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Angst vor dem weißen Kleintransporter

Vor drei Jahren ist in Sri Lanka ein fast drei Jahrzehnte dauernder Bürgerkrieg zwischen buddhistischen Singhalesen und hinduistischen Tamilen zu Ende gegangen. Seit dieser Zeit propagiert die singhalesische Regierung die nationale Versöhnung. Kirchenvertreter und Bürgerrechtler im Land beklagen jedoch zunehmende Menschenrechtsverletzungen.

Von Nina Waldorf | 24.05.2012
    "Die Menschenrechtssituation in meinem Land ist himmelschreiend. In jüngster Zeit sind allein 30 Journalisten verschwunden, im Norden sind mehrere Priester umgebracht worden, überall werden Menschenrechtsaktivisten bedroht. Es gibt keine Redefreiheit, keine Pressefreiheit, viele Grundrechte werden verweigert, wir sind wirklich in einer schlimmen Situation."

    Der Mann, der das sagt, ist ein würdevoller, grauhaariger Arbeiterpriester im langen Gewand und seit Jahrzehnten als Menschenrechtsaktivist in Sri Lanka bekannt. Er hat Gefängnis und Exil erlebt und engagiert sich doch immer wieder dort, wo die soziale Not am größten ist. So wie hier in der Küstenstadt Negombo bei einem Treffen von Fischerfamilien. Wegen der hohen Benzinpreise wissen sie nicht mehr, wie sie überleben sollen.

    Treffpunkt ist eine kleine evangelische Kirche unter Palmen und Bananenstauden. Interreligiöse Zusammenarbeit ist keine Seltenheit in Sri Lanka, auch mit Muslimen, Buddhisten oder Hindus, denn viele Aktivisten sind Einzelkämpfer und stärken sich gegenseitig. Die eher regierungsnahe katholische Kirche etwa würde den alten Priester am liebsten abberufen, die Sicherheitskräfte haben Leute wie ihn seit Langem im Visier:

    "Wir sind verhört worden, sie haben uns zum CID bestellt, zur Sicherheitspolizei, sie kommen in unsere Wohnhäuser und Zentren, einige von uns sind sogar verhaftet worden, die Regierung übt eine Menge Druck aus."

    Deshalb behalten alle bei diesem Treffen ihren Namen lieber für sich, auch wenn sie die Öffentlichkeit suchen, vor allem die internationale, denn die lokale Presse ist vorsichtig mit Berichten über soziale Unruhen. Sei es bei Slumbewohnern in Colombo, die gegen ihre Zwangsumsiedlung protestieren, bei Arbeiterinnen mit Hungerlöhnen aus den nahen Textilfabriken oder bei diesen Fischern, nicht weit vom internationalen Flughafen der Hautstadt Colombo entfernt.

    Wütend und verzweifelt demonstrierten sie Anfang März dieses Jahres gegen die bedrohlich gestiegenen Benzinpreise: Steuern für den Staat – Armut und Hunger für die Unterschicht. 70 Prozent der Bevölkerung in Negombo und den Küstenorten leben vom Fischfang, die Männer fahren jeden Tag in ihren kleinen Booten hinaus - auf die malerische Lagune oder an der Küste entlang - um abends nach dem Verkauf des Fangs Reis, Gemüse und Fisch für ihre Familien zu haben. Mit dem Preissprung der letzten Monate ist ihre Existenz bedroht, wie dieser Mann erklärt, der erst durch die Krise zum Aktivisten wurde:

    "Ich fische immer nur für einen Tag, wenn ich nichts fange, verdiene ich auch nichts. Normalerweise braucht mein Boot 16 Liter Sprit. Seitdem der Preis vor kurzem um 35 Rupien pro Liter gestiegen ist, um ganze 50 Prozent, brauche ich jeden Monat 55.000 Rupien. Wie soll ich denn so viel verdienen, wir brauchen 15- bis 20.000 für den Unterhalt der Familie? Das ist ein großes Problem!"

    Umgerechnet 320 Euro für Benzin, knapp 120 für den Lebensunterhalt, das sind bescheidene Ansprüche, für die die Menschen auf die Straße gehen. Und ihr Leben riskieren. Auch die angesehene Organisation "International Crisis Group", ICG in Brüssel, berichtet von Polizeigewalt bei den Demonstrationen der Fischerfamilien etwa am 15. Februar 2012 – ein Beispiel von vielen. Allgemein stellt die ICG fest:

    "Die Aufhebung des Ausnahmezustandes (nach Ende des Krieges) hat kaum praktische Auswirkungen auf das Leben der meisten Sri Lanker gehabt. Die gegenwärtige Regierung hat wenig Bedenken außerhalb der Gesetze zu agieren, was durch die (im Norden) weiterhin bestehenden Hochsicherheitszonen ohne erkennbare Rechtsgrundlage illustriert wird, und durch Berichte von geheimen Haftzentren, Folter und außergerichtliche Tötungen..."

    Auch für den jungen Fischer, der zur Gemeinde des Paters gehört, ist das Leben gefährlich geworden. Der Vorsitzende seiner Gruppe ist bereits verhaftet. Die Angst vor dem "White Van" geht um unter Bürgerrechtlern überall in Sri Lanka, vor dem weißen Kleintransporter der Sicherheitspolizei - ohne Nummerschild und mit getönten Scheiben- , der Menschen spurlos verschwinden lässt. Seit Wochen schon schläft der Fischer nicht mehr zu Hause, seine Frau und die beiden kleinen Kinder sieht er nur selten, seitdem die Proteste im Februar eskaliert sind.

    "Dann sind alle Fischer auf die Straße gegangen und Polizei und Armee haben versucht, die Leute aus den Dörfern davon abzuhalten. Dabei ist einer der Fischer am Strand erschossen worden. Innerhalb von einer Stunde schon hat jemand von der Regierung der Familie einen Scheck über 500.000 Rupien angeboten und gesagt, sie sollen den Mund halten. Wie können sie unser Leben kaufen, für 500.000 Rupien? Die Regierung macht uns das Leben unmöglich und dann sagen sie, wir sollen nicht darüber reden. Wenn du es doch tust, musst du sterben."

    Während des Bürgerkrieges war die singhalesische Armee im Norden und Osten der Insel damit beschäftigt, gegen die tamilische Guerillaorganisation LTTE zu kämpfen. Rund 18 Prozent der gut 20 Millionen Bevölkerung sind Tamilen, die Mehrheit Singhalesen. Jetzt jedoch scheint es, als würden die Sicherheitskräfte von Regierungschef Mahinda Rajapaksa überall ein drakonisches Regiment führen, ein Präsident, dessen Konterfei auf Plakaten im ganzen Land gegenwärtig ist: mit schwarzem Schnäuzer und rotem Schal.
    Andererseits hat sich seit Kriegsende auch manches verbessert, meint Albert Jebanesan, Präsident der Methodistischen Kirche von Sri Lanka:

    "Viele Dinge haben sich verändert. Wir müssen heute keine Angst mehr haben, nur weil wir Tamilen sind. Auch Leute aus Jaffna im Norden können nach Colombo kommen und Tamilisch sprechen, man muss keine Angst mehr haben, einfach so verhaftet zu werden.
    Solange du ein gewöhnlicher Zivilist bist und keine Fragen über Dinge stellst, die vielleicht nicht in Ordnung sind. Wenn du ganz normal zur Arbeit gehst, auf den Markt gehst, abends kochst und fernsiehst, dann ist alles ok, kein Problem."

    Harmonie im Gottesdienst, ja - aber keine Fragen zu stellen, kein Engagement, das ist nicht das Verständnis der Methodisten vom Evangelium. Ganz im Gegenteil.

    Mit 35.000 Mitgliedern ist sie die größte evangelische Kirche im Land, eine der wenigen Organisationen, in denen Singhalesen und Tamilen zu Hause sind. Seit Langem schon bemüht sie sich um Frieden und Versöhnung und engagiert sich in sozialen Fragen, vom Protest der Fischer im Süden bis hin zu Kleinkrediten für Kriegswitwen im Norden und die Begleitung der vielen traumatisierten Menschen. Denn der Krieg hat nach UN-Schätzungen mindestens 100.000 Todesopfer gefordert. All das eine Gratwanderung für die Kirche, wie Jebanesan weiß, der Pfarrer in Jaffna war.

    "Wir müssen eine politische Lösung finden. Man kann Militär dafür benutzen, um die Stimme der Zivilbevölkerung zu unterdrücken. Die Menschen sind geschwächt, sie haben 30 Jahre Krieg erlebt. Jetzt könnten sie sich entspannen, aber sie haben Angst. Im Norden und Osten sind überall singhalesische Soldaten, die ihre Sprache nicht sprechen.
    Die Menschen haben das Gefühl, unter einer Besatzung zu leben. Die Soldaten sprechen nicht nur Singhalesisch, sie sind Buddhisten. Während die Leute im Norden Tamilisch sprechen und Hindus sind."

    Und so kommt zur militärischen Niederlage, zum Verlust von Häusern, Land und geliebten Menschen auch das Gefühl, die Kultur einzubüßen. Einzelne Hindutempel sollen abgerissen worden sein, in anderen wurden Buddhastatuen aufgestellt. Und auch die Wirtschaft wird von Singhalesen dominiert.

    Mehr Gerechtigkeit und eine Aufarbeitung der mutmaßlichen Kriegsverbrechen beider Seiten erhoffen sich viele Sri Lanker jetzt von einer staatlichen Aussöhnungskommission (LLRC). Deren Empfehlungen zur unabhängigen Aufklärung von Kriegsverbrechen müssen endlich umgesetzt werden, hat der UN-Menschenrechtsrat Ende März in einer Resolution festgestellt. Allein in den letzten drei Kriegsmonaten sollen 40.000 Zivilisten bei unglaublichen Gräueln umgekommen sein. Die Regierung reagierte empört auf die UN-Resolution, der Nationale Christenrat und viele andere jedoch sehen darin eine Chance auf Versöhnung.