Dienstag, 14. Mai 2024

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Anna Boghiguian in Salzburg
Beobachterin der globalisierten Welt

Es ist gar nicht so leicht, die ägyptisch-armenische Künstlerin Anna Boghighuan zu verpflichten, denn die 72-Jährige ist ständig auf Reisen und lebt wie eine Nomadin. Dennoch hat es das Museum der Moderne im Rupertinum in Salzburg geschafft, die Arbeiten der ungewöhnlichen Künstlerin zu zeigen.

Von Barbara Bogen | 29.07.2018
    Anna Boghiguian mit "A Play to Play", 2013
    Anna Boghiguian mit "A Play to Play", 2013 (Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar)
    Unweigerlich, wenn man das meterhohe Segel sieht, das die Künstlerin Anna Boghighuan derzeit im Atrium des Salzburger Rupertinums gespannt hat, muss man an Theodore Gericaults berühmtes Gemälde "Das Floß der Medusa" denken. Ein Bild, entstanden 1819, vor fast genau 200 Jahren also. Es schildert die Szene eines legendären Schiffbruchs, nachdem Frankreich seine von den Briten besetzte Kolonie am Senegalfluss zurück erhalten hatte. Tage lang trieben französische Kolonialherren auf dem Meer, ohne Proviant, ohne Wasser. Am Ende stand eine kannibalische Schlacht. Ebenso wie Gericaults Bild das Scheitern der Zivilisation beschreibt, so kreisen auch die postkolonialen Erzählungen der Anna Boghiguian kontinuierlich um die Themen Kolonialismus, Sklaverei und Gier. "Trade and Birds", "Handel und Vögel" hat die Künstlerin ihre Arbeit, die eigens für die aktuelle Ausstellung in Salzburg entstanden ist, genannt. Ein uraltes Segel, das sie selbst auf einem Markt in Kairo kaufte und bemalte, fast naiv gehaltene Szenen von Vögeln und Landkarten, die alte Handelswege nachvollziehen.
    Ständig in Bewegung
    "Das Segel ist für mich ein wichtiges Symbol", sagt Anna Boghiguian. "Das Material ist Baumwolle. Das Segel steht für eine uralte Form des Reisens. Ja, und in vormaligen Zeiten gelangte man mit Hilfe dieser Segel von einem Ort an den anderen. Man betrieb Handel auf diesem Wege."
    Auch in ihrer raumfüllenden Installation mit dem Titel "The Salttraders", die Salzhändler ist das Motiv des Segels wieder da. Diesmal ist es deutlich durchtränkt von Blut. Den Raum durchziehen dabei Berge von Salz, und ein von der Naturgewalt des Meeres in drei Teile zerschmettertes Boot lässt keinen Zweifel zu über die vorangegangene Tragödie. Was in dieser menschenleeren einsamen Landschaft der Zerstörung am Ende bleibt, ist nur das gleichgültige mächtige Rauschen des Meeres. Eine Arbeit, die 2015 anlässlich der 15. Istanbul-Biennale entstand.
    Anna Boghiguian ist eine Beobachterin in der globalisierten Welt. In den achtziger Jahren bereiste die polyglotte 1946 geborene Künstlerin mit ägyptisch-armenisch-kanadischen Wurzeln Indien. Die Eindrücke, die sie auf ihren Bahnfahrten durch das Land machte, inspirieren sie bis heute, sagt sie. Das indische Eisenbahnnetz wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von der britischen Kolonialmacht errichtet. Mahatma Gandhis Bahnreisen durch Indien, seine Beobachtungen wurden dabei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Dekolonialisierung. Auch Anna Boghiguian ist auf diesem Globus ständig in Bewegung, eine Kosmopolitin, die sich selbst als Nomadin bezeichnet.
    Poetisch-magische Kraft
    "Nun", sagt Anna Boghiguian, "ich bin wirklich eine Nomadin. Ich bin zum Beispiel aus Kairo nach Salzburg gekommen, danach fahre ich sofort nach London, weil dort eine neue Arbeit auf mich wartet. Aber glauben Sie nicht, dass ich das alles zu meinem Vergnügen tue. Das Reisen ist für mich schwere Arbeit. Es ist immer ein großer Druck damit verbunden etwa jetzt der, mit der Arbeit für Salzburg nicht rechtzeitig fertig zu werden."
    Die Installation "Spaziergang in das Unbewusste", eine Reminiszenz an den Psychoanalytiker CG Jung, ist eine Prozession mit gemalten Köpfen auf 28 indischen Papierschnitten. Es ist die Trennung von unseren intuitiven Ursprüngen, die uns abhandengekommen ist, sagt Anna Boghiguian. Sie ist, das dürfte kaum übertrieben sein, derzeit vielleicht die ungewöhnlichste Künstlerin der Welt. Eine Frau, in ihrer wilden sympathischen Unangepasstheit vielleicht sogar zunächst verstörend, ein anarchisch-archaischer Künstlertypus, wie es ihn in der gepflegt hippen Kunstwelt in jüngerer Zeit mit Sicherheit nicht gab.
    Ihre Arbeiten sind von großer poetisch-magischer Kraft. Man kann sie, zumal, wenn man den in der Ausstellung gezeigten Film über den indischen Dichter Tagore sieht, vor diesem Hintergrund sogar als spirituell verstehen. Und wenn man die Ausstellung verlässt, wird man vielleicht sogar das sichere Gefühl gewinnen, dass der Mensch in der westlichen kapitalistischen Kultur einen Weg gegangen ist, wie er falscher nicht hätte sein können.