Freitag, 26. April 2024

Archiv


"Angst, dass Europa eintönig wird"

Eigentlich bin ich ein tüchtiger Europäer. Ich bin als deutsch-irisches Kind aufgewachsen, ich habe öfters in Berlin gewohnt, mein Wohnsitz ist eigentlich in Dublin. Ich pendle sehr gerne. Ich habe auch zwei Jahre in Bukarest gewohnt, habe da an der Universität gelehrt. Ich sollte eigentlich Europäer sein, aber als Europäer würde ich mich nicht benennen. Ich würde mich eher als gescheckte Person, also eine vielfarbige Person, die überall zu Hause ist heutzutage.

Von Hugo Hamilton | 18.05.2009
    Einem Kind würde ich sagen, dass Europa ein großes Land ist, wo sich alle kleinen Länder zusammengetan haben, um sicherzugehen, dass es nie wieder Krieg gibt. Also, das ist für Europa eine große Errungenschaft.

    Ich habe Angst manchmal, dass Europa eintönig wird. Ich habe beobachtet, dass die Regeln, die in Brüssel aufgestellt werden, manchmal sehr in die Atmosphäre des Landes, in Irland zum Beispiel, eindringen. Ich habe das sehr gemerkt auf den Bauernhöfen. Heutzutage sagt ein Bauer: Ja, ich mache Kühe oder ich mache Schafe. Man züchtet keine Hühner oder so was mehr. Die Landschaft in Irland ist etwas eintönig geworden wegen der Regeln. Und ich glaube, das könnte man sehr gut ändern. Man sollte den Randkommunen mehr Unterstützung geben.

    Was für mich von großer Bedeutung ist in Europa, ist, dass wir nicht mehr so isoliert sind. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo alles sehr separat war. Man war entweder Katholik oder Protestant, man war Ire oder Engländer. Das hat sich wunderbar geändert. Man darf jetzt überall zu Hause sein und sich beteiligen an einem viel größeren Raum. Das hat sich so viel geändert, das hat eine große Bedeutung für mich.

    Ich bin dafür, dass Europa sich erweitert. Ich möchte gerne, dass die Türkei dazugehört, dann würden viele Türken nach Irland kommen, und es würde dann wunderbare Obstmärkte in Irland geben. Die Türken gehen so wunderbar mit Obst um, die wären sehr beliebt in Irland. Ich wünsche mir auch, dass sich jedes Land in Europa ein Land in Afrika aussuchen würde als Patenkind - und dass jedes europäische Land für dieses Land zuständig und hilfsbereit wäre.

    Für mich ist der beste Platz in Europa eigentlich Berlin. Ich komme hier nach Berlin, wo ich mich ausruhen kann, hier gibt es nicht diesen Konsumrausch. Berlin ist ein sehr kreativer Ort, und das wünsche ich mir auch für Europa: Dass man die menschlichen Werte betont, dass man sogar - wie man es in Irland gemacht hat - die Künstler steuerfrei halten könnte.

    Kurzbiografie:
    Hugo Hamilton (eigentlich Johannes Ó’Urmoltaigh), geboren 1953 in Dublin, als drittes von sechs Kindern eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter. Sein Vater war ein glühender Nationalist, daher besuchte Hamilton nur Schulen, in denen Gälisch gesprochen wurde. Mit seiner Mutter sprach er Deutsch, Englisch lernte er auf der Straße.
    Hamilton machte eine Ausbildung bei der "Irish Press", arbeitete als Journalist und reiste viel durch Europa, bevor er anfing, Kurzgeschichten und Romane zu veröffentlichen. Seine Werke beschäftigen sich oft mit seiner Herkunft, reflektieren die Position eines Außenseiters, fremd in einer kulturellen Landschaft. Sein erster Roman "Surrogate City" (1990) erzählt von einer Liebe in West-Berlin, nach dem Tod seiner Mutter setzte sich Hamilton in "Kriegsliebe" (1996) mit seiner, wie er sagt, "gespaltenen Identität" auseinander. Hamilton erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Förderungen, darunter 1992 den Rooney Prize for Irish Literature und 2004 in Paris den "Femina-Preis" für ausländische Literatur. 2001-2002 lebte und arbeitete er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin. In den zwei Bänden "Gescheckte Menschen" (2004) und "Der Matrose im Schrank" (2006) erinnert er sich an seine ungewöhnliche Kindheit und erregte damit großes Aufsehen im In- und Ausland. "Gescheckte Menschen" wurde zum Bestseller, in 15 Sprachen übersetzt und international hoch gelobt. 2007 veröffentlichte Hamilton "Die redselige Insel", ein Reisetagebuch auf den Spuren des "Irischen Tagebuchs" von Heinrich Böll. Zuletzt erschien der Roman "Legenden" (2008). Darin geht es um einen deutschen Altachtundsechziger, der nicht weiß, ob er das leibliche Kind seiner Eltern oder eine angenommene Flüchtlingswaise aus einer jüdischen Familie ist.
    Hugo Hamilton lebt mit seiner Familie in Dublin.


    Mehr zur Europawahl finden Sie auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung.