Düvel: Guten Morgen.
Spengler: Herr Düvel, wird der Vorstand heute wirklich die Urabstimmung beschließen?
Düvel: Ich gehe davon aus.
Spengler: Wann könnte es dann zum Streik kommen?
Düvel: Das wird dann voraussichtlich mit Monatsbeginn Juni passieren.
Spengler: Voraussetzung ist, dass 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der Urabstimmung zustimmen. Glauben Sie, Sie bekommen diese 75 Prozent, denn Walter Riester, der ehemalige Arbeitsminister und IG-Metall-Vizechef glaubt das nicht?
Düvel: Wir glauben das ganz sicher. Sonst würden wir diesen Weg so nicht gehen. Es geht hier um die verbandsgebundenen Betriebe. Die sind in einer guten Verfassung. Insofern sind wir da ganz sicher.
Spengler: Warum ist Ihnen die 35-Stunden-Arbeitswoche so wichtig?
Düvel: Sehen Sie, es geht dabei um den letzten Schritt der Angleichung der Osttarifverträge an West. Wir haben immer noch bei der Arbeitszeit eine Drei-Stunden-Differenz, das in Betrieben, die in guter Verfassung sind, die gute Ergebnisse haben. Es ist nach 13 Jahren Einheit nicht einzusehen, dass man diese Gerechtigkeitslücke weiter schiebt, weiter offen hält. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich als Menschen zweiter Klasse.
Spengler: Aber gibt es denn diese Gerechtigkeitslücke zwischen West und Ost überhaupt, wenn man weiß, dass in Westdeutschland fast 80 Prozent aller Arbeitnehmer länger als 35 Stunden tariflich fixiert arbeiten?
Düvel: Das ist so nicht richtig. Im Westen ist die längere Arbeitszeit begründet durch eine andere Verteilung der Arbeitszeit, durch höhere Betriebsnutzungszeiten. Wenn man das dann über die Ausgleichsrechnung übers ganze Jahr betrachtet, sind die Betriebe im Westen im Durchschnitt 35 Stunden.
Spengler: Die Metallbetriebe aber nur?
Düvel: Ich rede hier ja auch nur von Metallbetrieben und von unseren Tarifgebieten. Nichts anderes steht im Moment zur Diskussion.
Spengler: Aber kann man das eigentlich, weil wenn Sie eine Gerechtigkeitslücke zwischen West und Ost schließen wollen, dann reißen Sie doch andererseits eine neue auf, wenn man weiß, dass 65 Prozent aller ostdeutschen Arbeitnehmer, also jetzt über die Metallbranche hinaus, eine Wochenarbeitszeit von 39 bis 40 Stunden haben?
Düvel: Sie haben immer Unterschiede. Auch in Westdeutschland ist das so. Wenn man über die gesamten Branchen in Westdeutschland guckt, dann haben auch längst nicht alle tariflich oder anders die 35-Stunden-Woche. Es hängt mit der erheblichen Produktivität zusammen. Ich habe gelernt, dass Arbeitgeber und Ökonomen in anderen Zusammenhängen, wenn es um Lohnerhöhung geht, immer davon reden, dass Produktivitätsfortschritte auch entsprechend bei Tariferhöhungen verteilt werden. Jetzt auf einmal gilt dies nicht mehr. Also Sie sehen, dass unsere Gegner immer die Argumente wenden, wie sie gerade passen.
Spengler: Nun sagen ja Ihre Gegner, die Arbeitgeber, es gibt immer noch eine Produktivitätslücke im Osten. Die müsse erst geschlossen werden, ehe man an die Arbeitszeitverkürzung gehen könne.
Düvel: Sehen Sie, das ist auch ein verzerrtes Bild. Gesamtwirtschaftlich gesehen gibt es dort eine größere Differenz - das ist korrekt -, aber das ist nicht in Ordnung. Sie wissen, dass wir hier in Bauwirtschaft und ähnlichen Bereichen ein verzerrtes Bild haben. Wir sind bei den Betrieben, um die es hier geht, die zum Tarifgebiet gehören, bei etwa 90 Prozent Produktivität zu 100 Prozent im Westen. Das muss man aber im Zusammenhang sehen mit Effektivverdiensten, die in Gänze erst bei 70 Prozent zu West liegen. Insofern ist das eine falsche Argumentation. Für uns sind die wichtigsten Faktoren überhaupt - das ist immer so in der Tarifpolitik - die Zuwächse bei der Produktivität und vor allem die Lohnstückkosten. Bei den Lohnstückkosten sind wir inzwischen bei durchschnittlich 10 Prozent günstiger wie Westdeutschland angelangt. Weil das so ist, muss ein kleiner Teil von diesem Vorteil auch da sein für den endgültigen Vollzug der Angleichung.
