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Angst vor Atomunglück in Belgien
Apotheken im Raum Aachen geben Jodtabletten aus

Wegen der Nähe zum belgischen Atomkraftwerk Tihange beginnt im Raum Aachen die Verteilung von Jodtabletten. Sie sollen im Fall eines Atomunfalls helfen. Kostenlos ist das Medikament aber nur für unter 45-Jährige.

Von Melih Serter | 01.09.2017
    Jodtabletten: Die Tabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen.
    Jodtabletten: Die Tabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen. (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
    Die Furcht und Angst vor einer radioaktiven Verseuchung ist in Aachen groß. Trotz zahlreicher Beschwerden aus umliegenden Kommunen, schaffen es die belgischen Verantwortlichen nicht, die Pannenreaktoren von Tihange stillzulegen. Deshalb möchte man in Aachen und den angrenzenden Kommunen dafür sorgen, dass wenigstens die Bürger einen kleinen Schutz in Form von Jodtabletten im Haus parat haben. Markus Kremer, Beigeordneter der Stadt Aachen:
    "Ab heute können die Bezugsberechtigten ihren Antrag im Online-Portal stellen. Man gibt seine Daten an. Man bekommt dann, nachdem im Hintergrund ein Abgleich mit den Melderegister erfolgt, den Bezugsberechtigungsschein binnen weniger Sekunden – den druckt man sich zu Hause aus, und in der Apotheke bekommt man dann die Jodtabletten kostenlos ausgehändigt."
    Die hochdosierten Jodtabletten bekommen aber nicht alle kostenlos. Wer zum Beispiel älter als 45 ist, muss das frei verkäufliche Medikament selbst bezahlen. Trotzdem sollte man vorher aber seinen Arzt um Rat fragen, empfiehlt die Apothekerin Karin Radtke aus Aachen.
    "Weil über 45-Jährige oft in einer anderen Jod-Situation sind. Die haben über Jahre schon meist zu wenig Jod zu sich genommen. Da ist fraglich, ob die Jodeinnahme sinnvoll ist, darum sind über 45-jährige nicht berechtigt, Jod-Tabletten zu bekommen."
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange.
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange. (AFP / Belga / Eric Lalmand)
    Jodtabletten dürfen nicht willkürlich geschluckt werden
    Weil viele Menschen über Jahre hinweg einen latenten Jodmangel haben und die Schilddrüse fehlerhaft arbeitet, rät auch die Strahlenschutzkommision auf den Verzicht der Kaliumjodidtabletten. Die Nebenwirkungen könnten schlimmer sein als eine Strahlenerkrankung. Auch dürfen die ausgegebenen Jodtabletten nicht willkürlich geschluckt werden, sagt die Apothekerin.
    "An sich ist vorgesehen, dass man - als Erwachsener wohl bemerkt - einmal zwei Tabletten einnimmt, aber auch nur nach Aufforderung durch die Behörden und eventuell wird eine zweite Einnahme notwendig. Das Entscheiden aber die Behörden im Falle des Falles, das heißt ein Erwachsener würde theoretisch mit zwei Tabletten auskommen."
    Das liegt unter anderem daran, dass zwei dieser speziellen Tabletten 130 Milligramm Jodid enthalten. Die sind bei Weitem höher dosiert, als die Nahrungsergänzungstabletten aus den Drogerie-Märkten.
    "Definitiv – viel höher dosiert. Definitiv. Man müsste 50 Tabletten von dem anderen nehmen, um überhaupt diese Dosis zu bekommen, oder noch mehr."
    Die meisten Apotheken in der Region haben das Medikament seit Anfang August auf Lager und sind so auf einen Massenansturm vorbereitet. Doch jetzt die Türen der teilnehmenden Apotheken einzurennen, ist gar nicht nötig, sagt der Beigeordnete der Stadt Aachen, Markus Kremer.
    "Die Tabletten können bis Ende November bezogen werden. Und zwar in der gesamten Region. Wir haben also regional abgestimmt und erarbeitet - das Bezugsverfahren online basiert und entwickelt. Und das steht jetzt in allen Portalen der teilnehmenden Gebietskörperschaften zeitgleich und mit demselben Serviceumfang für den Bürger zur Verfügung."
    Heißt, nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Städteregion Aachen, in Heinsberg, Düren und Euskirchen sind die Jod-Tabletten ab sofort verfügbar. Das zu koordinieren war nicht leicht, aber notwendig, sagt Markus Kremer. Genauso wie die Liste aller Apotheken zu veröffentlichen, die an der Aktion teilnehmen.
    "Und insofern war es für uns klar, als das Innenministerium Konzepte gefordert hat für die Vorverteilung, als es darum ging auch, aus eigenem Wunsch Aufklärung zu betreiben für die Bevölkerung, Informationsbroschüren zu entwickeln, Ereignisfallkonzepte aufzustellen. Es war für uns klar, dass wir das gemeinsam tun wollen, und nicht jede Kommune für sich."
    Etwa 600.000 Menschen können das Medikament erhalten
    Die Verteilung von Kaliumjodid-Tabletten in diesem Umfang hat es in Deutschland bisher noch nicht gegeben. Deshalb könne man noch nicht abschätzen, wie viele Menschen sich mit dem Medikament bevorraten wollen, sagt der Beigeordnete der Stadt Aachen. Aus Erfahrung anderer Länder schätzt er, dass etwa 25 bis 30 Prozent die Jodtabletten beziehen werden. Theoretisch könnten etwa 600.000 Menschen das Medikament erhalten – aber nicht alle wollen es sofort:
    "Ich denke einfach nur, wenn was in Tihange passieren würde, dann würden auch die Jodtabletten nichts bringen."
    "Es ist zwar nur eine Kleinigigkeit, aber trotzdem. Das gibt den meisten einfach ein Gefühl der Sicherheit. Ich würde sie mir holen."
    "Ich glaube nicht, dass ich mir die sicherheitshalber in die letzte Ecke legen würde. Vielleicht bin ich da zu optimistisch, aber ich habe mich da ehrlich gesagt noch nicht wirklich informiert was Jod da bringt, wenn da irgendwas in Tihange passieren sollte."
    "Ich denke, dass es nicht schaden kann. Besser vorbereitet sein als sich später ärgern, dass man es nicht gemacht hat."
    Die Jodtabletten, die jetzt ausgegeben werden, sind bis Ende 2021 haltbar - vorerst. Durch eine Prüfung zur gegebenen Zeit könnte die Haltbarkeit aber verlängert werden. Bleibt trotzdem nur zu wünschen, dass niemand die Jodtabletten schlucken muss.