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Angriff auf die Pressefreiheit

Nach Einschätzung Friedrich Nowottnys hat die "Spiegel"-Affäre im Jahr 1962 das Verständnis der Bürger für die Bedeutung der Medien grundlegend gestärkt. Die Verhaftungen von führenden Journalisten des Nachrichtenmagazins habe "Sensibilitäten geweckt und auch Solidarität", sagte der ehemalige WDR-Intendant.

Moderation: Dirk Müller | 10.10.2007
    Dirk Müller: Ob die Herren vielleicht von St. Pauli kämen, wollte der Pförtner im Hamburger Pressehaus wissen. Sie marschierten nämlich einfach an ihm vorbei, als sei das gar nichts. Doch die Herren gehörten nicht zur Hamburger Unterwelt, wie sich bald herausstellte, sondern zum Bundeskriminalamt. Ihr Ziel waren die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Unter dem Verdacht des publizistischen Landesverrats wurden der Herausgeber Rudolf Augstein, die Chefredakteure sowie der Journalist Conrad Ahlers daraufhin verhaftet. Ausgelöst hatte diese Polizeiaktion ein Artikel, der am 10. Oktober 1962, vor 45 Jahren, unter der Überschrift "Bedingt abwehrbereit" im "Spiegel" erschienen war.

    Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Journalisten, Publizisten und früheren WDR-Intendanten Friedrich Nowottny. Guten Morgen!

    Friedrich Nowottny: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Nowottny, die "Spiegel"-Affäre, war das der Anfang vom Ende einer jungen Bundesrepublik mit altem Gesicht?

    Nowottny: Es war sicherlich der Anfang einer gesteigerten Sensibilität der Menschen mit Blick auf den Staat. Bis dahin sind ja Vorkommnisse dieser Art nicht sonderlich aufgefallen. Was da an Sicherheitsüberlegung anstand, zu organisieren und zu machen war, das geschah in aller Stille. Aber plötzlich, durch diese "Spiegel"-Affäre und durch diese unglaublichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben. Man darf nicht vergessen: Ein Kabinett ist gestürzt worden, eine Koalition ist zerbrochen, Adenauer musste seinen Rücktritt für 1963 ankündigen. Sonst wäre die neue Regierung nicht zu Stande gekommen. All dies hat Sensibilitäten geweckt und auch Solidarität mit denen, die als Journalisten darum bemüht waren, den jungen Begriff von der Meinungs- und Pressefreiheit und der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, so wie es im Artikel 5 des Grundgesetzes steht, zu nutzen und zu verteidigen.

    Müller: Hat, Herr Nowottny, Konrad Adenauer damals, 1962, und auch mit Blick auf die Zeit davor gedacht, dass Journalisten in erster Linie für die Regierung da sind?

    Nowottny: Das Verhältnis Adenauers zu den Journalisten war ja sehr vielschichtig. Es gab diese berühmten Kanzler-Tees, die Konrad Adenauer genoss, weil er sich dort in einer unglaublichen Form darstellen konnte und es auch tat. Er war ein großer Darsteller. Und die Journalisten genossen das, weil sie nahe am Kanzler waren. Es war ja auch noch zum großen Teil eine Journalistengeneration in Bonn akkreditiert, die die Nazi-Zeit ganz gut überstanden hatte und die immer der Meinung war, jetzt, da es die Pressefreiheit gäbe, müsse man auch als alter erfahrener Publizist dem jeweiligen Kanzler mit Rat und Tat zur Seite stehen. Also das Verhältnis war, ich will einmal sagen, von beiden Seiten her eher entspannt als gespannt.

    Müller:! Nun hatte Konrad Adenauer wiederum sein Alter, um das jetzt nicht despektierlich zu sagen. Da gab es noch einen Beteiligten: Franz Josef Strauß. Der war jünger. Das war ein junger dynamischer Politiker aus Bayern. Hatte der ein ähnlich altes Verständnis von Presse und Journalismus wie der Kanzler?

    Nowottny: Franz Josef Strauß hatte eher ein autoritäres Verhältnis für den Umgang mit der Presse und war überhaupt ein autoritärer Typ. Wie er in diesen entscheidenden Nächten der "Spiegel"-Affäre in Madrid in der deutschen Botschaft anrief und Anweisungen als Verteidigungsminister an einen Diplomaten erteilte, dass gefälligst Conrad Ahlers, der dort Urlaub machte, zu verhaften ist, das lässt doch schon darauf schließen, dass er ziemlich rücksichtslos von dem Gebrauch machte, was er für sein Recht als Bundesminister der Verteidigung ansah.

