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Angriff auf Kölner OB-Kandidatin
Thierse: "Politiker sind Objekte des Hasses geworden"

Jene, die man früher Wutbürger nannte, seien jetzt Hassbürger, sagte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Deutschlandfunk. Man könne eine Linie ziehen vom Pegida-Galgen in Dresden zur Messerattacke auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker.

17.10.2015
    Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse referiert während der Veranstaltung "25 Jahre gesamtdeutsche SPD" am 26.09.2015 in Magdeburg.
    Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse referiert während der Veranstaltung "25 Jahre gesamtdeutsche SPD" im September in Magdeburg (Ronny Hartmann, dpa picture-alliance)
    Wolfgang Thierse (SPD) sagte im Deutschlandfunk, es handele sich um einen neuen Höhepunkt in der zugespitzten Stimmung, die "am Rande unserer Gesellschaft, vielleicht sogar bis in die Mitte unserer Gesellschaft" hineinreiche. "Das, was wir früher mal noch mit Sympathie Wutbürger genannt haben, das hat sich schon längst geändert, das sind jetzt Hassbürger". Man müsse sehr genau unterschieden zwischen Angst, für die man Verständnis haben müsse, und Hass, die offensichtlich auch zu solcher Gewalt führe.
    Auf die Frage, ob sich eine Linie vom Pegida-Galgen in Dresden zum Wochenmarkt in Köln-Braunsfeld (dem Ort des Attentats) ziehen lasse, sagte Thierse: "Es drängt sich ja förmlich auf, diese Linie zu ziehen, auch wenn man immer jeden einzelnen Fall sorgsam beurteilen muss. Aber dass wir eine solche hasserfüllte Atmosphäre haben, dass Bürger des Landes sich nicht davor scheuen, zum Mord, zu Gewalt gegen Politiker aufzurufen, das ist ja schon in den letzten ein, zwei, drei Jahren sichtbar gewesen, es hat zugenommen." Die Politik, die Politiker seien Objekte des Hasses geworden. Diese Entwicklung sei nicht leicht zu erklären. Deutschland sei, trotz aller Konflikte, ein wohlhabendes Land und eine stabile Demokratie. "Aber offensichtlich gibt es Menschen, die sich benachteiligt fühlen, die sich ausgegrenzt fühlen, die empfänglich sind für die einfachen, radikalen Botschaften der Rechtsextremisten, der Ausländerfeinde, der Antisemiten." Die Politiker, der Staat, die Bildung und Journalisten müssten diese Atmosphäre bearbeiten.
    Thierse sagte weiter, Sorgen zu artikulieren sei etwas anderes als Gewalt auszuüben. "Angst zu haben vor überwältigenden Problemen ist das eine, aber diese Angst zu übersetzen in Hass - gegen Minderheiten, gegen Ausländer, gegen Politiker, gegen Journalisten - ist etwas anderes."