Spengler: Sie sagen also, dass diese im Prinzip 8 Prozent Lohnerhöhung - das hat jedenfalls das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet, dass diese drei Wochenstunden weniger Arbeit etwa 8 Prozent Lohnerhöhung ausmachen - verkraftbar sind für die ostdeutschen Metallbetriebe?
Düvel: Ganz sicher! Jetzt muss man das aber auch relativieren. Erstens haben wir eine stufenweise, eine schrittweise Angleichung gefordert. Die drei Stunden fallen nicht auf einmal an und nicht jetzt und gleich. Insofern verteilt sich das über einen längeren Zeitraum. Gleichzeitig läuft ja weiter eine Produktivitätsentwicklung. Insofern ist die Darstellung so erst mal falsch. Außerdem sind sich alle Experten darüber einig, dass der rechnerische Effekt nicht eins zu eins durch Arbeitsplatzersatz wieder zu Stande kommt. Wir rechnen mit 50 bis 60 Prozent rechnerisch. Das heißt wir reden hier allemal nur über rund 4,5 Prozent, und die wie gesagt gestreckt über etliche Jahre. Wichtiger Punkt ist: wir laufen zur Zeit weiterhin nach vielen Jahren, wo es auch so war, mit 6 bis 9 Prozent Produktivitätsentwicklung. Das heißt wenn überhaupt nichts passiert und wir nicht von großem Wachstum ausgehen können, dann ist jeder fünfte Arbeitsplatz in den nächsten Jahren gefährdet. Das heißt von den guten zu wenigen Arbeitsplätzen gibt es auch noch das Problem des Arbeitsplatzabbaus.
Spengler: Aber riskieren Sie das denn jetzt nicht noch mehr, dass es jetzt noch zu einem größeren Arbeitsplatzabbau kommen könnte?
Düvel: Nein. Sehen Sie doch mal: wenn wir diese zusätzlichen immensen Gewinne, die vor allem auch Konzernbetriebe, die ja Ableger haben, in den Betrieben lassen, dann führt doch das dort nicht dazu, dass mehr Arbeitsplätze kommen. Im Gegenteil: das sind ja die Betriebe mit der hohen Produktivität, die deshalb Personal abbauen werden, wenn wir nicht durch Arbeitszeit gegensteuern. Das Problem in Ostdeutschland sind nicht die Arbeitsplätze, die wir in der Industrie haben. Wir haben zu wenig und wenn wir mehr wollen, dann müssen wir das mit intelligenten innovativen Produkten anzetteln. Dazu braucht man aber gute Leute, Fachleute. Die dürfen nicht mehr abhauen in den Westen. Das geht nicht, wenn wir hier weiter Billiglohnland bleiben. Da brauchen wir ein Image, was auf Hightech ausgerichtet ist. Das setzt aber voraus, dass die Angleichung so schnell als möglich vollzogen wird.
Spengler: Gibt es denn diese Abwanderung von Leistungsträgern wirklich noch? Wo finden die denn im Westen noch Arbeit?
Düvel: Wir haben im vergangenen Jahr 100.000 Abwanderer gehabt. Das sind keine Arbeitslosen, sondern das sind vornehmlich junge und das sind vor allem Leistungsträger. Die gehen aus Arbeitsplätzen heraus. Jetzt machen die zwar für den nächsten Arbeitsplätze frei, aber es ändert nichts daran, dass es Leistungsträger sind. Zweites Problem ist: wir haben mit der Wende einen starken Geburtenrückgang in Ostdeutschland gehabt. Der wächst sich jetzt aus. 2006 werden wir deutlich weniger Schulabgänger haben. Wenn beide Tatbestände so weiterlaufen, jetzt hohe Abwanderung, dann ab 2006 wenig Schulabgänger, kriegen wir ein Problem, eine Fachkräftelücke. Dies können wir nicht wollen, wenn wir hier ausgerichtet sind auf einen hochwertigen Hightech-Standort.
Spengler: Ich verstehe Sie richtig, dass Sie glauben, dass die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden Arbeitsplätze in Ostdeutschland sichert?
Düvel: Sie führt vor allem im Moment dazu, dass wir die vorhandenen Arbeitsplätze sichern. Sie führt dazu, dass unser Standort-Image besser wird. Mit Billigstandort können sie keine hochwertige Industrie entwickeln. Sie führt dazu, dass wir auch in Ostdeutschland weg kommen von der hohen Relation Transfereinkommen. Wir brauchen mehr Arbeitnehmer, die echte Einkommen haben, die auch dem Staat Lohn- und Einkommensteuer bringen, die die Kommunen wieder besser in Gang bringen. Bei öffentlichen Investitionen für Infrastruktur haben wir in Ostdeutschland einen Rückstand von 700 Milliarden. Wir müssen also etwas tun. Sonst geht das hier im Osten nicht weiter.
Spengler: Herr Düvel, nun behaupten die Arbeitgeber genau das Gegenteil. Sie sagen, es wird zu Entlassungen kommen. Ist Ihr Problem nicht, dass Sie Unternehmen zwar mit einem Streik zur 35-Stunden-Woche zwingen könnten, aber Sie können sie nicht dazu zwingen, neue Arbeiter einzustellen oder auf Entlassungen zu verzichten, oder sogar zwingen, nicht Pleite zu gehen?
Düvel: Ja, aber sehen Sie mal: wenn ich VW, Siemens und wie sie alle heißen noch höhere Sondergewinne in Ostdeutschland lasse, was ändert das dann an der Arbeitsplatzsituation in Ostdeutschland? - Überhaupt nichts! Das ist nicht das Problem. Wir brauchen eine breitere Substanz, und die geht nur, wenn man das so macht, wie ich es aufgeführt habe. Wichtiger Punkt für uns ist vor allem aber auch, dass erkannt wird, dass wir bei dieser Forderung A - das habe ich schon gesagt - von stufenweiser, schrittweiser Einführung reden. B haben wir immer gesagt - das sind im übrigen die Argumente der Arbeitgeber, die wir aufgreifen -, dass dies auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten stattfinden kann. Das heißt, dass die ertragsstärkeren Betriebe diesen Zeitplan schneller gehen wie das große Feld der Betriebe und dass man denen, die in der Tat noch Problemlagen haben, durch individuelle Lösungen längere Zeitpläne zubilligt. Das wird immer verschwiegen. Im übrigen ist es interessant, dass zu dieser Betrachtung, auch Ertragsabhängigkeit zu berücksichtigen, die Arbeitgeber Nein sagen. Das müssen die mir auch mal erklären, wie sie ihre grundsätzliche Differenzierungsargumentation nun auf einmal anders herum drehen.
Spengler: Danke Ihnen für das Gespräch! - Das war der IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel.
Link: Interview als RealAudio
Spengler: Herr Düvel, wird der Vorstand heute wirklich die Urabstimmung beschließen?
Düvel: Ich gehe davon aus.
Spengler: Wann könnte es dann zum Streik kommen?
Düvel: Das wird dann voraussichtlich mit Monatsbeginn Juni passieren.
Spengler: Voraussetzung ist, dass 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der Urabstimmung zustimmen. Glauben Sie, Sie bekommen diese 75 Prozent, denn Walter Riester, der ehemalige Arbeitsminister und IG-Metall-Vizechef glaubt das nicht?
Düvel: Wir glauben das ganz sicher. Sonst würden wir diesen Weg so nicht gehen. Es geht hier um die verbandsgebundenen Betriebe. Die sind in einer guten Verfassung. Insofern sind wir da ganz sicher.
Spengler: Warum ist Ihnen die 35-Stunden-Arbeitswoche so wichtig?
Düvel: Sehen Sie, es geht dabei um den letzten Schritt der Angleichung der Osttarifverträge an West. Wir haben immer noch bei der Arbeitszeit eine Drei-Stunden-Differenz, das in Betrieben, die in guter Verfassung sind, die gute Ergebnisse haben. Es ist nach 13 Jahren Einheit nicht einzusehen, dass man diese Gerechtigkeitslücke weiter schiebt, weiter offen hält. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich als Menschen zweiter Klasse.
Spengler: Aber gibt es denn diese Gerechtigkeitslücke zwischen West und Ost überhaupt, wenn man weiß, dass in Westdeutschland fast 80 Prozent aller Arbeitnehmer länger als 35 Stunden tariflich fixiert arbeiten?
Düvel: Das ist so nicht richtig. Im Westen ist die längere Arbeitszeit begründet durch eine andere Verteilung der Arbeitszeit, durch höhere Betriebsnutzungszeiten. Wenn man das dann über die Ausgleichsrechnung übers ganze Jahr betrachtet, sind die Betriebe im Westen im Durchschnitt 35 Stunden.
Spengler: Die Metallbetriebe aber nur?
Düvel: Ich rede hier ja auch nur von Metallbetrieben und von unseren Tarifgebieten. Nichts anderes steht im Moment zur Diskussion.
Spengler: Aber kann man das eigentlich, weil wenn Sie eine Gerechtigkeitslücke zwischen West und Ost schließen wollen, dann reißen Sie doch andererseits eine neue auf, wenn man weiß, dass 65 Prozent aller ostdeutschen Arbeitnehmer, also jetzt über die Metallbranche hinaus, eine Wochenarbeitszeit von 39 bis 40 Stunden haben?
Düvel: Sie haben immer Unterschiede. Auch in Westdeutschland ist das so. Wenn man über die gesamten Branchen in Westdeutschland guckt, dann haben auch längst nicht alle tariflich oder anders die 35-Stunden-Woche. Es hängt mit der erheblichen Produktivität zusammen. Ich habe gelernt, dass Arbeitgeber und Ökonomen in anderen Zusammenhängen, wenn es um Lohnerhöhung geht, immer davon reden, dass Produktivitätsfortschritte auch entsprechend bei Tariferhöhungen verteilt werden. Jetzt auf einmal gilt dies nicht mehr. Also Sie sehen, dass unsere Gegner immer die Argumente wenden, wie sie gerade passen.
Spengler: Nun sagen ja Ihre Gegner, die Arbeitgeber, es gibt immer noch eine Produktivitätslücke im Osten. Die müsse erst geschlossen werden, ehe man an die Arbeitszeitverkürzung gehen könne.
Düvel: Sehen Sie, das ist auch ein verzerrtes Bild. Gesamtwirtschaftlich gesehen gibt es dort eine größere Differenz - das ist korrekt -, aber das ist nicht in Ordnung. Sie wissen, dass wir hier in Bauwirtschaft und ähnlichen Bereichen ein verzerrtes Bild haben. Wir sind bei den Betrieben, um die es hier geht, die zum Tarifgebiet gehören, bei etwa 90 Prozent Produktivität zu 100 Prozent im Westen. Das muss man aber im Zusammenhang sehen mit Effektivverdiensten, die in Gänze erst bei 70 Prozent zu West liegen. Insofern ist das eine falsche Argumentation. Für uns sind die wichtigsten Faktoren überhaupt - das ist immer so in der Tarifpolitik - die Zuwächse bei der Produktivität und vor allem die Lohnstückkosten. Bei den Lohnstückkosten sind wir inzwischen bei durchschnittlich 10 Prozent günstiger wie Westdeutschland angelangt. Weil das so ist, muss ein kleiner Teil von diesem Vorteil auch da sein für den endgültigen Vollzug der Angleichung.
Spengler: Sie sagen also, dass diese im Prinzip 8 Prozent Lohnerhöhung - das hat jedenfalls das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet, dass diese drei Wochenstunden weniger Arbeit etwa 8 Prozent Lohnerhöhung ausmachen - verkraftbar sind für die ostdeutschen Metallbetriebe?
Düvel: Ganz sicher! Jetzt muss man das aber auch relativieren. Erstens haben wir eine stufenweise, eine schrittweise Angleichung gefordert. Die drei Stunden fallen nicht auf einmal an und nicht jetzt und gleich. Insofern verteilt sich das über einen längeren Zeitraum. Gleichzeitig läuft ja weiter eine Produktivitätsentwicklung. Insofern ist die Darstellung so erst mal falsch. Außerdem sind sich alle Experten darüber einig, dass der rechnerische Effekt nicht eins zu eins durch Arbeitsplatzersatz wieder zu Stande kommt. Wir rechnen mit 50 bis 60 Prozent rechnerisch. Das heißt wir reden hier allemal nur über rund 4,5 Prozent, und die wie gesagt gestreckt über etliche Jahre. Wichtiger Punkt ist: wir laufen zur Zeit weiterhin nach vielen Jahren, wo es auch so war, mit 6 bis 9 Prozent Produktivitätsentwicklung. Das heißt wenn überhaupt nichts passiert und wir nicht von großem Wachstum ausgehen können, dann ist jeder fünfte Arbeitsplatz in den nächsten Jahren gefährdet. Das heißt von den guten zu wenigen Arbeitsplätzen gibt es auch noch das Problem des Arbeitsplatzabbaus.
Spengler: Aber riskieren Sie das denn jetzt nicht noch mehr, dass es jetzt noch zu einem größeren Arbeitsplatzabbau kommen könnte?
Düvel: Nein. Sehen Sie doch mal: wenn wir diese zusätzlichen immensen Gewinne, die vor allem auch Konzernbetriebe, die ja Ableger haben, in den Betrieben lassen, dann führt doch das dort nicht dazu, dass mehr Arbeitsplätze kommen. Im Gegenteil: das sind ja die Betriebe mit der hohen Produktivität, die deshalb Personal abbauen werden, wenn wir nicht durch Arbeitszeit gegensteuern. Das Problem in Ostdeutschland sind nicht die Arbeitsplätze, die wir in der Industrie haben. Wir haben zu wenig und wenn wir mehr wollen, dann müssen wir das mit intelligenten innovativen Produkten anzetteln. Dazu braucht man aber gute Leute, Fachleute. Die dürfen nicht mehr abhauen in den Westen. Das geht nicht, wenn wir hier weiter Billiglohnland bleiben. Da brauchen wir ein Image, was auf Hightech ausgerichtet ist. Das setzt aber voraus, dass die Angleichung so schnell als möglich vollzogen wird.
Spengler: Gibt es denn diese Abwanderung von Leistungsträgern wirklich noch? Wo finden die denn im Westen noch Arbeit?
Düvel: Wir haben im vergangenen Jahr 100.000 Abwanderer gehabt. Das sind keine Arbeitslosen, sondern das sind vornehmlich junge und das sind vor allem Leistungsträger. Die gehen aus Arbeitsplätzen heraus. Jetzt machen die zwar für den nächsten Arbeitsplätze frei, aber es ändert nichts daran, dass es Leistungsträger sind. Zweites Problem ist: wir haben mit der Wende einen starken Geburtenrückgang in Ostdeutschland gehabt. Der wächst sich jetzt aus. 2006 werden wir deutlich weniger Schulabgänger haben. Wenn beide Tatbestände so weiterlaufen, jetzt hohe Abwanderung, dann ab 2006 wenig Schulabgänger, kriegen wir ein Problem, eine Fachkräftelücke. Dies können wir nicht wollen, wenn wir hier ausgerichtet sind auf einen hochwertigen Hightech-Standort.
Spengler: Ich verstehe Sie richtig, dass Sie glauben, dass die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden Arbeitsplätze in Ostdeutschland sichert?
Düvel: Sie führt vor allem im Moment dazu, dass wir die vorhandenen Arbeitsplätze sichern. Sie führt dazu, dass unser Standort-Image besser wird. Mit Billigstandort können sie keine hochwertige Industrie entwickeln. Sie führt dazu, dass wir auch in Ostdeutschland weg kommen von der hohen Relation Transfereinkommen. Wir brauchen mehr Arbeitnehmer, die echte Einkommen haben, die auch dem Staat Lohn- und Einkommensteuer bringen, die die Kommunen wieder besser in Gang bringen. Bei öffentlichen Investitionen für Infrastruktur haben wir in Ostdeutschland einen Rückstand von 700 Milliarden. Wir müssen also etwas tun. Sonst geht das hier im Osten nicht weiter.
Spengler: Herr Düvel, nun behaupten die Arbeitgeber genau das Gegenteil. Sie sagen, es wird zu Entlassungen kommen. Ist Ihr Problem nicht, dass Sie Unternehmen zwar mit einem Streik zur 35-Stunden-Woche zwingen könnten, aber Sie können sie nicht dazu zwingen, neue Arbeiter einzustellen oder auf Entlassungen zu verzichten, oder sogar zwingen, nicht Pleite zu gehen?
Düvel: Ja, aber sehen Sie mal: wenn ich VW, Siemens und wie sie alle heißen noch höhere Sondergewinne in Ostdeutschland lasse, was ändert das dann an der Arbeitsplatzsituation in Ostdeutschland? - Überhaupt nichts! Das ist nicht das Problem. Wir brauchen eine breitere Substanz, und die geht nur, wenn man das so macht, wie ich es aufgeführt habe. Wichtiger Punkt für uns ist vor allem aber auch, dass erkannt wird, dass wir bei dieser Forderung A - das habe ich schon gesagt - von stufenweiser, schrittweiser Einführung reden. B haben wir immer gesagt - das sind im übrigen die Argumente der Arbeitgeber, die wir aufgreifen -, dass dies auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten stattfinden kann. Das heißt, dass die ertragsstärkeren Betriebe diesen Zeitplan schneller gehen wie das große Feld der Betriebe und dass man denen, die in der Tat noch Problemlagen haben, durch individuelle Lösungen längere Zeitpläne zubilligt. Das wird immer verschwiegen. Im übrigen ist es interessant, dass zu dieser Betrachtung, auch Ertragsabhängigkeit zu berücksichtigen, die Arbeitgeber Nein sagen. Das müssen die mir auch mal erklären, wie sie ihre grundsätzliche Differenzierungsargumentation nun auf einmal anders herum drehen.
Spengler: Danke Ihnen für das Gespräch! - Das war der IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel.
Link: Interview als RealAudio