    Müller: Herr Nowottny, Verflechtung von Justiz und Politik, das wird auch immer wieder in den kritischen Darstellungen heutzutage in den Raum geworfen. Hat es das damals tatsächlich gegeben, also mehr Zusammenarbeit, mehr Absprachen zwischen der Justiz und den führenden Politikern?

    Nowottny: Man darf nicht vergessen, dass die erste Anzeige von einem, ich glaube, Reservegeneral - von der Heyde hieß der - zur "Spiegel"-Affäre bei der Bundesstaatsanwaltschaft gelandet war. Damals war es unvorstellbar, dass sich das, was sich an der "Spiegel"-Affäre entwickelte, überhaupt entwickeln konnte. Das hat sich ja dann im Laufe der Jahre verändert. Das darf man nicht vergessen. Es hat sich gewaltig viel seit 1962 verändert auch mit Blick auf das Bedürfnis des Staates, mehr zu erfahren über das, was sich im Land tut. Das geht ja so weit, dass dann plötzlich und unerwartet der Begriff vom Überwachungsstaat in unseren Sprachgebrauch eingeflossen ist. Da wurden neue Gefährdungsgrundlagen entwickelt, auch im Zusammenhang mit der RAF. Da gab es die Rasterfahndung. Plötzlich wurden Atomgegner mit Lauschangriffen konfrontiert. Na und heute geht es bei einer Anhörung des Verfassungsgerichts um die Online-Durchsuchung. Vergessen Sie nicht die kollektive Hysterie im Zusammenhang mit der Volkszählung 1983. Da hat sich schon im Verhältnis Bürger und Staat eine Menge verändert, und die Sensibilitäten sind nicht mehr die, die sie 1962 waren.

    Müller: Das heißt, wenn wir das rückblickend betrachten, übertragen das auf die aktuelle Situation - da hat es diese "Cicero"-Affäre gegeben, es hat jetzt diese Affäre um die Ermittlungen gegen Journalisten wegen angeblichen Geheimnisverrats gegeben im Rahmen des Untersuchungsausschusses im Bundestag, vom Bundestag selbst auch initiiert -, das ist alles Peanuts?

    Nowottny: Nein, es sind sicherlich keine Peanuts. Sie kratzen immer wieder an den Möglichkeiten des journalistischen Berufes und an der Garantie der Freiheit des journalistischen Berufes, und es gibt viele Begründungen dafür. Denken Sie daran, dass die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus vor unserem Land natürlich keinen Halt macht. Und dass es dann Auslegungsmöglichkeiten gibt, was kann man unternehmen, um eventuellen Veröffentlichungen der Presse zu begegnen oder Quellen ausfindig zu machen, was ja beim Fall "Cicero" der Fall war, die Verlockungen sind immer wieder groß. Aber die Wachsamkeit der Publizisten ist es auch. Die Öffentlichkeit ist nicht mehr so hoch sensibilisiert, wie sie im Zusammenhang mit der "Spiegel"-Affäre im Laufe des Ablaufes der Affäre geworden ist. Auch die Nachrichtenmagazine sind heute nicht mehr das, was sie einmal waren.

    Müller: Herr Nowottny, wenn wir auf Ihre journalistische Karriere zurückblicken. Viele Jahrzehnte waren Sie aktiver Journalist. Haben Sie an irgendeinem Punkt auch gedacht oh, jetzt gehe ich zu weit, die journalistische Freiheit, die Pressefreiheit ist überzogen?

    Nowottny: Wenn Sie mich so spontan fragen, ich kann mich nicht daran erinnern. Aber es gab natürlich in der Schleyer-Affäre immer wieder die Versuchung, Dinge zu publizieren, die unter Umständen auf den Ablauf der Schleyer-Affäre schreckliche Konsequenzen für den entführten Schleyer gehabt hätten. Da gibt es im Leben eines Journalisten immer wieder Momente, an denen er sich zu fragen hat, was geht und was geht nicht?

    Müller: Friedrich Nowottny heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank.