Mir geht es so nahe, was hier gerade alles passiert", sagte sie. Wenn man sich mit den schwarzen Spielerinnen unterhalte und beschäftige, dann realisiere man erst, wie Schwarze in den USA benachteiligt sind. "Das ist schockierend."
"Ich bin froh in Portland zu leben"
"Ich war naiv. Ich dachte, ich wäre wirklich liberal. Ich sehe mich auch immer noch als liberal und politisch links. Aber mir wird immer mehr bewusst, wie privilegiert ich bin. Mir tut das total leid. Und bei mir liegt es daran, dass ich nicht genug aufgeklärt war und dass ich mich nur oberflächlich über Dinge informiert habe", sagte Angerer nachdenklich. "Ich bin froh in Portland zu leben, wo es nach zwei Wochen nicht aufgehört hat und dass demonstriert wird, bis sich was ändert", sagte Angerer. Die Missstände müssten immer wieder angesprochen werden.

Portland, die Hauptstadt des Bundesstaates Oregon war zuletzt in den medialen Fokus gerückt, als die landesweiten Proteste nach der Tötung des Schwarzen George Floyd durch Polizisten in dieser Stadt ihren Höhepunkte fanden und seitdem anhalten. Die Situation eskalierte, als die von US-Präsident Donald Trump entsandten Bundespolizisten in Portland ohne Vorwarnung oder Ausweisung ihrer Behörde und Person damit begannen, Demonstranten wahllos zu verhaften.