Freitag, 29. März 2024

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Anna Achmátowa
Herrin der Poesie

Heute vor 125 Jahren wurde die russische Dichterin Anna Achmátowa geboren. Vielen gilt sie als die größte Dichterin Russlands. Auf der einen Seite verehrt und bewundert, auf der anderen verleumdet und gedemütigt, verlief ihr Leben tragisch. Als Dichterin wurde sie die Stimme jener Generation, die zwei Weltkriege und die Schrecken der Stalin-Herrschaft erleiden musste.

23.06.2014
    Undatierte schwarz-weiss- Aufnahme der russischen Dichterin Anna Andrejewna Achmatowa mit Mann und Sohn.
    Die russische Dichterin Anna Andrejewna Achmatowa mit Mann und Sohn. (picture alliance / dpa / Itar-Tass)
    "Einundzwanzigster. Montag. Nacht."
    "Im Nebel die Stadtsilhouette."
    "Da hat irgendein Nichtstuer ausgedacht, dass es Liebe auf Erden gäbe."
    Eine Strophe aus einem Liebesgedicht, von Anna Achmatowa selbst gelesen. Ihre Bewunderer priesen die russische Dichterin in Metaphern wie "Herrin der Poesie", "Dante des 20. Jahrhunderts" oder "andächtige Priesterin der Liebe".
    Fotos der jungen Achmatowa zeigen eine elegante, schlanke Frau mit klassischen Gesichtszügen und ernstem Blick. Sie suggerieren die Vorstellung, ein gepflegter Hausstand müsse sie umgeben haben. In Wirklichkeit hatte die Dichterin nur selten ein Zuhause, sie lebte wie eine Nomadin, in Gemeinschaftswohnungen, in Zufluchtsstätten.
    Anna Achmatowa studierte Jura in Kiew
    Am 23. Juni 1889 wurde sie als Anna Andrejewna Gorenko in der Nähe von Odessa geboren. Ihr literarisches Pseudonym legte sie sich auf Drängen ihres Vaters zu, der seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit zitiert sehen wollte. Die Dichterin wählte den tatarischen Namen ihrer Urgroßmutter mütterlicherseits, mit ihm wurde sie berühmt. Ihre Jugend verbrachte sie in Zarskoje Selo, der Sommerresidenz der russischen Zaren in der Nähe von St. Petersburg. Dort besuchte sie das Lyzeum, wie 90 Jahre zuvor der von ihr verehrte Dichter Alexander Puschkin. Ab 1907 studierte sie Jura in Kiew, später Philologie in
    St. Petersburg - eine Stadt, die sie liebte und in der sie nahezu jedes architektonische Detail kannte.
    Als Anna Achmatowa 1912 mit ihrem ersten Gedichtband „Abend" debütierte, klangen bereits die Motive an, die in ihrer Lyrik wiederkehren sollten: Liebesleid, Schmerz, Trennung. 1914 erschien der zweite Band „Rosenkranz", im Revolutionsjahr 1917 „Die weiße Schar". Der Dichter Nikolaj Nedobrovo fand in ihren Gedichten
    Zitat Nikolaj Nedobrovo
    "eine lyrische Seele, die eher hart ist als weich, eher grausam als weinerlich und ganz deutlich souverän und nicht geknechtet ..."
    Totenklage auf die Opfer der Stalin-Zeit
    Ab 1922 wurde Anna Achmatowa in Lenins Sowjetrussland stigmatisiert. Ihre Gedichte galten als schädlich für die Jugend, sie durfte lange Jahre nichts mehr veröffentlichen. Hinzu kam der Schmerz um ihr nahe Menschen, die verfolgt und ermordet wurden: Ihr erster Mann, der Dichter Nikolaj Gumiljow, wurde 1921 als angeblicher "Konterrevolutionär" erschossen; der mit ihr eng befreundete Dichter Ossip Mandelstam starb 1938 in einem Lager. Ihr einziger Sohn Lew Gumiljow wurde mehrfach verhaftet und musste zwölf Jahre in Straflagern verbüßen. Monate-, jahrelang stand die Dichterin in der langen Schlange gramgebeugter, früh gealterter Frauen und Mütter, die an den Gefängnistoren Leningrads auf Auskunft über das Schicksal ihrer Nächsten hofften. Ihr "Requiem", eine Totenklage auf die Opfer der Stalin-Zeit, durfte erst 1987 in der Sowjetunion erscheinen:
    "Ich kannte viele früh gewelkte Frauen
    Von Schrecken, Furcht, Entsetzen ausgeglüht.
    Des Leidens Keilschrift sah ich eingehauen
    Auf Stirn und Wangen, die noch kaum geblüht. "
    Gedichte als "ideologisch schädlich" diffamiert
    Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Anna Achmatowa 1941, halb verhungert, nach Taschkent evakuiert. 1944 kehrte sie in das zerstörte Leningrad zurück. Ihre Erschütterung spiegelt sich in ihrem Meisterwerk "Poem ohne Held" wider. Nach dem Krieg wurden ihre Gedichte in der Sowjetunion erneut als "ideologisch schädlich" diffamiert, und die Dichterin als "halb Nonne, halb Hure" beschimpft. Ihre Stimme war indes nicht zum Schweigen zu bringen: Junge Lyriker wie der spätere Nobelpreisträger Jossif Brodskij sahen in ihr ein Vorbild. Gegen Ende ihres Lebens vielfach im Ausland geehrt und für den Literaturnobelpreis nominiert, starb Anna Achmatowa am 5. März 1966 in der Nähe von Moskau. Sie wurde in Komarovo in der Nähe von St. Petersburg beigesetzt.